Berlin hat ein neues Abgeordnetenhaus gewählt - Rot-Schwarz abgestraft - FDP und AfD im Parlament

Mo 19.09.16 | 05:04 Uhr
Video: "Berlin hat gewählt" | rbb Fernsehen | 18.09.2016

Rekordverlust für die Regierungskoalition bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin: Zwar bleibt die SPD stärkste Kraft vor der CDU, doch für ein rot-schwarzes Bündnis reicht es nicht mehr. Die FDP kehrt ins Parlament zurück, die AfD ist erstmals dort vertreten. Die Piraten haben es nicht geschafft. Die Linke hat deutlich hinzugewonnen und die Grünen überholt.

Die SPD bleibt trotz deutlicher Verluste stärkste Partei im Berliner Abgeordnetenhaus. 21,6 Prozent der Wähler gaben am Sonntag ihre Stimme für die Regierungspartei ab. Das ist das schlechteste Ergebnis eines Siegers bei Landtagswahlen. Dennoch: Mit diesem Ergebnis werde die SPD weiterhin den Regierenden Bürgermeister stellen, sagte Spitzenkandidat und Landeschef Michael Müller.

Die SPD muss sich aber neue Koalitionspartner suchen, ein Zweierbündnis wird es in der kommenden Legislaturperiode nicht geben. Die bisher mitregierende CDU fährt mit 17,6 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Berlin-Wahl ein. Spitzenkandidat Frank Henkel sprach von einem "spürbaren Denkzettel" für die Koalition - beide Parteien zusammen verloren im Vergleich zur Wahl 2011 mehr als zwölf Prozent der Stimmen. Persönliche Konsequenzen schloss der CDU-Landeschef aber aus. "Ich trete nicht zurück", erklärte Henkel am Sonntagabend.

Die Grünen haben gegenüber 2011 verloren und liegen bei 15,2 Prozent - hinter den Linken, die 15,6 Prozent erzielen. Die Linkspartei konnte als einzige der vier großen Parteien Stimmen hinzugewinnen: knapp vier Punkte mehr. Seine Partei habe das Wahlziel "mehr als erreicht", freute sich Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer. "Ich hätte das so nicht für möglich gehalten."  

Die FDP hat die Rückkehr ins Parlament geschafft, sie kommt auf 6,7 Prozent. "Das ist ein großer Abend für die Liberalen", jubelte Spitzenkandidat Sebastian Czaja auf der FDP-Wahlparty. Wie erwartet, wird auch die AfD im Abgeordnetenhaus vertreten sein, die aus dem Stand auf 14,1 Prozent der Stimmen kommt. Nach Zweitstimmen wurden die Rechtspopulisten im Bezirk Marzahn-Hellersdorf gar stärkste Kraft. Nach derzeitigem Auszählungsstand der Erststimmen kann die AfD insgesamt fünf Direktkandidaten ins Abgeordnetenhaus schicken.

Nicht mehr im Berliner Parlament ist die Piratenpartei, für die nur 1,7 Prozent der Wähler stimmten.

Bündnisse zweier Parteien sind in der Hauptstadt nicht mehr machbar. Rechnerisch möglich sind Dreierbündnisse. Müller, dessen Partei seit 15 Jahren den Regierungschef im Roten Rathaus stellt, hatte für diesen Fall im Wahlkampf ein Zusammengehen mit Grünen und Linken in den Blick genommen. Es wäre bundesweit die erste rot-grün-rote Koalition unter Führung der Sozialdemokraten. In Thüringen regiert ein Bündnis dieser drei Parteien mit einem Linken-Ministerpräsidenten.

Müller kündigte an, mit allen vertretenen Parteien außer der AfD Sondierungsgespräche zu führen. Ziel sei eine stabile Regierung.

  • Michael Müller, SPD-Landeschef

  • Frank Henkel, CDU-Landeschef

  • Ramona Pop Grünen-Fraktionschefin

  • Klaus Lederer, Linke-Landeschef

  • Georg Pazderski, AfD-Spitzenkandidat

  • Sebastian Czaja, FDP-Generalsekretär

  • Reaktionen aus Brandenburg

  • Reaktionen aus der Bundespolitik

Einer Koalition mit der CDU von Spitzenkandidat und Innensenator Frank Henkel hatte Müller zwar vor der Wahl eine Absage erteilt, doch am Wahlabend erklärte der Regierende Bürgermeister, es sei "eine Frage des Anstands, dass selbstverständlich auch die bisherigen Koalitionspartner zusammenkommen und miteinander reden".  

Die Grünen könnten hier erstmals seit 2002 wieder in Regierungsverantwortung kommen. Spitzenkandidatin Ramona Pop hatte sich ebenso wie die Linken offen für eine Dreier-Koalition mit der SPD gezeigt. Es sehe so aus, "als ob eine Regierungsbildung an uns Grünen vorbei nicht mehr möglich ist", erklärte Pop am Sonntagabend. Für Rot-Schwarz-Grün stünden die Grünen aber nicht zur Verfügung.  


Mit der AfD will keine der anderen Parteien zusammenarbeiten. Wie zuvor in anderen Bundesländern dürfte die Partei auch in Berlin vom Unmut vieler Bürger über Merkels Flüchtlingspolitik profitiert haben. Die Rechtspopulisten sind nun in 10 von 16 Landesparlamenten vertreten.

Von einem "Riesenerfolg" sprach die AfD-Politikerin Beatrix von Storch: "Wir sind in der Hauptstadt angekommen." Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, äußerte sich besorgt über das Erstarken der Rechtspopulisten.

Die AfD konnte viele Nichtwähler mobilisieren, hat aber auch von den Verlusten der großen Koaltion profitiert. Das geht aus den ersten Ergebnissen der Wählerwanderung hervor. Danach verlor die CDU rund 37.000 Wähler an die AfD und 26.000 an die wiedererstarkte FDP. Die SPD verlor etwa 22.000 Wähler an die AfD und 20.000 an die Linke. Aus dem Lager der Nichtwähler wechselten sogar etwa 64.000 Berliner zur Alternative für Deutschland. Zu den Wahlgewinnern gehört auch die Linke. Sie konnte von Piraten, Grünen und der SPD jeweils gut 20.000 Wähler auf ihre Seite holen.

Hohe Wahlbeteiligung

Die Wahl des neuen Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen lief mir reger Beteiligung. Die Wahlbeteiligung war in diesem Jahr deutlich höher als bei der letzten Wahl 2011. 66,8 Prozent der 2,48 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, vor fünf Jahren waren es 60,2 Prozent.

Teilweise bildeten sich lange Schlangen bei der Stimmabgabe. So mussten Wähler beispielsweise in Kaulsdorf oder Schöneberg bis zu 20 Minuten warten, bis sie ihre Stimmen abgeben konnten. In einem Wahlbüro in Schöneberg wurden die Bürger zeitweise nur noch einzeln eingelassen, wie Geert Baasen, Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin, rbb|24 bestätigte. Der Andrang sei so hoch gewesen, dass die Beisitzer anders keine geheime Wahl mehr hätten garantieren können.

Bereits bei der Briefwahl wurde ein Rekord verzeichnet: Mehr als 21 Prozent der Wahlberechtigten stellten dafür einen Antrag.

Zur Abgeordnetenhauswahl waren knapp zweieinhalb Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Das sind rund 14.000 mehr als bei der vergangenen Wahl 2011, denn Berlin wächst.

21 Parteien schickten 927 Kandidaten ins Rennen, die meisten in allen zwölf Bezirken, einige aber auch nur in ausgewählten Bezirken. In den 78 Wahlkreisen bewarben sich 652 Kandidaten um Direktmandate. Die restlichen mindestens 52 Sitze im Abgeordnetenhaus werden nach Parteilisten vergeben.

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