BVV-Wahlen - AfD hat gute Chancen auf sieben Stadtratsposten

Mo 19.09.16 | 08:58 Uhr
Georg Pazderski (AfD) umringt von Journalisten (Quelle:dpa/Wolfgang Kumm)
Video: Abendschau | 19.09.2016 | Arndt Breitfeld | Bild: dpa

Die AfD schafft nicht nur den Einzug ins Abgeordnetenhaus, sondern auch in alle zwölf Berliner Bezirksparlamente. In voraussichtlich sieben Bezirken ist sie sogar so stark, dass sie rechnerisch Anspruch auf einen Stadtratsposten hätte. Sie hätte damit bundesweit erstmals politische Gestaltungsmacht.

Die rechtspopulistische AfD ist künftig in allen zwölf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) vertreten. Nach vorläufigem Endergebnis wird sie 64 Vertreter in die Bezirksverordnetenversammlungen entsenden können.

Der AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski hat eine konstruktive Oppositionsarbeit im Berliner Abgeordnetenhaus angekündigt. Man werde keine Fundamentalopposition betreiben, sondern da konstruktiv mitarbeiten, wo man die AfD lasse, sagte er am Montagmorgen dem rbb.

Auch die Linke ist nun, anders als nach der Wahl 2011, in allen Bezirksparlamenten vertreten.

Ohne Koalition in politische Verantwortung

Die AfD hat zudem rechnerisch Anspruch auf Stadtratsposten in sieben Bezirken. In Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick und in Pankow kann die Partei in die Rathäuser ziehen. In Pankow ist in den sozial schwächeren Gegenden das AfD-Wählerklientel groß, hier konnte sie auch Direktmandate für das Abgeordnetenhaus gewinnen. Doch es sind auch die West-Bezirke Spandau, Reinickendorf und das multi-kulturelle Neukölln darunter.

Mit der Übernahme von Stadtratsposten hätte die AfD deutschlandweit erstmals politische Gestaltungsmacht errungen, ohne dass sie hierfür einer Koalition bedarf. Während die Bezirksbürgermeister von der stärksten Fraktion oder von einer so genannten Zählgemeinschaft bestimmt werden, richtet sich die Besetzung der Stadtratsposten nach der Stärke der in der BVV vertretenen Fraktionen: Je mehr Sitze eine Partei in der BVV hat, desto mehr der insgesamt vier Stadträte darf sie stellen. Übersetzt in Prozentpunkte bedeutet das, dass in einer BVV mit vier Fraktionen eine Fraktion mit 15 Prozent Stimmenanteil einen Stadtrat stellen darf. Sind mehr als vier Fraktionen vertreten, ist die Hürde niedriger.

Franziska Giffey (SPD), Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln (Quelle: rbb)
Franziska Giffey: AfD-Stadträte sollen mal zeigen, was die können | Bild: rbb

Stadtrat trägt Verantwortung für mehr als 380.000 Menschen

In den anderen Parteien gab es vor der Wahl allerdings Überlegungen, mögliche AfD-Kandidaten nicht zu wählen. Mehrere Linke-Politiker sagten, sie könnten sich nicht vorstellen, einen AfD-Kandidaten auf den Stadtratsposten zu wählen. Theoretisch könnten mehrere Fraktionen gemeinsam so bestimmte Kandidaten verhindern. Andere Politiker wie die SPD-Bezirksbürgermeister von Neukölln, Franziska Giffey, erklärten, man müsse die AfD sachlich und fachlich stellen. Deren Vertreter müssten jetzt beweisen, was sie könnten. Giffey sagte dem rbb, der AfD-Kandidat habe in der Vorstellungsrunde gesagt, er wisse noch gar nicht, was ein Stadtrat eigentlich mache. "Da müssen wir mal schauen, wie das dann wird mit über 380.000 Menschen für die so jemand Verantwortung trägt".

Linken-Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales und stellvertretende Bürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf Dagmar Pohle (Quelle: imago/Sven Simon)
Kann sich nicht vorstellen, einen AfD-Stadtrat zu wählen: Dagmar Pohle (Linke) | Bild: imago/Sven Simon

Wahl enthalten oder demonstrativ fernbleiben

Die Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales und stellvertretende Bürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf Dagmar Pohle (Linke) kann sich nicht vorstellen, einen AfD-Stadtrat mitzuwählen, aber man werde akzeptieren müssen, wenn es einen Anspruch auf ein oder zwei Mandate im Bezirksamt gebe, dass die AfD diesen Anspruch auch wahrnehmen könne, sagte sie dem rbb. Allerdings könne sie sich nicht vorstellen, einen AfD-Stadtrat zu wählen.

Die Bezirksverordneten müssten die jeweiligen Stadtratskandidaten mit Stimmenmehrheit ins Amt heben. Im Falle der AfD könnte dies allerdings dadurch geschehen, dass sich die übrigen Fraktionen bei der Wahl enthalten oder demonstrativ der Abstimmung fernbleiben.

Die Linken-Politikerin Pohle hat zwar selbst gute Chancen der SPD den Bürgermeistersessel im Bezirk abzunehmen, zeigte sich aber tief enttäuscht über das Wahlergebnis.

Steglitz-Zehlendorf hat Schwarz-Grüne Mehrheit verloren

Im Südwesten, in Steglitz-Zehlendorf, muss CDU-Bürgermeisterkandidatin Cerstin Richter-Kotowski bangen, denn CDU und Grüne haben keine Mehrheit mehr, wie in den vergangenen zehn Jahren. Stattdessen gibt es nun eine AfD-Fraktion. Richter-Kotowski sagte dem rbb, man werde schauen, wie die Politik im Bezirk gestaltet werden könne. In der BVV sind aus vier Parteien in der zurückliegenden Legislaturperiode sechs Parteien geworden.  

Mit Informationen von Thorsten Gabriel, landespolitische Redaktion

Stadtratposten der AfD machen den Bezirken Sorge

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SPD liegt in fünf Bezirken vorn

Die SPD konnte in fünf der zwölf Bezirke die meisten Stimmen erringen: in Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Treptow-Köpenick. In Spandau profitierte sie von zweistelligen Verlusten der CDU und liegt nun mit 33,3 Prozent vor der Union (25,7 Prozent). AfD (16 Prozent), Grüne (7,6 Prozent), FDP (6,4 Prozent) und Linke (5,6 Prozent) werden der BVV ebenfalls angehören.

In Charlottenburg-Wilmersdorf schob sich die SPD ebenfalls auf den ersten Platz. Sie landete mit 25,1 Prozent vor CDU (21,6 Prozent) und Grünen (19,8 Prozent). FDP (10,3 Prozent), AfD (9,7 Prozent) und Linke (7,9 Prozent) sind ebenfalls in der BVV vertreten.

Auch in Tempelhof-Schöneberg ist nun nicht mehr die CDU stärkste Kraft. Die SPD gewann mit 24,6 Prozent vor den Grünen (21,9 Prozent) und der CDU (21,1 Prozent). Den Sprung in die BVV schafften außerdem die AfD (11,1 Prozent), die Linke (8,7 Prozent) und die FDP (6,8 Prozent). 

In Neukölln musste die SPD, die nach dem Rücktritt des beliebten Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky erstmals mit seiner Nachfolgerin Franziska Giffey in den Wahlkampf gezogen war, deutliche Verluste hinnehmen: Die SPD stürzte um 12,4 Prozentpunkte auf 30,4 Prozent. Sie blieb damit aber stärkste Kraft vor der CDU (16,3 Prozent), den Grünen (15,0 Prozent), der Linken (12,3 Prozent) sowie der AfD (12,7 Prozent) und der FDP (4,2 Prozent).

In Treptow-Köpenick konnte die SPD sich auf Platz eins behaupten. Sie kam auf 24,9 Prozent, gefolgt von der Linken (22,7 Prozent) und der AfD (20,2 Prozent). CDU (12,5 Prozent), Grüne (9,4 Prozent) und FDP (3,6 Prozent) schaffen ebenfalls den Einzug in die BVV.

Grüne gewinnen in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg

In Mitte verlor die SPD knapp. Neuer Spitzenreiter sind hier die Grünen mit 24,0 Prozent vor der SPD (23,6 Prozent) und der Linken (17,9 Prozent). Die CDU kam auf 13,5 Prozent und ist in der BVV ebenso vertreten wie AfD (9,9 Prozent), FDP (6,0 Prozent) und Piraten (3,5 Prozent).

Die Piraten, die klar aus dem Abgeordnetenhaus flogen, schafften es noch in eine zweite BVV: Auch in Friedrichshain-Kreuzberg übersprangen sie die für BVV-Wahlen erforderliche Drei-Prozent-Hürde und kamen auf 4,8 Prozent. Insgesamt sind in der BVV des Bezirks künftig acht Parteien vertreten - mehr als in jedem anderen Bezirk. Die meisten Stimmen erhielten die Grünen von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (32,7 Prozent), gefolgt von der Linken (20,8 Prozent), SPD (17,2 Prozent), CDU (7,7 Prozent) und AfD (6,2 Prozent). Auch die FDP schaffte mit 3,2 Prozent den Sprung in die BVV, ebenso die Satirepartei "Die Partei" (4,6 Prozent).

Linke gewinnt in drei Bezirken

In Pankow wird es in jedem Fall einen neuen Bezirksbürgermeister geben, weil der bisherige Amtsinhaber Matthias Köhne (SPD) nicht mehr antrat. Seine Partei fiel auf Platz drei zurück und erhielt 20,0 Prozent. Stärkste Kraft ist jetzt die Linke (21,1 Prozent), gefolgt von den Grünen (20,6 Prozent). Ebenfalls in der BVV vertreten sind AfD (13,3 Prozent), CDU (12,8 Prozent) und FDP (3,9 Prozent).

Die Linke verteidigte zudem den ersten Platz in Lichtenberg, sie kam auf 29,8 Prozent, gefolgt von der SPD (21,7 Prozent) und der AfD (19,2 Prozent). Die CDU kam auf 12,6 Prozent und ist damit ebenso vertreten wie die Grünen (8,2 Prozent). Piraten und FDP scheiterten mit jeweils 2,9 Prozent knapp. Hier könnte die Linken-Politikerin Evrim Sommer den Bürgermeisterposten für ihre Partei zurückerobern. Durch die Stärke der AfD reicht selbst eine Zählgemeinschaft aus SPD, CDU und Grünen nicht für eine Mehrheit der Stimmen aus. Die Linke als stärkste Fraktion könnte hingegen ihrerseits eine Zählgemeinschaft mit der SPD anstreben.

Auch in Marzahn-Hellersdorf blieb die Linke mit 26,0 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der AfD (23,2 Prozent), der SPD (18,3 Prozent), der CDU (17,2 Prozent) und mit einigem Abstand den Grünen (4,6 Prozent).

CDU verteidigt zwei Bezirke

Die CDU lag in zwei Bezirken vorn, drei weniger als 2011. In Reinickendorf kam sie auf 35,6 Prozent, die SPD auf 21,4 Prozent und die AfD auf 14,4 Prozent. Grüne (10,4 Prozent), FDP (6,6 Prozent) und Linke (5,4 Prozent) zogen ebenfalls in die BVV ein.

In Steglitz-Zehlendorf lag die CDU trotz Verlusten von elf Prozentpunkten vorn. Sie kam auf 28,4 Prozent, die SPD auf 22,6 Prozent und die Grünen auf 19,7 Prozent. Afd (10,5 Prozent), FDP (9,9 Prozent) und Linke (6,1 Prozent) schafften ebenfalls den Sprung in die Bezirksverordnetenversammlung.

Wahlberechtigt für die BVV-Wahlen waren alle Berliner bereits ab 16 Jahren sowie ebenfalls in der Stadt gemeldete EU-Ausländer.

Die BVV ist mit verantwortlich für die Selbstverwaltung der Bezirke. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört die Wahl des Bezirksbürgermeisters und der jeweils vier Bezirksstadträte, die bestimmte Ressort in ihrer Verantwortung haben - von Jugend über Wirtschaft bis hin zum Bauen.

BVV ist kein "echtes" Parlament

Im Unterschied zum Abgeordnetenhaus kann die BVV keine Gesetze beschließen. Sie kontrolliert das Bezirksamt und regt es mit Beschlüssen zum Handeln an. Die BVV stimmt aber beispielsweise auch über Bebauungspläne ab, entscheidet über bezirkliche Kultur- und Bildungsangebote und legt den Bezirkshaushalt fest (dem das Abgeordnetenhaus in seiner Haushaltsplanung zustimmen muss).

Es gilt die 3-Prozent-Hürde

Um in die BVV mit insgesamt 55 Verordneten einzuziehen, braucht eine Partei mindestens drei Prozent. Ab drei Mitgliedern können die Bezirksverordneten Fraktionen bilden. Die BVV trifft sich einmal im Monat, die eigentliche Arbeit findet allerdings zwischendrin in den Ausschüssen statt. Bezirksverordnete sind keine Vollzeit-Politiker, sondern ehrenamtlich politisch aktiv. Hierfür bekommen sie eine Aufwandsentschädigung.

Zuständig sind die Bezirke allerdings nur für Fragen, die nicht die gesamte Stadt betreffen. Sonst kann der Senat die Entscheidung zum Beispiel über ein bestimmtes Bauprojekt an sich ziehen.

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