#träumweiter - Radikale Ideen auf dem Prüfstand - Geraldines Traum: Privatsphäre im Netz

Fr 25.08.17 | 15:51 Uhr | Von Tobias Schmutzler und Antonia Märzhäuser
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Geraldine de Bastion fordert: "Kein Tracking im Netz ohne mein Einverständnis!" (Quelle: rbb/Antonia Märzhäuser)
Bild: rbb/Antonia Märzhäuser

Beobachtet zu werden, löst bei den meisten Menschen Unbehagen aus. Gegen das Werbetracking im Netz regt sich aber kaum Widerstand. Eine Frau will das ändern.

Die Werbewirtschaft hat einen Traum: den Traum von einem Menschen, der immer mit dem gleichen Browser am gleichen Laptop im Internet einkauft. Der die Browser-Daten regelmäßig mit seinem Smartphone synchronisiert. Die Werber träumen von einem Menschen, in dessen Wohnung ein Staubsaugerroboter herumfährt, der mit einer freundlichen, sanften Frauenstimme dem Kühlschrank sagt, dass er neue Milch beim Online-Lieferdienst bestellen soll.

Geraldine de Bastion hält das für einen Albtraum. Die Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich mit den Möglichkeiten des Digitalen, seit es das Internet gibt. Sie sagt: "Wir sind gerade an einem kritischen Zeitpunkt." De Bastion leitet den Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Verbraucherschutz im Internet stark macht. De Bastion will, dass Menschen jedes einzelne Mal um ihre Einwilligung gebeten werden, wenn ein Konzern ihre Daten erheben möchte. Und dass Menschen auch ablehnen können, ihre Daten abzugeben.  

Banner an der Wand des Vereins "Digitale Gesellschaft" mit der Aufschrift "Yes we scan" (Quelle: rbb/Antonia Märzhäuser)
Banner im Büro des Vereins "Digitale Gesellschaft"Bild: rbb/Antonia Märzhäuser

Ungezügelter digitaler Exhibitionismus

Diese Idee kommt einer Revolution gleich, denn bisher ist es ja so: Als Nutzer melden wir uns tagein, tagaus bei sozialen Netzwerken, Onlineshops und Smartphone-Apps an – und kaum noch ab. Was genau mit unseren Daten passiert, wissen wir nicht. Und so richtig interessieren tut es auch niemanden. Für eine Generation, die so auf Freiheit und Individualität setzt, ist dieser ungezügelte digitale Exhibitionismus erstaunlich. Geraldine de Bastion denkt, dass sich das Online-Tracking schon jetzt zunehmend in die Offline-Welt verlagert.

Vor Kurzem sorgte beispielsweise die Supermarktkette "Real" für Aufsehen, als sie in ihren Märkten große Werbedisplays aufstellte. Die Bildschirme zeigten nicht nur Reklame, sondern kleine Kameras filmten auch die Gesichter der Kunden, analysierten ihr Geschlecht und Alter – um dem Publikum passende Werbung zu zeigen. Was die Kunden wussten: dass sie gefilmt werden. Was sie nicht wussten: dass sie dabei zu Werbezwecken analysiert werden. Aus Imagegründen stellte "Real" die Tests wenige Wochen nach Einführung wieder ein.

Einwilligung – "Sonst gibt es keine Daten!"

Ginge es nach Geraldine de Bastion, müssten alle Kunden aktiv um Erlaubnis gefragt werden. Im Falle des Supermarkts hieße das: Jede Person, die einkauft, müsste mit ihrer Unterschrift zustimmen, gefilmt zu werden. "Sonst gibt es keine Daten!", fordert de Bastion. Ein solcher Umschwung würde viele Unternehmen schmerzen. Denn Daten sind ein riesiges Geschäftsmodell.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte im vergangenen Jahr Daten "die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts." Die CDU-Vorsitzende freut sich, wenn Unternehmen große Datenmengen zur Analyse nutzen. "Das Prinzip der Datensparsamkeit, wie wir es vor vielen Jahren hatten, kann heute nicht die generelle Leitschnur sein für die Entwicklung neuer Produkte", sagt Merkel.

Geraldine de Bastion (Quelle: rbb/ Antonia Märzhäuser)
Geraldine de Bastion | Bild: rbb/ Antonia Märzhäuser

Mit Browsern lässt sich schwer Politik machen

"Dieser Handel muss aufhören", sagt die Politikwissenschaftlerin de Bastion. Doch fällt es Privacy-Aktivisten wie de Bastion oft schwer, mit ihren Forderungen durchzudringen. Denn die Themen Privatsphäre und Datenschutz sind abstrakt und unsichtbar: Mit Browsern lässt sich nur schwer Politik machen. Mit der Überwachung von Bahnhöfen schon eher.

Außerdem ist das Thema noch zu jung, glaubt de Bastion: "Als Autos eingeführt wurden, hatte man auch kein Bewusstsein dafür, dass das alle zwei Jahre einen TÜV braucht." Deshalb hält sie ihre Forderung, dass Werbetracking nur noch mit ausdrücklicher Einwilligung erlaubt sein soll, in gewisser Weise für das digitale Pendant zur Anschnallpflicht im Auto.

Wer sich digital absichern will, ist bisher weitgehend auf sich allein gestellt. Oder setzt auf engagierte Mitmenschen. So haben Datenschutz-Aktivisten im Internet auf über 400 DIN A4-Seiten ein kostenloses "Privacy-Handbuch" verfasst.

Darin erklären sie zum Beispiel, wie Internetnutzer in ihrem Browser dafür sorgen können, dass sich Cookies von alleine zerstören. Einer der Autoren, der unter dem Codenamen Topo anonym bleiben will, fordert von der Politik: "Die natürlichen Bedürfnisse der Menschen nach Privatsphäre sollten Vorrang vor den kommerziellen Interessen der datensammelnden Industrie haben."

Staat als Entwickler neuer Software?

Große Hoffnungen setzt die Szene in die E-Privacy-Verordnung, die aktuell auf EU-Ebene verhandelt wird. Parallel dazu will de Bastion, dass es mehr und bessere Alternativen zu den Internet-Giganten gibt. Soll also der Staat selbst neue Programme entwickeln, zum Beispiel einen Tracking-resistenten Browser?

Nein, sagt die Politikwissenschaftlerin: "Aus meiner persönlichen Erfahrung aus dem entwicklungspolitischen Bereich kann ich sagen: Ich finde es nie eine gute Idee, wenn der Staat Entwickler von Software ist. Stattdessen gibt es viele Möglichkeiten, wie der Staat freie Software-Entwicklung fördern kann." 

Kurz erklärt

  • Die E-Privacy-Verordnung

  • Open-Source

Das findet auch der Netzaktivist und frühere "WikiLeaks"- Sprecher Daniel Domscheit-Berg: "Wir verblasen Subventionen in Milliardenhöhe für alle möglichen Dinge. Aber es wird fast nichts subventioniert, was mit der Erforschung von Technologien zu tun hat, die sich im Privacy-Sektor befinden." Domscheit-Berg hat kein Verständnis dafür, dass wenig Geld in die Entwicklung von Open-Source-Software gesteckt wird. Damit ist Software gemeint, deren Quelltext öffentlich einsehbar ist – ganz im Gegensatz zur Software der meisten Unternehmen, die laut Domscheit-Berg eher an "schwarze Kisten" erinnerten, deren genauer Inhalt unklar sei. 

 

Bleibt das Gegenargument, dass der Datenhandel ein Wirtschaftsmodell der Zukunft bleiben dürfte, von dem auch Kunden profitieren. Selbst in Branchen, bei denen man es auf den ersten Blick nicht erwarten würde, haben Daten in Konzernhand zu erstaunlichen Innovationen geführt. Das 2011 gegründete Startup Flixbus beherrscht heute den Fernbusmarkt. Überraschend ist: Die meisten Mitarbeiter bei Flixbus sind nicht etwa Busfahrer – sondern Programmierer.

Die IT-Fachleute greifen auf Nutzerdaten zurück, zum Beispiel aus der Flixbus-App, um die deutschlandweiten Fahrpläne zu verbessern. Hier gibt der Kunde also seine Daten ab, doch dafür kommt vielleicht auch der nächste Fernbus, mit dem er fahren will, zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

"Ganz schlimm, wenn Politiker ohnmächtig tun"

Daniel Domscheit-Berg (Quelle: rbb/Antonia Märzhäuser)
Daniel Domscheit-Berg | Bild: rbb/ Antonia Märzhäuser

Trotzdem bleiben die Datenschützer skeptisch. Topo vom "Privacy-Handbuch" sagt: "Wir stehen erst am Anfang der umfassenden Datenauswertung. Es wird noch viel schlimmer werden."

Kämpferischer ist Geraldine de Bastion: Wenig nervt sie mehr, als wenn Politiker beim Thema Internet Ohnmacht vorgeben. "Ich finde es immer ganz schlimm, wenn seitens der Politik so getan wird, als wenn man sich den Entwicklungen hingeben muss."

Daniel Domscheit-Berg ist dennoch auch optimistisch: "Das Individuum ist in unserer vernetzten Gesellschaft größer als je zuvor." Als Vorbild sieht er Max Schrems. Der österreichische Anwalt sorgte 2015 mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof dafür, dass ein ganzes Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA neu ausgehandelt werden musste. Beschwerden helfen also manchmal. Träume vielleicht auch.

Das sagen die Parteien

  • Die CDU wolle dazu ein Datengesetz erarbeiten, hieß es auf Anfrage: "Dieses soll den generellen Zugang zu Daten für wirtschaftliche Zwecke ebenso regeln wie Befugnisse der Sicherheitsbehörden und berechtigte Datenschutzinteressen der Bürgerinnen und Bürger." - CDU-Berlin

  • Als Ziel ihrer Datenpolitik definiert die SPD das Recht auf Privatsphäre. Sie schreibt in ihrem Wahlprogramm aber auch, dass sich Datenschutz und die Nutzung von Daten als wirtschaftliches Potential nicht ausschließen. Wie Gesetze und Regelungen genau aussehen sollen, bleibt offen. Das gilt auch für das Thema Open-Software. Auf Nachfragen von rbb|24 hat die SPD nicht geantwortet.

  • Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen, stimmt mit der Forderung überein: "Tracking im Netz ohne die ausdrückliche Einwilligung des Benutzers muss unterbunden werden. Ein Weitergeben der eigenen Daten darf aber nicht den Verlust dieser bedeuten. Es muss weiterhin möglich sein, auf diese zugreifen zu können bzw. das Nutzungsrecht dem Staat oder einem Unternehmen zu entziehen und damit eine Löschung der Daten zu bewirken."

  • Die Grünen setzen auf den "Grundsatz der Unüberwachtheit" im Digitalen. Beim Thema Open-Source gehen sie weiter als die anderen Parteien: Sie wollen Standards für Software einführen: "Die anonyme bzw. pseudonyme Nutzung von Internetdiensten ist aus guten Gründen durch das Telemediengesetz verbrieft und wird von der Rechtsprechung anerkannt." Nutzer sollen ihre Geräte auch unabhängig vom Willen des Herstellers beispielsweise mit Sicherheitsupdates ausrüsten können. Der Begriff "Tracking" taucht jedoch weder im Wahlprogramm noch in der Antwort auf unsere Anfrage auf.

  • Die Linke begrüßt die Forderung. "Um Privatsphäre im Internet unter der Bedingung des permanenten Datenflusses zu gewährleisten, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur mit einem Recht auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in persönlicher Kommunikation realisierbar – ohne Hintertüren."

  • Die Berliner AfD sieht die Forderung kritisch und ist gegen restriktive Regulierungen. Es gebe dazu keine offizielle Meinung, aber: "Konsumenten müssen selbst die Risiken abwägen, die sie eingehen. Die Konsumenten entscheiden freiwillig, was sie von sich preisgeben. Jeder sollte sich lieber zweimal Gedanken darüber machen, ob er bestimmte – oberflächlich betrachtet: kostenfreie – Dienste nutzen will."

Beitrag von Tobias Schmutzler und Antonia Märzhäuser

4 Kommentare

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  1. 4.

    Der Browser Icecat aus dem Hause Mozilla (basiert auf Firefox) tut genau das im Web: Tracking unterbinden, möglichst viele Verbindungen zu verschlüsseln, damit keiner mitliest, und JavaScript wird nicht standardmäßig aktiviert, um wiederum Tracking zu vermindern. Doch es interessiert die Kunden offenbar nicht, und so verwenden sie den König der Tracker Chrome von Google oder eine Virenschleuder von Microsoft (Internet Explorer bzw. Edge)...
    Bei den Telefonen wird gerade eines entwickelt, das gar nicht trackt, nämlich das Librem 5 von http://puri.sm/ .

  2. 3.

    Und gegen das lästige Tracking Problem gibt es ordentliche Browser mit Adblocker-Erweiterungen.
    Wenn eine irgendein Internetseitenbetreiber das nicht schnallt, wie z.B. die BLÖD-Zeitung, dann verzichte ich eben auf die Seite, mir reichen auch News oder Headlines in den Suchmaschinen.
    Sollen doch die Medien kostenpflichtige Zeitungen ins Netz stellen, einer kauft es dann und einer nicht, je nach Vorliebe.
    Man sollte natürlich auch die Fotos nicht mit GP-Metadaten in die Welt rum posten...
    Ich finde eine Regelung per Gesetz weitestgehend überflüssig.

  3. 2.

    Privatsphäre im Netz gibt es doch schon, Verschlüsselung, VPN, Tor, man muss sich natürlich in dem Sozialen Netzwerken weniger selbst darstellen!

  4. 1.

    Ich denke ganz einfach, es liegt an dem Motto, alles auf leichteste Weise haben zu wollen, ohne zu sehen, dass alles seinen Preis hat. Mehr noch als im materiellen Sinne im immateriellen, sprichwörtlichen Sinne: Wer sogar sein Kaugummi unter Wert von einem Euro per Kundenkarte bezahlt - wie mit eigenen Augen in einem Supermarkt am Kottbusser Tor gesehen - und das andere erst recht, der braucht sich eben nicht zu wundern, wenn er zum gläsernen Kunden wird. Dann werden eben alle Daten eingespeist. Mit Bargeld, das keinen Hinweis auf den Nutzer zulässt und zudem die Fähigkeit zum Rechnen wach hält, passiert das eben nicht.

    Der Traum ist in Wirklichkeit eine pure Selbstverständlichkeit. Allerdings nicht i. S. einer Forderung an den Staat, sondern der Handlung jedes einzelnen Menschen. Wer es lästig findet, sich Gedanken zu machen, sodass das Maschinen abnehmen sollen, braucht sich über technische Bevormundung nicht groß ereifern. Handelt selbstmündelnd.

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