Konzertkritik | K-Pop-Band Day6 in Berlin - So glatt wie frisch gewischte Badfliesen
Koreanische Popmusik, kurz K-Pop, fristet hierzulande eher ein Nischendasein - umso enthusiastischer waren die Fans, dass am Dienstag die Poprock-Gruppe Day6 in die Berliner Columbiahalle kam. Jakob Bauer sah allerdings mehr Künstlichkeit als Kunst.
Gleich nach der Werbung geht's los! Aber Moment: Eigentlich sind wir hier nicht im Kino, sondern bei einem Konzert, für das Fans zwischen 60 und 170 Euro Eintritt gezahlt haben ...? Egal: Beim ersten Deutschland-Konzert von Day6 läuft vorne auf dem großen Bildschirm erstmal zehn Minuten lang Werbung, für 2PM und die Wondergirls, JY Park und Susy, GOT7 - und Day6. Kurz: für eine Reihe K-Pop-Künstler, die alle bei dem südkoreanischen Label JYP Entertainment unter Vertrag stehen. Besser gesagt: Die sich das südkoreanisch Label JYP Entertainment ausgedacht hat.
Denn Day6, das sind mitnichten fünf Freunde, die seit ihrer Kindheit zusammen Musik machen und sich aus kleinen Hinterzimmer-Kaschemmen auf die großen Bühnen gearbeitet haben. Day6 sind ein professionell durchgestyltes Entertainment-Produkt, gegründet, um kommerziellen Erfolg zu haben und de facto im Besitz von JYP. Und das ist auch kein Geheimnis.
Trotzdem ist der Empfang durch die tobenden Fans in der ausverkauften Columbiahalle schlicht umwerfend, leidenschaftlich und vor allem laut. Die Musik ist an am Dienstagabend nur ein zweitrangiger Grund für einen Ohrenschutz - das hochfrequente Kreischen, das in den zweieinhalb Stunden Show kaum mal nachlässt, schon eher.
Sie schauen halt so gut aus…
Die fünf Jungs spielen sanften Pop-Rock mit Rap-Einflüssen, so glatt wie frisch gewischte Badfliesen, nicht sonderlich exotisch, sondern eigentlich ziemlich westlich. Nett sind die Anleihen an die 60er Jahre - mit Beatles- und Beach Boys-Harmonien, tanzbar die Disco-Nummern, maximal schwülstig die Schmalz-Balladen.
Gesungen wird von allen (außer dem Schlagzeuger) in ausnahmslos hohen Stimmlagen, es geht immer um Liebe: um das Geliebtwerden, das Lieben, das Verlassenwerden, das Verlassen, Schwärmereien und Einsamkeiten. Zusammengefasst: Auf einer potenziell vielstimmigen zerbrechlichen Klaviatur der Emotionen hämmern Day6 recht eindimensional rum. Aber ach: Die Buben schauen halt so gut aus und sind so herzig.
Viel Charakter, wenig Inhalt
Und das ist ja auch eines der Konzepte des K-Pops als Produkt: Personality. Die Musik ist nicht unwichtig, die muss schon passen. Aber viel wichtiger ist das gute, alte Boyband-Ding: Alle verkörpern einen bestimmten Charakter, damit die Fans auch ihre Favoriten haben können. So gibt's den Verwegenen, den Kantigeren, den Schönling, den Milchbubi und den Witzbold. Und gemeinsam erleben sie als Band große Abenteuer.
Beweisstück A: Vor den Zugaben läuft auf der Leinwand ein zehnminütiger Film, der eigentlich keinen Inhalt hat. Die grobe Rahmenhandlung: Day6 freuen sich auf ihre erste Europa-Tour. Dann gehen sie essen und stellen dabei fest, dass bei Konzerten Videos total wichtig sind. Also verteilen sie untereinander Aufgaben und versuchen dann, ein Video im Video zu drehen. Der eigentliche Sinn des Einspielers ist es, die Jungs, beziehungsweise ihre Charaktere in dieser Band, "besser kennenzulernen". Also zeigt man sie beim Herumalbern, wie sie sich gegenseitig necken oder an der Hand nehmen.
Damit auch ja kein Zweifel aufkommt, wie man das alles deuten soll, steht da dann auch noch in bunten Lettern und gebrochenem Deutsch: "Day6 Jugendfilm! Emotional!" Als Day6 am Ende des Videos dann Kopf an Kopf auf den Boden liegen, ist das Geschrei in der Columbiahalle einmal mehr gigantisch. Ein Produkt? Ja. Aber eben auch leidenschaftlicher Eskapismus pur, für eine vor neuen, aufregenden Emotionen rasende Menge vornehmlich weiblicher Teenager.
Der fade Beigeschmack frisch gedruckter Banknoten
Allerdings schaffen Day6 den Spagat, trotz der Künstlichkeit nicht komplett unrealistisch zu wirken. Da ist schon Bühnen-Chemie vorhanden, auch ihre Instrumente beherrschen sie tadellos und die Blödeleien zwischen den Songs und Liebesbekundungen zu den Fans wirken auch nicht zu aufgesetzt - auch wenn das zuckersüße Lächeln manchmal zu lange stehen bleibt und manche Elemente der Show schon echt ins Skurrile abdriften. Es gibt eine Simultanübersetzerin, die die englischen Ansagen ins Deutsche übersetzt. Das ist in etwa so Rock'n'Roll wie eine zu lange getoastete Scheibe Brot.
Bei den Zugaben tragen Day6 die T-Shirts, die es beim Merchandise-Stand zu kaufen gibt. Und trotz kreischender Fans, Konfettikanonen und Luftschlangen, Liebesbekundungen und Tränen bleibt so an diesem Abend auch der fade Beigeschmack frisch gedruckter Banknoten.
Sendung: Inforadio, 23.01.2019, 07:55 Uhr