Konzertkritik | Lee Fields & The Expressions im Columbia Theater - Soul, Funk und Liebe für alle!

Sa 27.04.19 | 09:26 Uhr
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Lee Fields amp The Expressions.
Audio: Inforadio | 27.04.2019 | Steen Lorenzen | Bild: imago images / CHROMORANGE

Wenn Lee Fields auf die Bühne geht, ist das eine Zeitreise. Denn der bald 70-jährige Soulsänger blickt auf eine 50-jährige Karriere zurück. Am Freitag hat er das Berliner Publikum mit seiner Energie und seiner Liebe verzückt. Von Steen Lorenzen

Es gibt nicht mehr viele Soulmusiker, denen man heute noch einen Teppich aus Sound ausrollt. Denn nur wenige können diesen in guter alter Showmanier glaubhaft betreten. Lee Fields gehört zu diesen Musikern. Seine fünf Mitstreiter spielen sich am Freitagabend im Columbia Theater minutenlang warm, erst dann wird der Meister angekündigt.

So soll es sein, so betritt Lee Fields seit 50 Jahren die Bühnen der Welt. Am Anfang waren sie klein, verraucht und schmutzig, als Lee Fields in den 70er Jahren sich bis zur Bühnenrampe vorarbeitete. Mit Deep Soul und Funk, mit einer Stimme und Tanzschritten, die an James Brown erinnerten – man nannte ihn Little JB. Klein ist er tatsächlich, ein kompaktes Energiebündel erobert in Berlin die Bühne - mit einem allwissenden Lächeln. Denn Lee Fields weiß, dass ihm selbst das gerne mal verquatschte und distanzierte Berliner Publikum nicht widerstehen wird.

Sein Jackett glitzert in apricot-pinken Farben, während die Band ganz in Schwarz und nahezu ungerührt an seiner Seite spielt. Seit fast acht Jahren sind die Expressions Pulsgeber für den Soulsänger. In Berlin spielen sie mal geschmeidig, dann stoisch und schließlich so zackig und scharf, dass Fields in Trippelschritten über die Bühne hibbelt.

Vom Staub der Geschichte befreiter Soul

Lee Fields und seine Band spielen den alten Soul, aber sie haben den Staub abgeklopft. Man spürt den Rucksack der Geschichte nicht, obwohl Vergangenes mitschwingt: Das Fragen und das Antworten von Gospelchor und Gemeinde, die Geschichte des Rassismus, der Widerstand und das Prinzip Hoffnung, das sich durch die Soulmusik zieht. Und Liebe! Lee Fields teilt sie großzügig mit seinem Publikum.

Nicht mit jedem Song ist der bald 70-Jährige allerdings im Jahr 2019 angekommen. Einmal schlüpft er in die Rolle des alten Mannes, der eine sehr viel jüngere Frau bittet, ihn nicht zu verführen. Und auch seine alle "Ladys" umarmenden Hymne klingt ein wenig schmierig.

Dass er sich vor Frauen verneigt, ist aber konsequent. Sein Comeback ist undenkbar ohne Amy Winehouse, die in den 2000er Jahren das Soul-Revival ins Rollen gebracht hat. Ein Geschenk für eine ganze Generation längst vergessener Soulkünstler wie Sharon Jones oder Charles Bradley. Doch die sind inzwischen für immer abgetreten und bei jenem Gott, an den auch Lee Fields sich bei seinem Konzert im Columbia Theater in Berlin wendet.

Schweißtreibendes Finale vor begeistertem Publikum

Damit setzt er auch zum Schlussspurt an und streift sein glitzerndes Jackett ab. Nun sind alle auf der Bühne ganz in schwarz. Vor der Bühne ist das Publikum außer sich. Das passiert nicht oft in Berlin. Entrücktes Lächeln überall. Was immer Fields jetzt ruft, er bekommt eine Antwort.

Der Funk wird rauer, die Stimme von Lee Fields auch. Man sieht ihm an, dass er nun hart arbeiten muss. Er zittert vor Anspannung und will sein schwarzes Handtuch gar nicht mehr loslassen, wischt immer wieder den Schweiß von der Stirn. Dann verlässt er die Bühne, die Band spielt weiter und der Bassist kündigt gnadenlos an, dass der Meister nach dem Konzert noch Autogramme geben wird. Kaum zu glauben. Doch tatsächlich taucht Lee Fields kurz nach seinem Auftritt am Merchandise-Stand auf und nimmt sich für alle seine Fans Zeit.

Vorher aber kommen noch die Zugaben: nochmal tiefer Soul und eine weitere aufgekratzte Funk-Ekstase. Am Ende fühlen sich alle - Gott hin oder her - gesegnet von Lee Fields und mit seiner - ja, das muss das letzte Wort sein - Liebe.

Sendung: Inforadio, 27.04.2019, 08:50 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Lieber Steen Lorenzen, es waren übrigens "sechs" Mitstreiter. Ansonsten war es ein grossartiges Konzert.

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