Kommentar | Volksbühne mit René Pollesch - Zurück zu neuen Ufern

Mi 12.06.19 | 15:36 Uhr
12.06.2019, Berlin: Rene Pollesch, Theaterregisseur und Autor, spricht bei einer Pressekonferenz zur "Zukunft der Volksbühne" (Quelle:dpa/Britta Pedersen).
Video: Abendschau | 12.06.2019 | Christian Titze | Bild: ZB

Mit René Pollesch wird einer der prägenden Regisseure der Ära Castorf neuer Intendant der Berliner Volksbühne. Die Chance für einen Neuanfang hat Kultursenator Lederer damit vertan - doch Pollesch könnte dem Haus zu neuer alter Größe verhelfen. Von Fabian Wallmeier

Nun also René Pollesch: Nach der heftig umstrittenen Kurz-Intendanz von Chris Dercon und dem gerade begonnenen Konsolidierungskurs unter Klaus Dörr setzt Kultursenator Klaus Lederer (Linke) auf die Kehrtwende. Mit Pollesch wird einer der prägenden Regisseure der zweiten Hälfte der Ära Castorf ab 2021/2022 neuer Intendant der Berliner Volksbühne.

Lederers Weg des geringsten Widerstands

Für den Kultursenator ist die Ernennung durchaus ein Coup, aber auch der Weg des geringsten Widerstands. Pollesch ist ein gefeierter Autor und Regisseur auf der Höhe der Zeit. Er hat ein unverwechselbares Theater etabliert, das sich zuletzt auch inhaltlich stetig weiterentwickelt hat. Pollesch kennt die Volkbühne und ihre Mitarbeiter*innen und könnte im Haus zu einer Befriedung führen.

Ein Beweis für die kulturpolitische Innovationskraft des Senators ist die Entscheidung nicht. Ein solches Signal hätte er vielleicht senden können, indem er sich zu Klaus Dörr bekannt hätte. Der war zwar vor allem als Konsolidator angetreten und hatte zunächst vor allem mit hochkarätigen Gastspielen die Kasse aufgebessert. Doch was er und sein Team in den kommenden beiden Spielzeiten vorhaben, klingt tatsächlich nach mehr als reiner Pausenfüllerei. Ein neues Ensemble wird aufgebaut, der bildstarke Mythen-Neuerfinder Thorleifur Örn Arnarsson setzt als Schauspieldirektor Akzente, Hausregisseurin Lucia Bihler bringt an prominenter Stelle feministische Perspektiven ein - das alles hätte durchaus eine Zukunft verheißen können.

Intendant ohne Leitungserfahrung

Was mit dem Blick auf das Dercon-Desaster gern vergessen wird: Es gab gute Gründe, die Ära Castorf zu beenden, allen Protesten zum Trotz und obwohl das nahende Ende noch einmal zu einer großen finalen Revitalisierung am Rosa-Luxemburg-Platz führte. Vieles an der Volksbühne hatte sich festgefahren, das einst revolutionäre Castorf-System war museal gereift, entwickelte sich aber oft nicht mehr weiter.

René Pollesch hat keine Erfahrung im Leiten eines großen Theaters, sieht man mal von der Kuratierung des Praters der Volksbühne zwischen 2001 und 2007 ab. Das hat er übrigens mit Chris Dercon gemein, der zuvor große Museen geleitet hatte. Pollesch war zuletzt immer mehr ein Theater-Nomade, der landauf landab inszenierte. Ob es ihm gelingt, den Theatertanker Volksbühne zu steuern, ist fraglich - und hängt davon ab, wen er mit in sein Leitungsteam holt.

"Ich bin ganz klar von Castorf zu unterscheiden"

Nun zu nörgeln, die Volksbühne mache mit Pollesch einen Schritt zurück zu Castorf, wäre jedoch ungerecht. Pollesch ist ein autonomer Künstler. "Ich bin ganz klar von Castorf zu unterscheiden", schreibt er fast trotzig in einer Art Manifest, aus dem er am am Mittwoch bei der Pressekonferenz vorlas. Von Castorf-Beweihräucherung ist dort kaum eine Spur, Pollesch versucht vielmehr, sich bei aller Wertschätzung deutlich abzugrenzen. "Was man fortsetzen kann an der Volksbühne, ist weiterhin nicht alles richtig zu machen", heißt es an einer Stelle. Also keine Rückkehr zu alten Ufern, aber vielleicht so etwas wie eine Rückkehr zu neuen Ufern.

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und der künftige Intendant der Berliner Volksbühne, René Pollesch, am 12.06.2019 auf einer Pressekonferenz (Quelle: dpa / Britta Pedersen)
Lederer und Pollesch auf der Pressekonferenz | Bild: dpa / Britta Pedersen

Zwar kehren mit Pollesch nun einige der großen Volksbühnen-Stars zurück: Martin Wuttke, Fabian Hinrichs, Kathrin Angerer und Sophie Rois werden künftig wieder am Rosa-Luxemburg-Platz spielen. Aber er plant natürlich auch Neues: Vegard Vinge und Ida Müller, die am Prater der Volksbühne legendäre Totaltheaternächte inszenierten und sich fast genauso legendär mit Castorf verkrachten, sollen nun das große Haus bespielen, "repertoirefähig", wie Pollesch betont, also mit im Spielbetrieb auf- und abbaubaren Bühnenbildern und nicht mit temporären Theaterräumen, in denen dann für ein paar Wochen gespielt wird. Ein Name, den Pollesch bei der Pressekonferenz besonders oft nannte, war Florentina Holzinger. Sie ist bislang eher mit teils sehr kontroversen Tanz- und Performance-Arbeiten aus kleinen Häusern bekannt. Auch sie soll auf der großen Bühne inszenieren, neben der fest etablierten Choreographin Constanza Macras - Dercons Ansatz, die Volksbühne verstärkt für Tanz zu öffnen, wird also auch unter Pollesch Bestand haben.

Autorschaft als treibende Kraft

Was aber von dem Wenigen, das bisher über Polleschs Pläne bekannt ist, am zukunftsweisendsten sein könnte, ist die radikale Akzentuierung: Der klassische Regietheaterregisseur, der Texte vorfindet und nach seinem Gutdünken umformt, wird an der Volksbühne einen schweren Stand haben. "Es fehlt in Berlin ein Haus, das von einem Autor geleitet wird, mit dem auch eine bestimmte Arbeitspraxis verbunden ist", lautet der Beginn seines Manifests. Es ist eine Arbeitspraxis, die schon beim Schreiben die Gewerke vom Bühnenbild über die Kostüme bis zu den Darstellenden mitdenkt und aktiv einbezieht. "Das autonome Zusammenarbeiten Mehrerer, die Autonomie nicht hermetisch denken, ermöglicht, dass sich Theater nicht dem Befehl der Alleinherrschaft der Regie über eine Produktion oder gar ein ganzes Theater unterwirft", schreibt Pollesch später.

Das klingt in der Tat ganz und gar nicht so, als wäre es ihm von Castorf eingeflüstert worden. Wie genau nun Polleschs Autor*innenbegriff sich auf das Theater als Ganzes auswirkt und welche anderen Formen von Autorschaft er möglich macht, könnte tatsächlich eine der spannenderen Fragen sein, die das Berliner Kulturleben der kommenden Jahre bestimmen wird.

Sendung: Abendschau, 12.06.2019, 19:30 Uhr

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