Konzertkritik | Sunn O))) in Berlin - Sauna-Abend mit verzerrten Stromgitarren

Mi 31.07.19 | 08:26 Uhr
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Die Band Sunn O))) im Festsaal Kreuzberg (Quelle: rbb/Dietel)
Bild: rbb/Dietel

Extreme Langsamkeit, extremer Minimalismus, extrem dunkler Gitarrensound - so klingt "Drone Doom". Sunn O))) sind die bekanntesten Vertreter dieses Genres und haben im Festsaal Kreuzberg auch für körperliche Extreme gesorgt, findet Bruno Dietel.

Im Festsaal Kreuzberg herrscht drückende, schwüle Hitze. Der Saal ist gerammelt voll, das Publikum international und überwiegend dunkel gekleidet. Schon vor Konzertbeginn ist allen klar: Trocken kommt hier heute Abend niemand mehr raus, im Gegenteil. Als dann mehrere Nebelmaschinen anspringen brandet Jubel auf. Zehn Minuten pusten die Nebelmaschinen ununterbrochen, die Sicht liegt längst unter drei Metern. Der Jubel ist verstummt und einer gespannten Stille gewichen, die plötzlich von Gitarren zerschnitten wird.

Sound wie landende Hubschrauber

Sunn O ))) betreten die Bühne – das stumme "O" im Bandnamen und die drei Klammern sollen Schallwellen darstellen. Diese Schallwellen sind im Festsaal Kreuzberg von Beginn an körperlich in einer Intensität zu spüren, was mit einem normalen Konzerterlebnis nur noch wenig zu tun hat. Es fühlt sich an wie ein Chor aus Schiffshörnern, wie mehrere nebeneinander landende Hubschrauber. Die Bassfrequenzen wabern durch den Raum wie der dichte Nebel, die Magengrube vibriert. Die Musiker in schwarzen Kutten sind nur schemenhaft zu erkennen, eher im dichten Nebel zu erahnen. Nur die Lampen der Verstärker leuchten wie Augen von wilden Tieren im Wald.

Gitarren schreien wie Kettensägen

Die Stimmung der Gitarren ist bei Sunn O)) um einen Ganzton nach unten versetzt – das lässt sie noch dunkler klingen. Die Signale werden durch unzählige Verstärker gejagt. Eine breite Wand aus Boxen ist hinter jedem Instrument aufgebaut. Das kann brutal laut werden, ist es an diesem Abend aber in keiner Sekunde. Akkordwalzen schieben sich in Zeitlupe durch den Festsaal, Obertöne flirren im Ohr, düstere Melodien brechen auf. Und Gitarren schreien wie Kettensägen, die gleich im Holz feststecken.

Die Frequenzen bringen das Hallendach so sehr in Schwingung, dass trockene Blätter aus den Ritzen nach unten fallen. Kein Absetzen, kein Innehalten, keine Pause – nur ewig lange Akkordwechsel. Fast schon in Zeitlupe geben sich die Musiker Handzeichen, die eher an ein Dirigat erinnern. Den musikalischen Höhepunkt setzt nach gut einer Stunde die Posaune, die den aussichtslosen Kampf gegen die unbarmherzige Gitarrenwucht aufnimmt.

Dieses Konzert hat etwas zutiefst Spirituelles – die Menschen haben die Augen geschlossen, wippen vollkommen in sich gekehrt vor und zurück. Das Entzückende: Es sind endlich mal kaum Smartphones zu sehen. Shirts und Hosen sind längst vom Schweiß durchnässt – und das, obwohl man keinen einzigen Tanzschritt getan hat. Als Sunn O))) ihre Gitarren zwischen den Verstärkern einklemmen, die Kapuzen abnehmen und die Hände hochreißen, ist allen klar: Hier geht nach 90 Minuten eine musikalische wie körperliche Grenzerfahrung zu Ende, ein Saunaabend mit elektrisch verzerrten Gitarren.

Am Mittwochabend (31. August) spielen Sunn O))) noch ein zweites Konzert im Festsaal Kreuzberg, auch wieder im Rahmen des CTM-Festivals. Für das Konzert gibt es noch Restkarten (Stand Mittwochfrüh).

Sendung: Inforadio, 31.07.2019, 6:55 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Sunn O))) hatte ich auf dem Zettel. Den Artikel mochte ich erst nicht lesen, weil ein Tag später dran. Leider keine Aussage zur Einmannvorband, die gut vorbereitete, vielleicht zu sehr, weil Erwartungshaltungen bedient wurden. Nach etlichem Installieren ging es los mit den Nebelmaschinen, die nur die Bühne und einige Meter davor schafften.
    Dunst als Gunst. 21:31 Uhr, Nebel, die Kutte sitzt. Die Rock-Op(((a)))er-Gebetsstunde begann; erst nach dem Posauneneinsatz, der gesten nicht als Höhepunkt im zweiten Drittel sondern viel früher geschah. Schöne Idee auch die Keyboard-Untermalungen. Dann der Gesang. Tuva und viel Predigt in – zum Glück – für mich unverständlichem Gebrabbel. Die A cappella-Einlage war dennoch eindringlich, hatte ich erstmal den aufgeladenen Ballast von der Stimmleistung weg abstrahiert. Schön ist’s, wenns vibriert – trotz nebulöser Botschaften (Koyaanisqatsi), für einmal gut.

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