Interview | Saisonauftakt Berliner Philharmoniker - "Würden Sie Bayern München als schwierig bezeichnen?"

Fr 23.08.19 | 13:44 Uhr
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Alexander Bader Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker
Audio: Inforadio | 23.08.2019 | 09:45 Uhr | Interview mit Alexander Bader | Bild: Sebastian Hänel

Am Wochenende starten die Berliner Philharmoniker mit ihrem neuen Chefdirigenten in die Saison. Kirill Petrenko gilt als scheu und auch schwierig. Klarinettist Alexander Bader hat ganz andere Erfahrungen mit dem Maestro.

rbb|24 überträgt das Open-Air-Konzert am 24.08.2019 ab 20:15 Uhr im Live-Stream.

rbb: Alexander Bader, bei den Berliner Philharmonikern startet vier Jahre nach seiner ziemlich nervenaufreibenden Wahl Kirill Petrenko als Chefdirigent - Festkonzert am Brandenburger Tor inklusive. Wie würden Sie die Stimmung im Orchester gerade beschreiben

Alexander Bader: Gelassen euphorisch, auch gespannt. Nervosität weniger, das würde so klingen als ob etwas schief gehen könnte. Und das Gefühl habe ich überhaupt nicht im Orchester. Man ist wirklich voller Vorfreude. Kirill Petrenko hat ja im letzten Jahr auch schon die Saisoneröffnung dirigiert - noch nicht als amtierender Chef - und hat eine fulminante siebte Sinfonie von Beethoven gemacht. Das hat natürlich auch die Vorfreude auf die ausstehende neunte Sinfonie so groß werden lassen im Orchester. Wir haben volles Vertrauen, weil eben nicht nur das Eröffnungskonzert letztes Jahr, sondern auch die anschließende Tournee oder die anderen Konzerte, die er mit uns gemacht hat, alle Erwartungen mehr als erfüllt haben.

Sie kennen Kirill Petrenko schon lange aus Ihrer Zeit als Solo-Klarinettist im Orchester der Komischen Oper hier in Berlin. Beschreiben Sie doch mal eine typische Probe?

Es wird sehr intensiv gearbeitet. Ich möchte das keinem anderen Dirigenten absprechen, aber Kirill Petrenko arbeitet mit einer Detailversessenheit, bis etwas wirklich perfekt zusammen ist. Wie er das schafft, bleibt vielleicht sein Geheimnis - aber es ist immer sachorientiert. Man wiederholt Dinge nur, wenn es noch nicht perfekt genug ist, und jeder weiß worum es geht.

Wussten Sie damals an der Komischen Oper schon: Petrenko wird einer von den Großen?

Es ist ja immer eine Frage der Perspektive. Meine Perspektive hat sich natürlich in dieser Zeit sehr verändert, weil ich auch die sogenannten Großen erst später hier habe kennenlernen dürfen. Aber es war schon irgendwie klar, dass er ein ganz besonders intensiver Musiker ist. Er ist ein unglaublich ehrlich musizierender Dirigent. Niemals versucht er sich selbst auch nur andeutungsweise in den Vordergrund zu rücken. Diese Glücksmomente gab es damals natürlich auch. Aus der heutigen Perspektive würde ich das dann bestätigen.

Petrenko wirkt nach außen eher scheu, ihm eilt wegen seiner intensiven Proben aber auch der Ruf eines "Schleifers" voraus. Was stimmt denn nun?

Das mit der Scheu ist für mich nach wie vor schwer nachvollziehbar. Ich kenne ihn nicht scheu. Er entzieht sich dem Medienrummel, weil er diese Zeit für die Musik verwenden möchte, um noch intensiver in die Partituren zu schauen. Genauso wenig kann ich dieses Wort Schleifer bestätigen. Schleifer würde für mich etwas Eindimensionales darstellen. Und das ist er eben gar nicht. In den Proben erarbeitet er alle technischen Mittel, um tiefer in die Musik vordringen zu können.

Böse Zungen würden jetzt behaupten, dass er damit ein ganz anderer Typ als sein Vorgänger Simon Rattle ist. Am Ende von dessen Amtszeit schien es immer wieder durch, dass er mit diesem Haufen sehr starker Persönlichkeiten, wie er es einmal genannt hat, nicht so gut klar gekommen ist. Würden Sie die Philharmoniker als schwierig bezeichnen?

Würden Sie Bayern München als schwierig bezeichnen?

Auf jeden Fall.

Natürlich sind in diesem Orchester sehr starke Persönlichkeiten, die sich zusammenfinden, um als Mannschaft ein möglichst hohes Ziel zu erreichen. Und es ist sicher schwierig, eine dauerhafte Frische aufrechtzuerhalten. Ich finde schon, dass Simon bis zum Schluss ganz ehrlich und intensiv musiziert hat. Er hat ja die zweitlängste Ära geprägt und auch das Orchester sehr stark positiv verändert.  Deswegen würde ich mir niemals anmaßen, irgendeine Art von Vergleich anzustellen.

Kritiker haben das trotzdem getan und auch gemutmaßt, Rattle habe den Philharmonikern das ausgetrieben, was Sie selbst mal als klangliche Wärme und musikalische Kraft beschrieben haben, die sie seit ihrer Jugend tief berührt habe. Finden Sie die bei Kirill Petrenko wieder?

Natürlich hat man einen eigenen Klang auch hier erarbeitet, aber auch andere rhythmische Qualität, eine Vielseitigkeit, die es vorher nicht gab. Inwieweit Kirill Petrenko das beeinflussen kann, das wird sich ja erst zeigen. Ich meine, natürlich haben wir mit ihm ein sehr, sehr gutes Gefühl in den Malen, die er da war. Aber das kann man nicht vergleichen mit dem Ergebnis oder einer Bewertung einer Ära die 16 Jahre gedauert hat. Ich glaube, die stehen beide für sich nebeneinander für hervorragende Qualität. Natürlich freuen wir uns jetzt auf einen etwas andersartige Arbeit. Aber ohne Qualitätsbewertung meinerseits.

Sie haben schon gesagt, dass es fast 130 sehr starke Persönlichkeiten in diesem Orchester sind. Können die denn überhaupt noch etwas von einem neuen Dirigenten lernen?

Instrumental ist das Niveau unglaublich hoch. Da ist man immer wieder auch von den Kollegen beeindruckt. Eine junge Kollegin sagte neulich: "Man muss sich das jeden Tag wieder verdienen, auf diesem Niveau mitspielen zu dürfen." Wir lernen eine bestimmte Art gemeinsam zu agieren, um noch kleinere Nuancen, um noch intensiver gemeinsam zu musizieren, um diese 130 Persönlichkeiten dasselbe tun und fühlen zu lassen. Das ist die Arbeit des Dirigenten. Ich hoffe, dass uns das allen gemeinsam genauso intensiv gelingt, wie es die ersten Konzerte mit ihm letztes Jahr gezeigt haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Interviews, das Jens Lehmann mit Alexander Bader für Inforadio geführt hat. Das vollständige Gespräch können Sie oben im Audio im Beitrag hören.

Sendung: Inforadio, 23.08.2019, 09:45 Uhr

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    https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/kirill-petrenko-antrittskonzert-berliner-philharmoniker-vorbericht-100.html

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