Konzertkritik | Grönemeyer auf der Waldbühne - Haltung zeigen und alles geben

Mi 04.09.19 | 08:02 Uhr | Von Steen Lorenzen
  18
Sänger Herbert Grönemeyer ist gerade mit seinem neuen Album "Tumult" auf Tournee, Archivbild (Quelle: ZB/Martin Schutt)
ZB
Audio: Inforadio, 04.09.2019, Steen Lorenzen | Bild: ZB Download (mp3, 4 MB)

Deutschlands erfolgreichster Popmusiker, Herbert Grönemeyer, hat am Dienstag das erste von zwei ausverkauften Konzerten in Berlin gegeben. Die politischen Botschaften seines aktuellen Albums "Tumult" haben den Abend geprägt. Von Steen Lorenzen

22.000 Menschen machen eine Welle. Und noch eine. Und dann noch eine. Herbert soll kommen. Und er kommt. Strahlt schon, bevor er auch nur eine Zeile gesungen hat. Er weiß: Es wird ein Heimspiel, wie jedes seiner Konzerte. Auswärts gibt es nicht. Aber Berlin! Wahnsinn! Herbert ballt die Fäuste. Los jetzt! Ja! Tanzen - kann er nicht, weiß man. Trotzdem ist er ständig in Bewegung, auf dem Laufsteg oder auf den Tribünen-Treppen unterwegs. Herbert winkt, freut sich, läuft umher wie ein Flitzer im schwarzen Anzug.

Das Konzert beginnt mit neuen Songs. "Tumult" heißt das Album, aus dem Grönemeyer reichlich spielt. Ende 2018 erschienen. Songs wie "Sekundenglück" oder "Bist Du da" gehören bereits zum Repertoire seiner Fans, die immer aushelfen, wenn dem 63-Jährigen mal die Puste ausgeht. Er dirigiert sie alle, hat auch ohne Hornbrille das Publikum bis zur Reihe oben am Currywurst-Stand im Blick: "Hallo, da oben! Ja, Du, im gelben Pulli!"

Auf Betriebstemperatur geknödelt

Herbert gibt alles. Gurgelt, knödelt, presst die Worte und Töne hervor. Jetzt stimmt die Betriebstemperatur für Songs wie "Vollmond" und "Alkohol", "Männer" und "Bochum". Songs, die seine über Jahrzehnte zusammengewachsene Band routiniert rockt, wenn auch einen Tick zu breitbeinig für das Jahr 2019.

Musikalisch hat Grönemeyer ohnehin schon lange kein Neuland mehr betreten. Zuletzt hat er das 1998 geschafft, als sein Co-Produzent Alex Silva ihn elektronisch erneuerte und Grönemeyer dafür den perfekten Albumtitel fand: "Bleibt alles anders". Auch 20 Jahre später noch ein starker Song. Wie das andere Herzstück aller Grönemeyer-Konzerte: "Mensch". Der Song über zwei Menschen, von denen er für immer Abschied nehmen musste. Großer elementarer Schmerz, kongenial umgesetzt.

Poetische Balladen und politische Ansagen

Überhaupt, die Balladen. Mit ihnen dringt Herbert zum Kern seines Schaffens vor. Sie tragen am allerdeutlichsten seine poetische Handschrift, sind assoziativ, wie Kettenreaktionen oder aneinandergereihte Bilder, die er mit scharfen Zischlauten und harten Konsonanten verbindet. Auf dem schmalen Grat zum Kitsch entlang, aber immer auf der richtigen Seite.

Standfestigkeit beweist Grönemeyer auch mit seinen politischen Botschaften. Es ist seine politische Botschaft. Die Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen erwähnt er zwar nicht ausdrücklich, doch was er von sich und seinem Publikum erwartet, macht er von Anfang an klar: Haltung, gegen rechte Populisten, gegen Rassismus und Ausgrenzung. Alle sollen seinen Slogan mitsingen: "Kein Millimeter nach rechts!" Die Reden sind kurz und knackig, die längste geradezu agitatorisch. Im Jubel der Fans geht sie ein wenig unter.

Nach zweieinhalb Stunden hat das große Geben und Nehmen ein Ende. Den Energiefluss zwischen Grönemeyer und seinen Fans bringt ein finales Feuerwerk auf den Punkt. Es ist ok. Alles auf dem Weg. Zwischen Mensch und Mensch.

Inforadio, 04.09.2019, 6:55 Uhr

Beitrag von Steen Lorenzen

18 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 18.

    Wir sind extra nach Berlin - aus Düsseldorf - angereist und haben das Konzert mit ein paar wunderbaren Tagen bei bestem Wetter in Berlin genossen. So auch das Konzert in der Waldbühne, die ansich schon eine tolle Location mit noch besserer Akustik ist! Uns hat Herbert besser denn je gefallen. Ich fand ihn absolut authentisch, er hat sein Konzert sowas von genossen. Und stimmlich wird er im Alter immer besser! Vermutlich hat er einiges an Stimmtraining absolviert, auch seine Musiker sind Spitze, Vollprofis eben. Was will man mehr. Zum Schluss hat Herbert am Zaun, an dem wir recht nah dran saßen noch ein kleines Tänzchen gemacht und sich auf einen kurzen Wortwechsel mit dem Publikum eingelassen. Seine ins Wort umgesetzte Haltung zur Politik ist verpflichtend für ihn! Und wenn hier jemand sagt, dass er genauso gut auf eine Kundgebung gehen kann, kann ich nur sagen, dann soll er dies zusätzlich tun. Prominente sind in der glücklichen Lage, sich öffentlich äußern zu können.

  2. 17.

    Und warum nicht vor 22000? Scheint Ihnen lieber zu sein, wenn Ihnen unliebsame Meinungen nur in den eigenen 4 Wänden bleiben. Verstehen Sie das unter Meinungsfreiheit? Und jeder, der eine eigene Meinung hat muss gleich seine eigene Partei gründen? Und wer zu einem Grönemeyer-Konzert geht und eine politisch keimfreie Veranstaltung erwartet, war wohl die letzten 35 Jahre auf einem anderen Planeten. Vielleicht wären Sie bei Helene Fischer besser aufgehoben gewesen.
    Und welcher Wohnsitz? Berlin? Dort lebt er nämlich seit 10 Jahren.
    Aber um all das geht es Ihnen gar nicht. Es geht darum, Menschen, die nicht Ihre Meinung haben zu diskreditieren ... und wenn dafür die Wahrheit verbogen werden muss.
    Schade, Daubner!

  3. 16.

    Ich war nie ein Herbert Fan! Zum Konzert kam ich durch meinen Bruder dessen Frau kurzfristig ausgefallen ist.
    Mit ihm war ich auch 1985 auf einem Grönemeyerkonzert in Münster. Damals hat mich vor allem die knallig spielende Band und der Drummer überzeugt. Alles voll auf den Punkt und sehr abwechslungsreich. Das Konzert in der Waldbühne war musikalisch sehr gemischt. Stücke wie Alkohl oder auch neuere Stücke am Anfang kamen musikalisch nicht überzeugend rüber. Die vielen Gastmusiker waren größtenteils überflüssig, wenn nicht sogar das Hinderniss hierzu. Am meisten überzeugt hat mich "Bleibt alles anders" .Herbert hat sich immer politisch geäußert! Wenn auch nicht unbedingt in den Songs jedoch gerade auf Konzerte. Wer sich darüber aufregt sollte doch besser in ein Musical gehen oder die Konzerte auf youtube ansehen und entsprechende Stellen überspringen. Am Ende wurde es dann doch sehr wie auf dem Eröffnungsspiel einer Fußball WM. Feuerwerk und Hymnen.

  4. 15.

    Ich( 52 Jahre alt ) war gestern in der Waldbühne,in der Hoffnung ein schönes Konzert zu erleben (Erinnerung an alte Zeiten). Ja es wurden auch ein paar alte Songs gespielt.
    Leider war mir nicht ganz klar das ein solches Konzert auch zum Politikum gemacht werden kann.
    Herr Grönemayer kann natürlich sine politische Meinung vertreten. Warum aber vor 22.000 Menschen ?
    Wenn sein politisches Engagement so Groß ist, sollte er eine eigene Partei gründen. Vorschlag : Die Gutmenschen.
    Geht aber wohl wegen des Wohnsitzes nicht !!?
    Zur Demo kann ich auch kostenlos gehen.
    Das Geld für die Eintrittskarten hätte ich wohl lieber spenden sollen und hätte dabei ein besseres gewissen gehabt.
    Schade Herbert !

  5. 14.

    Doch, hat er! Im Gegensatz zu Niedecken, Lage und Lindenberg hat er hier mal tatsächlich Position bezogen und 1988 allen Avancen der FDJ- und SED-Führung wiederstanden. Er hat ausdrücklich nicht in der DDR spielen wollen, obwohl ihm gar das Zentralstadion in Leipzig open air versprochen wurde. Mit der Begründung, dass er nicht in einem Land spielen will, dass unliebsame Künstler ausbürgert und er dann als Alibi für Weltoffenheit herhalten soll...
    Leider scheint ihm sein Gespür für Toleranz und Meinungsvielfalt heute etwas abhanden gekommen zu sein...

  6. 13.

    Sie untermauern genau das, was Joshua meint....sehr eindrucksvoll, vielen Dank für die Selbstentblößung!

  7. 12.

    Keinen Millimeter nach Rechts... das ist schon okay so.
    Allerdings kenne ich von Herrn G. nichts zum Thema SED Diktatur. Das schmälert seine Haltung gewaltig.

    Übrigens: Die Musik ist und bleibt Mist, so wie der übrige Deutschpop.

  8. 11.

    Sie haben völlig Recht. Lassen Sie sich vom Gepöbel des Plebs nicht beeindrucken.

  9. 10.

    Was fällt Ihnen eigentlich ein? Sie verweigern einen Menschen das Recht auf Meinungsfreiheit, nur weil er ein Prominenter ist? Was geht eigentlich in Ihren Kopf vor. anscheinend nur der dumpfe Hass auf alle die nicht Ihrer Meinung sind. Für mich sind Sie ein Verfassungsfeind.

  10. 9.

    Stimme Ihnen zu. Wenn man zum Konzert geht, weiß man ja, was auf einen zukommt. Zwischen den Liedern fand ich die Ansagen gerade noch erträglich, mehr hätte es nicht sein dürfen.
    Jeder, der hier so glorreich einstimmt, sollte einfach nachts nach dem Konzert, so wie ich, mit der S-Bahn von Pichelsberg über Südring nach Hause ins Umland fahren. Also Rechtspopulisten haben mein gefühlte Sicherheit da jedenfalls nicht beeinträchtigt. … Den Rest mag sich jeder selbst denken. Werden Grönemeyer, die Auto- und Taxifahrer aber nie mitbekommen.

  11. 8.

    Na, heute schon gegöbelt?
    Wie hätten Sie es denn gerne, damit Ihnen nicht übel wird.
    Und mal nebenbei: mir ist Statement gegen Rechts genauso wichtig wie Statements gegen Dummheit im Zusammenleben.
    Und das Zusatzkonzert gestern war geil - ich reiche dem Josh schonmal die Brechtüte.

  12. 7.

    Es ist interessant, dass London und Berlin Steueroasen sind. Das müssen Sie einmal erklären.

  13. 6.

    Grönemeyer als Typ mochte ich früher. Seine Musik ist nicht mein Ding.Das ist aber Geschmackssache.

    Aber dieses Gerede von Standhaftigkeit, Haltung, natürlich gegen Rechts.! Nervtötend! Überall Opportunisten, in den Redaktionen, auf der Bühne und auf den Straßen, die unbedroht, risikolos und saturiert einen auf Helden machen.

    Da stehen Tausende auf der Straße, zusammen mit Politikern, Abgeordneten und "Kulturschaffenden", eskortiert und frenetisch gefeiert von allen öffentlichen Sendern und auf den Hund gekommenen Schriftmedien. Gerne gegen Häufchen von, vor allem in Berlin, konservativen, rechten oder vielleicht sogar rechtsextremen Demonstranten.

    Da wird nie differenziert und gerne auch geprügelt. Da steht der Anti (faschist) zusammen mit SPD und Grünen Politikern. Das Establishment maskiert sich als Opposition. Und das Fussvolk spielt mit. Ekelhaft!

  14. 5.

    öööh, mal überlegen: in den 80ern und 90ern, als Grönemeyer seine musikalisch erfolgreiche Zeit hatte, oder in der ZDF-Hitparade aus Berlin (okay war damals von der ZDF-Konkurrenz) gab es auch keine Haltung.
    Wie schaut es denn bei den Volks- und Schlagermusiksendungen des RBB aus? Gibt es da auch politische Statements?

  15. 3.

    Anscheinend geht es in diesen Tagen nicht ohne politische Statements.
    Und immer versuchen Gutmenschen einem ihre Sicht auf die Welt aufzudrücken.
    Hier Wellen machen und zurück ins Steuerparadies, so auch dieser Grönemeyer.

  16. 2.

    Ich habe gelacht, geweint, zugehört, nachgedacht, getanzt, mitgesungen und das Konzert gestern Abend auf der Waldbühne mit allen Sinnen genossen. Jedes Konzert mit ihm ist einzigartig und genau für diesen Moment gemacht.
    Danke !

  17. 1.

    Sensationell zusammengefasst. Ich war dort und unterschreibe praktisch jeden Satz. Das war nicht der beste Grönemeyer aller Zeiten. Das war seine heute beste Version. Und was mehr soll er bieten? Alles gegeben, alles kam an. Alles bestens. Genau, wie Sie es schreiben. - Und: Eine kleine Feier von "Bleibt alles anders" ist hier auch drin - wie sie bei jedem Musikjournalisten dazugehört.

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren

Archivbild - 21.08.2019, Berlin: Menschen tanzen beim Tango Festival im Hauptbahnhof. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
dpa/Paul Zinken

Tanzverbot am Karfreitag - Der Wille zur Stille

Die einen sehen darin eine Gelegenheit zum Innehalten, die anderen eine Bevormundung: Am Karfreitag gilt ein generelles Tanzverbot. Berlin hat die liberalste Regelung - in Brandenburg werden nicht einmal Fußballspiele angepfiffen.