Theaterkritik | "Jugend ohne Gott" - Knapp unter Körpertemperatur

So 08.09.19 | 09:44 Uhr
Archivbild: Bernardo Arias Porras (Julius Caesar/B/Verteidiger/Junge), Lukas Turtur (Feldwebel/Richter/Stimme des Vaters/Polizist/Kellner/Schüler/Dienstbote), Jörg Hartmann (Lehrer), Veronika Bachfischer (L/Mutter des Z/Innere Stimmen des Lehrers/Stimme der Mutter/Fräulein/Forensikerin/Kellnerin/Filmschauspielerin), Damir Avdic (N/Vater des N/Bürgermeister/Bauer/Diener/Hauptkommissar/Kellner), Alina Stiegler (Eva/Direktorin/Mädchen/Mutter des N/Nelly/Mutter des T/Dienstbotin) und Laurenz Laufenberg (Z/Pfarrer/Polizist/Junge/Kellner), am Freitag, 26. Juli 2019, während der Fotoprobe zu Öden von Horvaths Schauspiel "Jugend ohne Gott", das am 28. Juli 2019, im Rahmen der Salzburger Festspiele im Landestheater Premiere hat. (Quelle: dpa/Gindl)
Bild: dpa/Gindl

Ödön von Horváths moralischer Roman über einen Lehrer in der NS-Zeit wird an der Schaubühne trotz prominenter Besetzung zum Langweiler. Thomas Ostermeiers Inszenierung bildet einfach nur brav das Geschehen ab. Von Fabian Wallmeier

"Was verdanke ich Adolf Hitler", fragt Jörg Hartmann. Gerade hat er, in schlichtem schwarzem T-Shirt, vom Zuschauerraum aus die Bühne betreten, hat erst einmal nach etwas mehr Licht auf der Bühne gebeten, und sich leger in der Bühnenmitte aufgestellt. "Alles", lautet seine Antwort - und er setzt zu einem Vortrag über die Großartigkeit des Führers und seiner Errungenschaften an.

Das war es dann aber auch schon mit den Regie-Ideen an diesem Abend. Thomas Ostermeier geht, von diesem Prolog abgesehen, Ödön von Horváths "Jugend ohne Gott" ganz brav naturalistisch an. So legt auch Hartmann bald sein heutiges Outfit ab, zieht sich mit Hilfe der nach und nach auftretenden Schauspielkollegen einen braunkarierten Anzug mit Weste an, wie man ihn wohl in der Entstehungszeit des Romans getragen hat.

"Jugend ohne Gott" von 1937 erzählt von einem Lehrer, der zu feige ist, sich den Auswüchsen des Nationalsozialismus entgegenzustellen. Seine Schüler finden größtenteils Gefallen am erstarkten Deutschherrentum oder geben sich eiskalt und geschmeidig dem Opportunismus hin. "Zeitalter der Fische" nennt Horváth das.

Unterkühlt wie Professor Bernhardi

Jörg Hartmann gibt den namenlosen Lehrer ähnlich unterkühlt wie die Titelfigur in "Professor Bernhardi", der weitaus besseren Zusammenarbeit mit Ostermeier, die die Schaubühne noch im Programm hat. Nie bricht es aus ihm heraus, auch die teils von Moritz Gottwald und Veronika Bachfischer gesprochenen inneren Monologe des Lehrers bleiben immer knapp unter Körpertemperatur. Nur einmal, als den Lehrer plötzlich seine mögliche Schuld übermannt, drückt es Hartmann förmlich zu Boden. Da sitzt er nun auf den Brettern und kommt erst mal nicht wieder hoch.

Wer eine heutigere Lesart dieser "Jugend ohne Gott" sehen will, sollte ins Maxim-Gorki-Theater gehen. Dort hat Nurkan Erpulat vor wenigen Monaten eine kraftvolle, wenn auch etwas grobschlächtig umgesetzte Umkehrung vorgenommen: Der Lehrer hat dort fast den ganzen Theaterabend lang zu schweigen, statt dessen erzählen die Schüler die Geschichte, die erwartbar im heutigen Erstarken der Rechtspopulisten gespiegelt wird.

Archivbild: Moritz Gottwald (T/Innere Stimme des Lehrers/Kommissar/Staatsanwalt/Junge), Jörg Hartmann (Lehrer), Veronika Bachfischer (L/Mutter des Z/Innere Stimmen des Lehrers/Stimme der Mutter/Fräulein/Forensikerin/Kellnerin/Filmschauspielerin), Laurenz Laufenberg (Z/Pfarrer/Polizist/Junge/Kellner), Bernardo Arias Porras (Julius Caesar/B/Verteidiger/Junge), und Lukas Turtur (Feldwebel/Richter/Stimme des Vaters/Polizist/Kellner/Schüler/Dienstbote), am Freitag, 26. Juli 2019, während der Fotoprobe zu Öden von Horvaths Schauspiel "Jugend ohne Gott", das am 28. Juli 2019, im Rahmen der Salzburger Festspiele im Landestheater Premiere hat. (Quelle: dpa/Gindl)
Bild: dpa/Gindl

Wer ist der Mörder?

Bei Ostermeier dagegen wird die Geschichte brav und bieder runtererzählt. Besonderen Gefallen findet die Inszenierung an der Gerichtsverhandlung, die den Mordfall aufklärt, in den die Geschichte des Romans mündet. Während eines Zeltlagers im Wald ist ein Schüler erschlagen worden - und nun gilt es, das Geflecht aus Schuld und Mitschuld, in das auch der Lehrer verstrickt ist, zu entwirren.

Ostermeier inszeniert den Prozess zwischen Wer-ist-der-Mörder-Gerichtsklamotte und Kitsch-Dröhnung. Bernardo Arias Porras und Moritz Gottwald witzeln als Anwälte um die Wette und Alina Stiegler darf einen langgezogenen extralauten Schmerzensschrei zum Besten geben.

Kein zweiter Peter-Stein-Birkenwald

Als am Ende alles aufgeklärt ist, stehen alle vor dem Wald, der das Bühnenbild bestimmt. Hartmann schaut stur nach vorn, alle anderen starren ihn an. Der Lehrer wird nun ein neues Leben beginnen - und so richtig traurig ist man als Zuschauer nicht darüber, dass man seinen weiteren Werdegang nach den zwei Stunden dieser Premiere nun nicht mehr verfolgen wird.

Apropos Wald: Wer an der Schaubühne massenweise Baumstämme auf die Bühne stellt, weiß natürlich, dass er damit Erinnerungen an die Geschichte des Hauses wachruft: Peter Stein machte in seiner legendären "Sommergäste"-Inszenierung aus der Bühne einen Birkenwald. Das ist zwar mehr als 40 Jahre her und die wenigsten Besucher der Horváth-Premiere an diesem Samstagabend dürften Steins "Sommergäste" gesehen haben, aber die Bilder von damals haben sich dennoch in das kollektive Theatergedächtnis eingebrannt. Ausgeschlossen, dass Ostermeiers braver, über weite Strecken schlicht langweiliger "Jugend ohne Gott"-Abend in 40 Jahren einen vergleichbaren Stellenwert haben wird.

Sendung: Inforadio, 08.09.2019, 08:11 Uhr

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