Opernkritik | Giovanni in der Neuköllner Oper - Ein wunderbar befreiter Mozart

Fr 11.10.19 | 08:32 Uhr | Von Hans Ackermann
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Giovanni in der Neuköllner Oper (Quelle: Neuköllner Oper/Andreas Altenhof))
Audio: Inforadio | 11.10.2019 | Hans Ackermann | Bild: Neuköllner Oper/Andreas Altenhof

Einen ganzen Monat lang steht in der Neuköllner Oper der berühmteste Wüstling der Musikgeschichte im Mittelpunkt: "Giovanni. Eine Passion" heißt das Stück - und alles ist spektakulär anders als man es kennt. Von Hans Ackermann

Natürlich beginnt auch dieser "Giovanni" mit einem wilden Duell. Auch endet die Oper wie gewohnt mit viel Getöse und einer Fahrt zur Hölle. Doch dazwischen ist bei diesem "Don Giovanni" alles anders als man es kennt.  

Die berühmte "Registerarie"  etwa beginnt ganz genau so, wie Mozart sie 1787 für seinen italienischen Don Giovanni komponiert hat. Der Diener "Leporello" zählt seinem Herrn darin dessen "1003" Affären auf. Dieser originale Gesang verwandelt sich dann in einen bekannten Schlager aus dem 20. Jahrhundert, aus "Volare" wird nun per Flamenco eine Musik für einen spanischen Don Juan. Das Ensemble klatscht dazu den markanten Rhythmus, ein jazziges Trompetensolo bringt die Szene fulminant zum Abschluss. Das Stegreiforchester fügt all diese Genres und Jahrhunderte ohne stilistische Brüche zusammen, alles fließt organisch ineinander.

Kein Opernhaus ist mehr sicher vor den jungen Musikern

"FreeSchubert" oder "FreeBrahms" hießen die bisherigen sinfonischen Programme des Orchesters, das darin die großen Komponisten – Schubert, Brahms oder Beethoven – aus ihren Zeitgefängnissen holte. Klassische Musik wird hier grundsätzlich "ohne Dirigent und ohne Noten" gespielt. Die improvisatorisch entwickelten Interpretationen sind bei diesem Orchester dabei stets mit viel Bewegung verbunden Prozessionen, gleich zu Beginn der Oper und auch im weiteren Verlauf des Abends, wenn das Ensemble mit seinen Instrumenten wie eine amerikanische Marching Band durch das Publikum wandelt.

Ihren befreienden Anspruch verwirklicht das 2015 an der Musikhochschule "Hanns Eisler" gegründete "Stegreiforchester" nun zum ersten Mal auch mit Erfolg im Musiktheater. Und nach diesem triumphalen "Giovanni" ist kein Opernhaus mehr sicher vor den jungen Musikern – die bei aller stilistischer Vielfalt immer mal wieder auch dem ganz klassischen Mozart Raum geben, wenn einige Duette und Arien mit purer Begleitung durch Streicher und Holzbläser zu hören sind.  

Soll und kann man diesen Schuft eigentlich mögen?

Die Bühne ist als Podest in der Mitte des Saales aufgebaut, darauf steht ein Häuschen - vielleicht Don Juans Mausoleum, vielleicht Giovannis Gartenpavillon, in dem er seine Schäferstündchen absolviert. Soll und kann man diesen Schuft eigentlich mögen oder muss man sich von diesem  Wüstling und Verführer nicht doch distanzieren? Eine Grundfrage, wie sie auch aus den kleinen Handzetteln spricht, die man zu Beginn der Vorstellung gereicht bekommt. Die Überschrift dort fragt: "Wie war das noch mit Don Giovanni ? 

Schön war es mit diesem Don Giovanni, stellt man am Ende der zweieinhalb unterhaltsamen Stunden fest. Doch die turbulente Geschichte wird nicht ohne Grund die "Oper der Opern" genannt. Am besten also, man geht gleich noch einmal hinein, in diesen wunderbar befreiten Neuköllner Mozart.

Die nächsten Vorstellungen von "Giovanni - eine Passion" mit dem "Stegreiforchester" gibt es am 11. und 12. Oktober um 20.00 Uhr in der Neuköllner Oper. Dort ist das Stück durchgängig bis zum 10. November zu erleben.

Sendung: Inforadio, 11.10.2019, 09.55 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Erbsenzählerkommentar: Es sind 1064 Affären, nicht 1003. Die 1003 hat Don Giovanni alleine in Spanien. Wenn schon Nacherzählen der Arie, dann richtig :)

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