Theaterkritik | "Amphitryon" in der Schaubühne - Unter der Oberfläche fehlt das schwarze Nichts

Mo 14.10.19 | 07:07 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Joachim Meyerhoff in Herbert Fritschs Inszenierung von "Amphitryon" an der Schaubühne am Lehniner Platz (Bild: Thomas Aurin)
Bild: Thomas Aurin

Herbert Fritsch kann mit seiner Inszenierung von Molières "Amphitryon" nicht an seine großen Arbeiten anknüpfen. Bemerkenswert ist aber das Ensemble - inklusive des prominenten Schaubühnen-Neuzugangs Joachim Meyerhoff. Von Fabian Wallmeier

Nein, so hatte man sich Joachim Meyerhoffs ersten Auftritt an der Berliner Schaubühne eher nicht vorgestellt. Der nicht zuletzt wegen langer, ernster Großschauspieler-Solos (wie "Die Welt im Rücken" beim Theatertreffen 2017) allseits gerühmte Burgtheater-Star kommt nervös grinsend nach vorn getrippelt. Wie ein Hampelmann hüpft er die Beine schwingend vom einen aufs andere.

"Amphitryon" ist ein Herbert-Fritsch-Abend, und dass dort nicht die große Ernsthaftigkeit gefragt ist, war schon vorher klar - auch Meyerhoff natürlich, der schon in Wien und Hamburg mit Fritsch gearbeitet hat. Aber dass der Theaterstar seine Zeit an der Schaubühne so hemmungslos albern beginnen würde, ist schon bemerkenswert.

Meyerhoff spielt in "Amphitryon" nicht den Titelhelden, sondern dessen Diener Sosias. In der Verwechslungskomödie kommen die Götter Jupiter und Merkur in Gestalt von Amphitryon und Sosias auf die Erde und machen sich an deren Frauen heran.

Die anderen strahlen lassen

Ein Nervenbündel ist dieser Sosias, getrieben von der Ehrfurcht vor seinem Herrn - und angezogen von dessen schöner Frau Alkmene. Da kann er in seinem langen Monolog zu Beginn des ersten Aktes sich noch so oft selbst unterbrechen und dafür loben, wie schön er das gerade gesagt habe und wie fulminant sein Witz sei. Meyerhoff kostet das aus - doch dann tritt er immer stärker in den Hintergrund und geht im ausschließlich aus Fritsch-Stammspielern bestehenden Ensemble vollkommen auf - und mehr noch: Die Verzagtheit seiner Figur verlangt, dass er Unzulänglichkeiten ausstellen und andere neben sich strahlen lassen muss. Dass hier also der Großschauspieler immer wieder zum Nebendarsteller wird, ist zumindest eine interessante Setzung für die nächste Karrierephase des Joachim Meyerhoff.

Bastian Reiber etwa spielt als Merkur, der Sosias tatsächlich davon überzeugt, in ihm den eigentlichen Sosias vor sich zu stehen zu haben, den Burgtheater-Star glatt an die Wand. Merkur ist ein Ekelpaket vor dem Herrn, immer zum Konflikt bereit. Wie Reiber um Meyerhoff herumhampelt, ihn immer wieder attackiert, das ist Slapstick-Kampfkunst erster Güte, die Meyerhoff nicht kontert, sondern geschehen lässt. Auch Annika Meier, ebenfalls neu im Ensemble, ist phänomenal. Sie spiet Alkmene hochkomisch im klirrenden Sissi-Ton, mit affektiert gerolltem R und herrlichen kleinen Schmoll-Schluchzern.

Bastian Reiber, Axel Wandtke, Annika Meier und Carol Schuler in Herbert Fritschs Inszenierung von "Amphitryon" an der Schaubühne am Lehniner Platz (Bild: Thomas Aurin)Fritsch-Stammspieler Bastian Reiber, Axel Wandtke, Annika Maier und Carol Schuler in "Amphitryon"

Die Tiefe des schwarzen Nichts fehlt

Bei aller schauspielerischen Virtuosität bleibt der Abend aber hinter den hohen Erwartungen zurück. Denn um zu Fritschs besten Berliner Arbeiten, in der Spätphase der Castorf-Volksbühne und auch zu Beginn seiner Schaubühnen-Zeit, aufschließen zu können, fehlt ihm etwas Entscheidendes: Diese zurecht gefeierten Abende waren immer auch davon geprägt, dass hinter all dem virtuosen Klamauk ein existenzielles Loch klaffte. Dieses kalte schwarze Nichts verlieh im Zusammenspiel mit der bunten Oberfläche den Abenden erst die Tiefe, die sie so groß und einzigartig machten.

Am deutlichsten war das vielleicht in der letzten Szene von "Null" von 2018 zu beobachten, Fritschs zweiter Arbeit an der Schaubühne. Da fährt am Ende im Halblicht für eine gefühlte Ewigkeit ein Gabelstapler über die Bühne, in einer Art Tanz mit einer riesigen mechanischen Hand, die aus dem Bühnenhimmel kommt. Es passiert: nichts. Nur das reine sinnlose Treiben der Maschinen ist zu sehen. So tief und traurig war Fritsch nie zuvor - und auch danach bislang nicht mehr.

Gekonnt die Oberfläche gezeigt

Dann nämlich schlug er einen anderen Weg ein: Den Komödienklassiker "Champignol wider Willen" inszenierte Fritsch im selben Jahr an der Schaubühne als sehr zähen, leeren dreistündigen Turbo-Boulevard. Ähnlich geht er nun auch an Molières "Amphitryon" heran: Er zeigt gekonnt die Oberfläche - doch auf das Nichts, das darunter lauern und dem Abend eine zweite Ebene verpassen könnte, wartet man vergebens.

Statt dessen bietet "Amphitryon" immerhin zwei Stunden soliden Fritsch-Spaß. Gewohnt überdreht springen die Figuren über die Bühne, die Fritsch der zu Molières Lebzeiten vorherrschenden Bühnenform nachempfunden hat: Verschiedenfarbige Papierbahnen bilden Gassem, aus denen sie flott auf- und abtreten können.

Das Timing stimmt an diesem Premieren-Abend noch nicht an allen Stellen, aber das wird das Ensemble im Lauf der Zeit sicher noch perfektionieren. Ein wirklich großer Frisch-Abend wird "Amphitryon" dadurch aber nicht mehr werden.

Sendung: Abendschau, 14.10.2019, 19:30 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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