ARD-Themenwoche "Bildung" - Wikipedia hat es eher mit den Männern
Wer etwas wissen will, klickt sich meist durch Wikipedia. Die Online-Enyklopädie ist weltweit verfügbar und kostenfrei. Bei der Geschlechtergerechtigkeit gibt es allerdings noch viel Luft nach oben. Von Ina Krauß
2007 war für Elke Köpping der Eintritt in die Wikipedia-Welt. "Ich hatte Lust, einen Artikel zu editieren und habe einfach auf anderen Seiten geschaut, wie sie das machen", erzählt die studierte Germanistin, die als Autorin in Berlin lebt. Schritt für Schritt schaut sie sich von anderen ab, welche Regeln in der Community und welche Relevanzkriterien für Beiträge gelten. "Es war großartig zu beobachten, wie ein kleiner Artikel, den ich damals angelegt hatte, immer weiter wächst."
In ihrer knappen Freizeit schreibt die Endvierzigerin seitdem Biografien über Künstlerinnen oder relevante Menschen, korrigiert Rechtschreibfehler und ergänzt andere Artikel. "Wikipedia kann süchtig machen", sagt Köpping. Wenn sie die notwendigen Quellen und Informationen zu einem Thema oder einer Biografie zur Verfügung hat, schreibt sie los. "Das ist ein unheimlich befriedigendes Gefühl, es hat etwas sehr Produktives."
Schwarmintelligenz mit Wirkung
Es ist offenbar für viele ein gutes Gefühl, an einem partizipativen Projekt wie Wikipedia mitzuwirken: Das Wissen der Welt mithilfe der Schwarmintelligenz zusammenzutragen und allen Menschen weltweit zur Verfügung zu stellen. Genau genommen hat sich Wikipedia mit seiner Gründung einem globalen Bildungsauftrag verschrieben.
Die Schnelligkeit, mit der das Portal in verschiedenen Sprachen wächst, und auch die Vielfalt der Themen gibt allen Beteiligten Recht. Wikipedia lag im September 2018 auf Platz fünf der am häufigsten besuchten Websites weltweit. Unter den 50 meistgenutzten Plattformen ist sie die einzige nichtkommerzielle.
Die deutsche Wikipedia hatte im Oktober 2019 rund 1,1 Milliarden Zugriffe, die Statistik weist Anfang November mehr als 2,36 Millionen Artikel aus.
Wie relevant sind Frauen?
Aus weiblicher Sicht gibt es in der Wikipedia-Artikelwelt allerdings auch viele Leerstellen, denn Biografien über Frauen sind unterrepräsentiert. Ursache ist einerseits das Relevanzprinzip: Danach muss eine Person bekannt sein und über ihr Tun müssen Veröffentlichungen wie Zeitungsartikel, Beiträge und Bücher existieren. Denn Wikipedia greift auf Quellen zurück. Und über das Wirken von Frauen wird in der Fachliteratur oder in den Medien bis heute weniger berichtet als über das von Männern – sieht man mal von Berichten über Schauspielerinnen oder Popsternchen ab.
Dass es über Marie Curie, Angela Merkel oder die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm Wikipedia-Artikel gibt, überrascht wohl niemanden. Aber dass die Physiknobelpreisträgerin von 2018, Donna Strickland, am Tag der Bekanntgabe in der deutschsprachigen Wikipedia keinen Eintrag hatte, sorgte im vergangenen Jahr dann für Empörung. Denn Relevanzkriterien hatte die kanadische Physikerin längst erfüllt, und zwar nicht erst durch die Ehrung mit dem Nobelpreis. Die beiden männlichen Preisträger von 2018 hatten selbstverständlich einen Eintrag.
Weltwissen aus Männersicht
Und auch ein weiterer Fakt ist nicht zu übersehen: Schätzungsweise rund 80 Prozent derjenigen, die in Wikipedia editieren, sind männlich. Die Zahlen sind nicht exakt zu ermitteln, weil Benutzernamen nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind - in der Community muss sich niemand outen. Aber eins räumt auch die Dachorganisation Wikimedia-Foundation ein: In der Community herrscht Männerüberschuss mit Wirkung.
"Wenn hauptsächlich Männer die Wikipedia schreiben, dann wird die Welt vorrangig aus einer Männersicht dargestellt", sagt der Soziologe und Wikipedianer Andreas Kemper: "Männer bekräftigen sich auch gegenseitig darin, dass ihre Sicht relevant und wichtig ist."
"Frauen müssen da mitmischen"
Bei der Überzahl von aktiven Männern bleiben Konflikte nicht aus. Die wenigen Frauen kommen kaum durch, wenn es um sprachliche Regeln geht. Elke Köpping benennt das Manko: "Sichtbarkeit von Frauen muss sich auch in der Sprache ausdrücken." Wikipedia habe da ganz klar ein Diversitätsproblem, indem das generische Maskulinum bestimmend sei. Da sei Wikipedia letztlich ein digitales Spiegelbild der realen Gesellschaft.
Eine Änderung ist allerdings erstmal nicht in Sicht. Mehrfach wurde in Community-internen Abstimmungen das Ansinnen abgelehnt, in der deutschen Wikipedia eine gendergerechtere Sprache zu nutzen – zuletzt im Mai 2019.
Elke Köpping ist von der Idee einer frei zugänglichen Online-Enzyklopädie fasziniert - und will die Geschlechterkluft sowohl in Artikeln als auch in der Community verringern. Deshalb wirbt sie jetzt aktiv darum, dass sich mehr Frauen einbringen: "Wissen für alle Menschen zur Verfügung zu stellen, kostenlos, barrierearm, frei zugänglich - das ist eine ganz idealistische, visionäre Idee. Frauen müssen da mitmischen."
Sendung: rbbKultur, 12.11.2019, 19:04 Uhr
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