Theaterkritik | "Hekabe" im DT - Auf Distanz zur Distanz
Stephan Kimmig und seine Schauspielerinnen versetzen den Mythos der leidgeplagten letzten Königin von Troja in ein Setting von maximaler Künstlichkeit. Doch als "Hekabe" gerade richtig beginnen könnte, ist der Abend schon wieder vorbei. Von Fabian Wallmeier
Drei hoch ragende Holzwände, ein Tisch mit elektronisch verstärkten Schlagwerken, vier Notenständer mit aufgeklappten Mappen - das ist alles, was an diesem Freitagabend auf der Bühne des Deutschen Theaters zu sehen ist. Vier Schauspielerinnen* und ein Musiker, schlicht und elegant in Schwarz und Anthrazit gekleidet, betreten die Bühne. "Hekabe - Im Herzen der Finsternis. Ein Konzert", sagt Katharina Matz - und spätestens jetzt hat man verstanden: Dieser Theaterabend stellt seine Stilisierung, seine distanzierte Form, so überdeutlich aus, wie es nur geht.
Natürlich ist die Arbeit von DT-Hausregisseur Stephan Kimmig kein Konzert, auch wenn Michael Verhovec an seinem Klangtisch den Abend pausenlos musikalisch untermalt und Paul Grill einmal kurz unter Zuckungen Kauderwelsch singt. Die Anordnung auf der kargen Bühne (Katja Haß) und die Präsenz der Textmappen, in denen die vier auch hin und wieder blättern, signalisieren aber: Hier wird etwas vorgetragen, liebes Publikum. Es ist in seiner Ästhetik zwischen Probebühne und konzertanter Aufführung möglicherweise noch nicht ganz fertig - und was die Schauspielerinnen sprechen, ist ihnen ganz sicher nicht gerade in den Sinn gekommen, sondern sie können es jederzeit Schwarz auf Weiß ablesen. Durch diese Zurschaustellung von Künstlichkeit geht der Abend immer wieder auf Distanz zu sich selbst.
"Königin der Klage"
Aber was wird hier eigentlich
verhandelt und auf Distanz gehalten? Von "Eins - Götter" bis "Elf -
Polymestros" - so die selbstverständlich mit vorgetragenen Zwischentitel
- geht es um das Leid der Frauenfiguren Trojas und um ihr Aufbegehren.
Kimmig und Dramaturg John von Düffel haben sich bei Homer und Euripides
bedient und erzählen den Mythos von Hekabe, der "Königin der Klage" auf
ihre Weise nach. Bruchstückhaft und nur teilweise chronologisch wird
erzählt, wie Hekabe, die letzte Königin von Troja, all ihre Kinder
verliert - an Mörder und an den Krieg -, wie sie gedemütigt wird - und
wie sie schließlich Rache nimmt.
Die Rollen (um neben Hekabe nur
ein paar zu nennen: Kassandra, Odysseus, Poseidon, Athene, Andromache,
Agamemnon) verteilen die vier Schauspielerinnen immer wieder neu, oft
ist nur zu erahnen, wer da eigentlich gerade spricht. Sie sprechen meist
nach vorn, kaum miteinander, manchmal auch parallel und gegeneinander.
Linn Reusse gibt ihren gekonnt verstolperten, stürmischen Quengelton zum
Besten, Almut Zilcher giftet, schreit und lacht hinterhältig, Katharina
Matz wechselt fließend zwischen einschmeichelnder Milde und
unerbittlicher Härte. Paul Grill als einziger Mann unter den vieren hat
seinen schönsten Auftritt mit dem täuschend echtem Plärren eines Babys.
Eines Babys, das - wir befinden uns schließlich in der Antike -
natürlich sterben muss.
Bei all dem Leid, Mord und Totschlag, den
der Stoff mit sich bringt, bleibt der Abend zwangsläufig nicht
durchgängig kühl und künstlich, vielmehr geht er immer wieder auf
Distanz zur Distanz: Die sterile Anordnung wird durch die
Lichtchoreographie samt Stroboskoplichts, durch das Zurseitetreten der
Darstellerinnen und durch plötzliches Interagieren durchbrochen. Bei "Fünf - Alle"
stellen sie sich mit dem Musiker in einer Reihe auf und steigern sich
langsam in einen seltsamem Tanz, irgendwo zwischen Girls-Reihe, Sirtaki
und Partygehopse.
Die schwarze Hündin steigt als Rächerin aus dem Wasser
Doch
was Stephan Kimmig mit dieser Anordnung, mit diesem Spiel mit Distanz
und Distanz zur Distanz, eigentlich will, bleibt letztlich unklar. Eine
kühle, starke Selbstbehauptung der Weiblichkeit in einer von blutigem,
tödlichem Machismo mag ihm vorgeschwebt haben, doch so richtig geht das
nicht auf. Zwar wird am Ende die zur wilden schwarzen Hündin gewordene
Hekabe als Rächerin gepriesen, die nachts aus dem Wasser steigt und
Unheil über die Männer bringt. Doch als das Licht nach nicht einmal
anderthalb Stunden verglimmt und die Musik versiegt, hat der Abend
eigentlich gerade erst begonnen.
Vielleicht ist auch das die
eigentliche banale Botschaft, die sich von dieser unfertig wirkenden
Probebühnen-Anordnung mit nach Hause nehmen lässt: Auch mit der
selbstverständlichen weiblichen Selbstbehauptung, die nicht primär in
Reaktion auf die Dominanz der Männlichkeit entsteht, haben wir im
deutschen Theater gerade erst begonnen.
* Es wäre absurd, für die Beschreibung eines Abends, bei dem drei der vier Schauspielerinnen Frauen sind, die männliche Pluralform zu verwenden, wenn alle vier gemeint sind. Wenn hier konsequent die weibliche Pluralform verwendet wird, ist aber der einzige männliche Darsteller selbstverständlich #mitgemeint.
Sendung: Radioeins, 22.11.2019, 14.15 Uhr