Theaterkritik | "Ultraworld" in der Volksbühne - Heraus kommt nur, wer mitspielt

Fr 17.01.20 | 08:53 Uhr | Von Hans Ackermann
Szene aus Ultraworld an der Berliner Volksbühne (Quelle: imago images/Martin Müller)
Audio: Inforadio | 17.01.2019 | Hans Ackermann | Bild: imago images/Martin Müller

In der Berliner Volksbühne hat Susanne Kennedy ihre Performance "Ultraworld" auf die Bühne gebracht. Die Darsteller bewegen sich in opulenten Spiel- und Videolandschaften. Und der Zuschauer? Der spürt die Leere der virtuellen Welt. Von Hans Ackermann

Mit einer Schöpfungsgeschichte beginnt das Stück: "Am Anfang war überall nur Dunkelheit. Da war das ruhende All. Kein Hauch. Kein Laut. Reglos und schweigend die Welt. Und des Himmels Raum war leer." Auf der großen Videowand öffnet sich ein pechschwarzer Tunnel, eine animierte Projektion, in die man hineingesogen wird und anschließend mit hohem Tempo durch das Universum rast.

Dann hebt sich die Videowand und gibt den Blick auf die Bühne an diesem Donnerstagabend frei. Dort liegt Frank auf dem Boden. Protagonist und bedauernswerte Hauptfigur in einem virtuellen Computerspiel. "Let me out, I want out" schreit er, will heraus aus dem Spiel, aber "the only way out is in", ruft man ihm entgegen. Heraus kommt nur, wer hineingeht und mitspielt.

Alles ist visualisiert wie im Computerspiel

Auch wenn es ein wirklich böses Spiel ist: Viermal muss Frank in einer von Wassermangel drangsalierten Welt versuchen, seine Familie vor dem Verdursten zu retten. In jeder Runde scheitert er, die beiden Frauen "April 1" und "April 2" bleiben tot im Wüstensand liegen. Doch niemand stirbt wirklich, denn alles, was hier passiert, gehört zum Spiel "Ultraworld".

Höchst stilisiert lässt Susanne Kennedy ihre Figuren opulente Spiel- und Videolandschaften durchwandern. Zusammen mit Markus Selg hat sie eine Theater-Arcade – eine Art Videospiel-Halle - entstehen lassen, in der am Rand des Bühnenbildes noch die groben Pixel des originalen "Snakes and Ladders"-Spiels zu sehen sind. Die Schlange aus dem Paradies bewegt sich derweil in einer gestochen scharfen 3-D-Animation auf den hilflosen Frank zu.

Philosophische Grundgedanken über Identität und Subjektivität, Bewusstsein und Realität, Traum und Wirklichkeit - all das ist hier bildkräftig visualisiert, in der leuchtend bunten Farbenwelt der Computer-Games.

Leere der virtuellen Welt

Die Stimmen - im konventionellen Theater immer noch zentrale Trägerinnen von Identität - kommen bei Kennedy wie gewohnt aus dem Off, lippensychron von den Darstellerinnen und Darstellern in bestem Business-Englisch vorgetragen. Fremde und verfremdete Sätze, emotionslos wie aus einem Online-Sprachkurs, ähnlich den monotonen Durchsagen auf Bahnhöfen und Flugplätzen. In früheren Arbeiten hat Susanne Kennedy auch die Gesichter mit Masken verfremdet, an diesem Abend kann man die acht Schauspielerinnen und Schauspieler unmaskiert, aber nicht unbedingt nahbarer erleben. Identifikation ist hier auch nicht beabsichtigt.

So schön die Bilder - zweifellos mit hohem technologischen Aufwand hergestellt - auch aussehen, nach einer guten Stunde in dieser schönen Theater-Spielhalle stellt sich eine gewisse Langeweile ein. Ganz so wie am heimischen Bildschirm, wenn man zu lange vor einem Computerspiel gesessen hat und die Leere der virtuellen Welt zu spüren beginnt.

Reizüberflutung und ein Gewitter im Goldfischglas

Bei dieser reizüberfluteten Inszenierung sorgt wohl auch deshalb zum Ende hin ausgerechnet ein Gewitter im Goldfischglas immerhin für ein bisschen Heiterkeit an einem ansonsten sehr ernsten Abend. Ganz real auf der Bühne ereignet sich die kleine Episode: Der arme Fisch fliegt in die Ecke, zum Glück ein Ding aus Holz.

Überhaupt ist hier alles nur ein Spiel - mit der Realität, mit der Identität, mit dem Bewusstsein. Frank steht am siebten Tag der Schöpfung vor dem purpurnen Himmel, den Blick nach oben gerichtet. Er ahnt noch nichts vom verlorenen Paradies.

Sendung: Inforadio, 17.01.2020, 11:55 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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