Konzertkritik | Tindersticks in der Berliner Philharmonie - Musikpoetische Meisterwerke

Mi 05.02.20 | 07:45 Uhr
Tindersticks (Quelle: Richard Dumas)
Audio: Inforadio | 05.02.2020 | Hans Ackermann | Bild: Richard Dumas

Wenn sich elektrische Gitarren und Streicher treffen und dazu ein klagender Bariton singt, dann hat man es mit den "Tindersticks" zu tun. Am Dienstag war die britische Band um Sänger Stuart Staples in der Berliner Philharmonie zu Gast. Von Hans Ackermann

Nur eine gute halbe Stunde brauchen die Tindersticks, um den großen Saal der Philharmonie mit sparsamen musikalischen Arrangements in einen ganz eigenen Klangraum zu verwandeln. Im Song "Trees Fall" ist es, als wehe vom Ozean eine sanfte Brise herein, als schmecke man das Meersalz auf den Lippen, die ganze Bühne strahlt im dunkelblauen Scheinwerferlicht.

Die sechs Musiker präsentieren - überraschenderweise ohne den angekündigten Cellisten Andrew Nice - ihr neues Album "No Treasure But Hope". Übersetzt heißt der Titel "Keine Schätze, nur Hoffnung", auf dem Cover der CD ist eine Seekarte mit Inseln abgebildet - das hilft allerdings nur bei dem Versuch, die Poesie der Band aus dem nordenglischen Nottingham zu enträtseln. Vermutlich schaffen es am Ende nur Muttersprachler, die Texte von Staples vollständig zu verstehen.

Melancholischer Tanz

Die Sprachbilder, Assoziationen und Botschaften mögen schwer zu entschlüsseln sein, die schöne Nachtstimmung der melancholischen manchmal geradezu schmerzhaften Songs breitet sich trotzdem schnell und angenehm im großen Saal  der Philharmonie aus. Auffallend viele der Lieder stehen im Dreiertakt, wodurch sich die Musik auch bei größter Melancholie nicht schwermütig schleppt, sondern immer auch ein bisschen tanzt.

Noch im letzten Winkel, hoch oben fast unter dem Dach der unvergleichlich guten Konzerthalle, hört man an diesem klangtrunkenen Abend jeden der langgezogenen sinfonischen Gitarrentöne, die der Gitarrist Neil Fraser mit größter Fantasie seinen Instrumenten entlockt. Beim  Sprechgesang von Stuart Staples rücken dann nicht wenige im Publikum ganz nach vorn auf die Sitzkante, besonders beim Song "See my Girls".

Verzweifelte Postkarten

In einer für Stuart Staples Texte typischen Aufzählung, reiht er darin aktuelle und historische "Schreckensorte" aneinander, singt von den "Killing Fields" in Kambodscha und von "Birkenau", spannt einen Bogen von den flandrischen Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bis in das zerstörte syrische Damaskus. Von all diesen Ort haben ihm die Mädchen - vielleicht erwachsene Töchter - Postkarten geschickt, die er voller Verzweiflung betrachtet. Sicher der dunkelste Song im gesamten Konzert, erst beim nächsten Lied wird es wieder heller im Saal.

So wie jeder Song an diesem gelungenen, anrührenden Abend ist die Bühne dann bei "For the Beauty" auch wieder in eine einzelne Farbe getaucht. Ein mildes Grün, wie es auch die "Hauptdarstellerin" im dazugehörigen Video zeigt: die Pusteblume im Glas, die der Sänger in ihrer zerbrechlichen Schönheit besingt. Ein kleines musikpoetisches Meisterwerk am Ende des Abends, vorgetragen trotz starker Erkältung - von der Stuart Staples dem Publikum aber erst ganz zum Schluß erzählt. Gehört hatte man davon ohnehin nichts.

Sendung: Inforadio, 05.02.2020, 6:55 Uhr

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