Ausstellung über "Waste Pickers" - Überleben in der Apokalypse

Fr 26.06.20 | 14:58 Uhr | Von Cora Knoblauch
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Das erstplatzierte Foto des internationalen Foto-Wettbewerbs «Unicef-Foto des Jahres 2019» des Fotografen Hartmut Schwarbach Argus zeigt Kinder im Stadtteil Tondo am Hafen, die Plastikflaschen aus der verdreckten Bucht sammeln, um sie bei einem Müll-Recycler zu verkaufen. (Quelle: dpa/H. Schwarzbach)
Audio: Inforadio | 25.06.2020 | Cora Knoblauch | Bild: dpa/H. Schwarzbach

Etwa 400 Millionen Tonnen Plastik werden jährlich weltweit produziert. Vor allem in den armen Ländern strandet der Müll auf gigantischen Halden. Aus ihm versuchen Menschen, ihr Überleben zu sichern. Das Leben der "Waste Pickers " zeigt eine neue Ausstellung in Berlin. Von Cora Knoblauch

"Waste Pickers" heißen die Müllsammler, und es gibt sie beinahe überall: in Russland, in Brasilien, in Südafrika, Indien und auf den Philippinen. Aus den Resten, die die Gesellschaft übriglässt, versuchen Hunderttausende von Menschen, genug zum Überleben zu finden. Eine Ausstellung im Berliner Willy-Brandt-Haus versammelt die Arbeiten von drei Fotografen und Künstlern, die die Waste Pickers besucht und porträtiert haben.

Da gibt es eine großformatige Fotocollage, die einen Jungen in einem kleinen Boot zeigt. Mit den Händen versucht er, Verwertbares aus dem Wasser zu fischen, das in sämtlichen Farben schillert. Bei näherem Hinschauen sieht der Betrachter: Die Haare des Jungen sind aus Plastik, sein T-Shirt, das glitzernde Wasser - ein Meer aus kleinen, bunten Plastikschnipseln.

Das Bild in der Ausstellung "Überleben im Müll" stammt von Dodi Reifenberg. Der Berliner Künstler sammelt Plastiktüten aller Art und macht daraus Kunst. Reifenberg möchte in seiner Kunst mit Dingen arbeiten, die beide Seiten haben: Schönheit und Hässlichkeit. Für ihn ist die Plastikmülltüte genau das. Er habe Plastiktüten vor vielen Jahren gesammelt, zunächst ohne zu wissen warum. "Ich fand sie faszinierend. Ich habe sie gehasst und geliebt," lacht Reifenberg.

Archivbild: Der israelische Künstler Dodi Reifenberg kam vor dreißig Jahren nach Berlin. Er fühlt sich hier wie zu Hause. Er sagt, dass das Leben im <<Tabuland Deutschland>> einen besonderen Reiz für ihn habe. Das gelte nicht nur für ihn, sondern auch für die vielen anderen Isrealis, unter ihnen zahlreiche Künstler, die in den letzten Jahren nach Berlin gezogen seien. (Quelle: dpa/G. Engelsmann)
Bild: dpa/G. Engelsmann

Fotos von spielenden Kindern im Müll und von Müllsammlern findet Dodi Reifenberg im Internet und Zeitungen. Er vergrößert die Fotomotive und baut sie aus kleingeschnittenen Plastiktüten nach: "Dieses Material ist für mich ein Symbol. Das Problem sitzt viel tiefer. Das Problem ist schon auf der Ebene unserer kapitalistischen Gesellschaft. Man muss immer kaufen, kaufen, kaufen, wir brauchen immer neues, anstelle Sachen so herzustellen, dass sie ewig halten."

Gegenüber von Dodi Reifenbergs Plastikbildern hängen die Fotos der Fotografen Hartmut Schwarzbach und Christoph Püschner. Schwarzbach porträtiert Kinder auf den Philippinen, die die Bucht von Manila absuchen nach Müll, den sie für ein paar Cent an lokale Recycling Firmen verkaufen.

Elke Büdenbender (l), Ehefrau von Bundespräsident Steinmeier und Schirmherrin von Unicef Deutschland, überreicht dem diesjährigen Preisträger, dem deutschen Fotografen Hartmut Schwarzbach, bei der Preisverleihung des Fotowettbewerbs "Unicef-Foto des Jahres" eine Urkunde. Schwarzbach hat ein 13-jähriges Mädchen fotografiert, welches im Hafen von Manila (Philippinen) Plastikflaschen einsammelt, um etwas Geld zu verdienen. (Quelle: dpa/B. Jutrczenka)
Bild: dpa/B. Jutrczenka

Mit seiner Reportage gewann er 2019 die Unicef-Auszeichnung Foto des Jahres. Der Fotograf Christoph Püschner hat in vielen Ländern das Leben der Waste Pickers dokumentiert. Für die Fotos in der Ausstellung ist er in die indische Stadt Guntur gereist und hat dort Familien kennengelernt, die auf einer gigantischen, permanent schwelenden Müllhalde leben. Man könne deren Leben nur als Überleben bezeichnen, sagt Püschner, ein Überleben in der Apokalypse. Für ein Kilo Plastik bekämen die Familien 40 Cent. Doch sie müssten sehr lange sammeln, um überhaupt ein Kilo Plastik zusammenzubekommen. Diese Familien bezögen ihr gesamtes Leben aus dem Müll, sagt Püschner. Kleidung, Nahrungsmittel, Hütten - alles finden sie auf der Müllkippe, auf der sie leben, oder sie stellen es aus Müll her.

Die Waste Pickers von Guntur gelten als Ausgestoßene der Gesellschaft. Trotz allem, so Christoph Püschner, strahlten diese Menschen etwas Würdevolles aus. Er habe sie als sehr warmherzige, offene Menschen kennengelernt, erzählt er. Der Fotograf hat mit den Familien mehrere Wochen verbracht und ihren Alltag aus nächster Nähe porträtiert: "Ich war sofort Teil. Für mich ist Fotografie auch nicht, dass ich von irgendeiner Reihe auf das Geschehnis gucke. Diese berühmte journalistische Distanz, von der immer alle reden - nein. Das bin ich nicht. Wenn ich die haben will, komme ich nicht den Menschen nahe."

Die Ausstellung "Überleben im Müll" versammelt berührende und schockierende Bilder, die ein apokalyptisches Plastikzeitalter festhalten. Und sie führt dem Betrachter einmal mehr vor Augen, wo die Abfälle des Konsums enden und unter welchen Umständen Menschen darin überleben.

Sendung: Inforadio, 25.06.2020, 08:50 Uhr

Beitrag von Cora Knoblauch

2 Kommentare

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  1. 2.

    Der Beitrag ist berührend und interessant zu lesen, dennoch die Frage an den rbb, ob es keine gut ausgebildeten Sorecher*Innen mehr gibt?
    Oder ist die Autorin persönlich betroffen vom Thema?
    So abgelesen, getragen, überbetont und gleichzeitig fast mit Trauer in der Stimme...
    Ich habe den Text hier ehrlich gesagt genossen, aber dieser Stimme zuzuhören ist schwer. Fällt mir in letzter Zeit häufiger auf beim Inforadio.

  2. 1.

    Was für ein trauriges Bild. Leider sehe ich es in meinem Alltag: Plastik überall... Ich habe mir gerade vor ein paar Tagen eine neue elektrische Zahnbürste gekauft: Der Plastikhaufen war wesentlich größer als der eigentliche Artikel. OK, kleiner geht ja auch schlecht...

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