Clubszene bangt um Bestand - Musiker und Booker fordern zweites Soforthilfe-Paket

Feiern und Clubbing haben gerade keine große Lobby. Aber die Clubszene ist ein wichtiger auch ökonomischer Teil von Berlin und droht durch die Pandemie auszusterben. Musiker und Booker fordern einen Weg aus dem Lockdown und mehr Geld. Von Anke Fink
"Für die Kultur - alle in einem Boot" hieß ein sogenannter Demo-Rave auf dem Landwehrkanal am Pfingstsonntag. Er sollte für die Berliner Musik- und Clubszene solidarisieren und bewirkte das Gegenteil. 3.000 Teilnehmer auf 400 Booten haben sich nicht an die Corona-Regeln gehalten und dazu noch ausgerechnet vorm Urban-Krankenhaus ihren Abschluss-Rave geplant. Die spektakulären Bilder aus Berlin haben der Szene, der das Wasser bis zum Hals steht, einen Bärendienst erwiesen.
Unter dem Label "Booking United" hatten sich im Mai etwa achtzig Agenturen aus Berlin zusammengeschlossen, die Musiker, DJs und Künstler durch Booker und Manager vertreten. Sie wollen damit auf ihre katastrophale wirtschaftliche Situation in der Pandemie aufmerksam machen. Sie sprechen für rund 2.000 DJs, Live-Acts und Bands, die die "Marke Berlin" in der gesamten Welt verbreitet haben. Der gute Ruf der Stadt speist sich eben zu einem erheblichen Teil aus der Subkultur und der Clubszene. Durch die Absage sämtlicher Veranstaltungen nicht nur in Berlin, sondern weltweit geht dieser Branche nahezu das komplette Einkommen für das Jahr 2020 verloren. Und sie wissen, sie werden zu den Letzten gehören, die aus dem Corona-Lockdown herauskommen. Klar ist jetzt schon: Viele von ihnen werden das wirtschaftlich nicht überleben.
Auch DJs ernähren ihre Familien
Anja Schneider spricht für die DJs bei Booking United. Sie ist der Stadt Berlin für die Soforthilfe dankbar, die sie am Anfang der Corona-Einschränkungen unkompliziert und schnell für drei Monate ausgezahlt hat. Jetzt ist ein Vierteljahr um und die DJs wissen nicht, wie es weitergeht, sagt sie im Gespräch mit rbb|24. Es gehe ja nicht nur um Global Player, die die Hallen auf der ganzen Welt gefüllt haben, sondern auch um den Resident-DJ in einer Bar, der dort drei Mal die Woche auflegt und damit seine Familie ernähre. Sie selbst reist seit fast 20 Jahren an den Wochenenden, um in Clubs aufzulegen. Damit ist nun erstmal Schluss. Sie hat noch einen Termin im Kalender Anfang August in Georgien. Ob sie den wirklich wahrnimmt, weiß sie noch nicht. Sie frage sich, so Anja Schneider, ob sie das Risiko eingehen kann und mit diesem Engagement womöglich ihre Familie gefährdet.
Einige DJs mussten Grundsicherung beantragen
Viele DJs hätten am Anfang des Lockdowns gesagt, sie gehen jetzt ins Tonstudio und machen ganz viel Musik. "Normalerweise kann man als DJ seine Sachen gleich im Anschluss im Club ausprobieren und gucken, wie sie ankommen", so Anja Schneider, die zudem die wöchentliche Sendung Club Rome bei der rbb-Hörfunkwelle Radioeins moderiert. Derzeit sei es deshalb schwierig mit der kreativen Arbeit. "Manche Leute sind depressiv und in ein Loch gefallen", erzählt sie weiter. Einige hätten schon den Gang zum Arbeitsamt gemacht, um die Grundsicherung zu beantragen. Auch ihre Eltern hätten sie gefragt, was sie denn jetzt machen wolle. "Ich habe mir das 20 Jahre aufgebaut", sagt sie. Das könne und wolle sie sich nicht einfach kaputt machen lassen.
Ausgehen werde für längere Zeit nicht mehr so sein, wie es vorher mal war, schätzt Anja Schneider ein. Bevor es keinen Impfstoff gibt, werden Veranstaltungen nur mit sehr viel weniger Leuten möglich sein, was dann mehr Eintritt für die Gäste bedeutet, und auch die Gagen für die Künstler werden anders ausfallen, wie sie weiter sagt. "Wir fragen uns jetzt einfach, ob Berlin will, dass wir noch weiterarbeiten und Output haben oder nicht." Wenn die Stadt das will, dann müsse sie auch helfen.
1,4 Milliarden Euro Umsatz für Berlin
Die Musik- und Clubszene ist ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor. Laut einer Studie zur Clubkultur in Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft setzt die Branche jährlich 623 Millionen Euro um, hat einen Personalstamm von 28.000 festen und freien Mitarbeitern. Allein in Berlin werden demnach die gesamtwirtschaftlichen Umsatzeffekte durch Clubtourismus mit 1,48 Milliarden Euro jährlich beziffert.
Genau deshalb hat die Berliner Landespolitik der Musikwirtschaft auch schnell unter die Arme gegriffen, als sämtliche Clubs schließen und Veranstaltungen abgesagt werden mussten. Markus Nisch von der Berliner Booking-Agentur Return und Vorstand bei United Booking sagte rbb|24, man kenne und schätze sich. "Jetzt lassen sie uns aber ein bisschen im Regen stehen." Es gebe kein Geld mehr, heiße es, um ein weiteres Hilfspaket in einer ähnlichen Höhe aufzustellen und der Senat verweise auf den Bund, so Nisch weiter. Die Reaktionen aus dem Bund seien ernüchternd. Mehr als Achselzucken oder Desinteresse habe er noch nicht bekommen. Nisch sagt, er habe das Gefühl, dass es gar keinen Plan gibt, wie man Soloselbstständigen und Künstlern weiterhelfen kann. "Wir empfinden die Situation als Quasi-Berufsverbot." Von Politiker-Seite höre er nun häufig, dass doch dafür die Hürden für die Grundsicherung aufgeweicht worden seien. Damit werde jedoch komplett ausgeblendet, dass die Familien und Partner finanziell mit hinuntergezogen werden, weil zunächst erstmal sie für den Lebensunterhalt der Musiker und Künstler aufkommen müssten.
Keine Öffnungsstrategie in Sicht
Warum die Clubs schließen mussten, ist den United-Booking-Leuten klar. Wo viele Menschen zusammenkommen, sei die Gefahr der Virusübertragung größer. Aber es gebe wenig bis gar nichts, was einer Öffnungsstrategie für die Musikwirtschaft nahekomme. "Wollen wir wirklich ganze Begegnungsbranchen pleite gehen lassen?", fragt Nisch. Es betreffe ja nicht nur den Kultur-, sondern auch den Sportbereich. Und wie könne er einen Business-Plan aufstellen, wenn er nicht weiß, ab wann er wieder anfangen darf, "Verträge rausschicken, die dann auch tatsächlich gültig sind?", fragt er weiter.
Weiteres Sofortpaket gefordert
Deswegen hat der United-Booking-Zusammenschluss Wünsche und Forderungen formuliert [externer Link - pdf]. Sie seien dankbar für bisherige Zuwendungen, bräuchten aber ein weiteres Sofortprogramm für drei Monate in Höhe von 5.000 Euro zur Deckung von Lebenshaltungskosten und zusätzlich 9.000 Euro für laufende Betriebskosten. Viele Künstler hätten bis zum Stichtag 15.März 2020 nur einen kleinen Teil ihrer regulären Sommer-Engagements vertraglich bestätigt, weil einige Festivals eher kurzfristig ihre Künstler buchten. Sie fallen nun durch sämtliche Raster, was Regelungen zu Ausfallhonoraren angeht, wie United Booking argumentiert. Sollten die Künstler von einer weitergehenden Schließung der Clubs und Spielstätten betroffen sein, müssten sie ab August 2020 Ausfallhonorare in Höhe von 60 Prozent erhalten, basierend auf Engagements der entsprechenden Monate des Vorjahres, mit einer Obergrenze von 2.500 Euro, heißt es weiter.
Außerdem brauche die Branche dringend einen verlässlichen Zeitplan für den Neustart von Clubs und Veranstaltungen mit verbindlichen Vorgaben zu Beschränkungen und Hygienevorschriften für den Veranstaltungsbetrieb.
Ausgehen wird nicht mehr so unbedarft sein
Die Pandemie habe jetzt schon sehr viel mit den Menschen gemacht, sagt Anja Schneider. Sie seien gar nicht mehr so unbedarft. Die Bilder der Demo auf dem Wasser dürften davon nicht ablenken. "Wir sind uns alle im Klaren darüber, dass sich der Markt komplett ändern wird", so die DJ-Sprecherin weiter. Trotzdem hoffen wir auf kleinere Lockerungen, damit man mit 100 oder 150 Leuten anfangen kann. Auch open air könnte man jetzt mehr machen. "Warum gibt uns die Stadt Berlin nicht eine Fläche und lässt die von 15 bis 22 Uhr bespielen?", schlägt sie vor. United Booking wähle dann aus, wer auflegt. So könnte dort jedes Wochenende ein Club aufspielen. Aber in Berlin gibt es gerade ein Tanzverbot. Wenn Anja Schneider aus ihrem Haus geht, sieht sie ein Beachvolleyball-Feld, wie sie erzählt. Dort dürfe wieder gespielt werden. Sie sehe also dieses Feld voll mit halbnackten verschwitzen Körpern, die sich einen Ball zuspielen. Sie freue sich für sie, aber frage sich, warum man sich dann nicht auch zur Musik bewegen dürfe.
Bilder Demo-Rave haben nicht geholfen
Dass die Demo am Pfingstsonntag den Musikern, DJs, Agenturen und Bookern nicht geholfen hat, sei allen klar, sagt der United Booking-Vorstand Markus Nisch. So toll die Bilder in normalen Zeiten aussehen würden, so sehr sorgen sie doch jetzt für Kopfschütteln. Aber auch wenn die Bilder aus Berlin spektakulärer seien, möchte er gern darauf hinweisen, dass "das Nicht-Einhalten von Abstandsregeln nicht alleiniges Problem in unserer Szene ist". Das ziehe sich durch ganz Deutschland. Auch bei Familienfeiern in Göttingen und in einer Kirche in Frankfurt am Main, seien die Regeln nicht eingehalten worden. "Wir negieren nicht die Gefahr oder das Virus", so Nisch weiter. Aber die Club- und Musikkultur in Berlin befinde sich in einer ganz kritischen Phase. Nach dem Sommer werde man sehen, dass es einige Festivals und Clubs nicht geschafft haben.