CD-Box "The Bowie Years" von Iggy Pop - "David Bowie hatte einen historischen Blick auf das Ganze"
"The Bowie Years" – unter diesem Titel hat Iggy Pop gerade eine siebenteilige CD-Box der gemeinsamen Zeit mit David Bowie im West-Berlin der späten 70er-Jahre herausgebracht. Sie ist eine tiefe Verbeugung des Punk-Veteranen vor seinem Freund. Von M.C. Lücke
Mit einer siebenteiligen CD-Box zollt Iggy Pop der gemeinsamen Zeit mit David Bowie in Berlin Tribut. Das Set beinhaltet im Kern die zwei besten Solo-Platten von Iggy Pop, "The Idiot" und "Lust For Life", produziert von David Bowie.
Der Titel der Retro-Box ist auch eine Verbeugung des wilden Rock N' Rollers vor seinem Freund und langjährigen Partner David Bowie, der Iggy Pop nach dem Ende seiner Band The Stooges eine neue musikalische Vision gab.
Gemeinsam spielten Pop und Bowie bereits 1977 Post-Punk – bevor es Post-Punk überhaupt gab, und zu einer Zeit als Punk in Europa gerade erste, wilde Blüten trieb. Erneut der Zeit weit voraus, so wie Ende der 60er-Jahre, als Iggy mit seinen Stooges metallisch, laut und provokativ den Punk vorwegnahm. Mit Saxofon und Keyboards eingespielt, dazu schroffe Gitarren-Sounds und fette, dunkle Basslines. New Wave.
Bowie begleitete Iggy Pop als Keyboarder auf Tour und appellierte beharrlich an dessen feminine Seite. Von der Härte sollte Pop zum Gefühl, im eigenen Gefühl seine Inhalte finden.
Die Bowie-Jahre begannen lange vor West-Berlin
Wann begannen eigentlich Pops Bowie-Jahre? Jedenfalls weit vor der gemeinsamen Arbeit in den Hansa-Studios, dem gemeinsamen Leben in Berlin-Schöneberg und dem Feiern im West-Berliner Kult-Laden "Dschungel".
In den USA hörte David Bowie 1970 als Gast einer Hörfunksendung zum ersten Mal die Stooges und war beeindruckt von ihrer Direktheit und Aggressivität. Besonders ihr Sänger Iggy Pop hatte es dem Engländer angetan. Pops Rohheit und Dringlichkeit als Performer und Texter sprachen eine Seite in David Bowie an, von der er wusste, dass er sie niemals so radikal umsetzten können würde, wie der Proto-Punk aus Detroit.
1972 trat Bowie in Iggys Leben, wohl wissend, dass er sich um diesen Kerl, der sich auf der Bühne in Scherben wälzte und sich mit dem Mikrofonkabel zu strangulieren versuchte, wahrscheinlich eines Tages mal ernsthaft werde kümmern müssen.
Der Anfang ihrer später tiefen und bis zu Bowies Tod andauernden Freundschaft gestaltete sich schwierig. David Bowie wollte 1973 das Stooges-Album "Raw Power" produzieren. Doch stattdessen degradierte Iggy Bowie zum Mixer und produzierte das Album selbst. Der Engländer war Pop nicht hart genug, zu viel Pop für Mr. Pops Geschmack. Doch die großen "Bowie Years" waren für beide nicht mehr weit.
Der letzte Akt im Drogen-Chaos
Der Rock 'n' Roll-Traum der Stooges hatte sich längst in einen drogengeschwängerten Albtraum verwandelt. Equipment verschwand aus dem Bandraum, vom Erlös wurde Heroin gekauft. Und unabhängig davon, dass es kein zerstörerisches Bild gebraucht hätte, um das Ende der Stooges nachdrücklich zu veranschaulichen, zerschellte ihr Tourbus an einer tief hängenden Brücke.
Das Scheitern seiner Band stürzte Iggy Pop in tiefe Depressionen inmitten einer ausgeprägten Drogenabhängigkeit. 1975 machte er eine Entziehungskur, bezahlt wurde der Klinikaufenthalt von David Bowie.
Sein Freund und Mentor war zurückgekehrt, selbst körperlich und seelisch angeschlagen und musikalisch ausgebrannt nach seiner Zeit als Ziggy Stardust, als androgyner Rock-Gott mit Alien-Appeal. Gemeinsam flohen beide vor ihrem destruktiven Lebensstil in die ehemalige Mauerstadt.
"Ich liebte Berlin aufgrund der Individualität der Menschen hier, und wegen der Mauer. Ich habe die Mauer geliebt, weil sie mir Amerika vom Hals gehalten hat", sagte Iggy Pop kurz nach dem Mauerfall. Da war er schon zehn Jahre weg aus Berlin.
Kreativ in der Mauer-Stadt
Die 7-teilige CD-Box "The Bowie Years", bietet neben den neu gemasterten Versionen seiner wichtigsten Soloalben, "The Idiot" und "Lust For Life", dem 1978 erschienen Live-Album "TV Eye" mit David Bowie an den Keyboards und drei weiteren Live-Alben aus London, Chicago und Cleveland, die begehrten Demos, Outtakes und alternativen Versionen bekannter Songs wie "China Girl" oder "Nightclubbing".
"Dum Dum Boys", seine Abrechnung mit der eigenen, wilden Jugend und seiner Band, den Stooges, befindet sich ebenfalls in dieser illustren Sammlung. Hier kommen selbst langjährige Fans auf ihre Kosten, denn das bislang unveröffentlichte Material füllt immerhin eine komplette CD.
Ein 40-seitiges Booklet spürt der Zeit von 1976 bis 1979 nach, und Fotos seiner damaligen Freundin Esther Friedman zeigen Iggy Pop in Berliner Alltagssituationen, auf dem Weg zur Arbeit von Schöneberg nach Kreuzberg.
Dadaisten in Zürich
Auch ein Interview mit Iggy Pop zur gemeinsamen Arbeit mit David Bowie beim "The Idiot"-Album, schmückt die "The Bowie Years"-Box. "David Bowie hatte einen größeren kulturellen Hintergrund als ich", erzählt Iggy in diesem Interview, "und einen historischen Blick auf das Ganze."
"In Europa ist es vielleicht normal zu wissen, was man unter Expressionismus zu verstehen hat, oder welche Rolle Tristan Tzara bei der Gründung der Dadaisten in Zürich gespielt hat, in den USA jedoch keineswegs. David wusste, wie man einen Wein aussucht, und was zur Hölle ein Entrecôte ist."
David Bowie habe ihn vom konzeptionellen Denken überzeugt, gibt Iggy Pop zu, obwohl er sich bis dahin mit Händen und Füßen dagegen gewehrt habe. Auch die gemeinsame Arbeitsweise war klar definiert, Bowie war primär für die Musik zuständig, Iggy Pop für die Texte.
Offenheit und Vertrauen in Berlin
Anders als 1973 hatte Iggy die Skepsis der frühen Jahre ("Wer ist dieser englische Snob?!") vollkommen abgelegt und David Bowie als seinen Mentor anerkannt. Ende der 70er-Jahre herrschte in den Hansa-Studios ein beflügeltes und produktives Nehmen und Geben dieser so grundverschiedenen Charaktere.
Wenn David etwa beiläufig einen Rhythmus auf den Knien trommelte und Iggy genau diesen Rhythmus für einen Song wollte, bekam er ihn, obwohl Bowie ihn für beliebig und minderwertig hielt.
Auf der anderen Seite ging Iggy Pop, stolz und überzeugt vom gerade abgelieferten Gesangspart, zurück ins Aufnahmestudio, weil Bowie verlangte, dass Iggy den Song nochmal singen sollte, und zwar so, wie Mae West ihn singen würde. "So hat es funktioniert", erzählt Iggy Pop in besagtem Interview. "David war wie ein nerdiger Filmdirektor, der einem ständig auf die Nerven ging, aber manchmal mit etwas wirklich Gutem rüberkam."
Was der gemeinsamen Produktivität zu Gute kam, war der Umstand, dass beide wenig Geld hatten und abliefern mussten. Das qualitative und quantitative Gewicht ihrer Arbeit zeigte sich auf kaum zu glaubende Weise im Jahr 1977: "The Idiot" erschien im März, "Lust For Life" im September.
Und Bowie veröffentlichte mit "Low" und "Heroes" die ersten beiden Alben seiner Berlin-Trilogie (1979 vervollständigt mit dem Album "Lodger"). Beide Musiker waren 1977 30 Jahre alt, voller Tatkraft und inspiriert von der Kunst und dem Nachtleben der Mauerstadt.
Aber viel Geld zum Feiern können sie nicht gehabt haben, zumindest wenn wir Iggy Pop glauben dürfen, der das Interview zu "The Idiot" auf "The Bowie Years" wie folgt abschließt: "David und ich waren unsere eigenen Roadies. Da waren keine Sklaven vor der Studiotür, die gewillt waren, unser Equipment nach oben zu buckeln. Das haben wir alles selbst gemacht, jeden verdammten Verstärker hoch in den dritten Stock. Ohne Aufzug. Ich konnte mir damals einfach keinen Roadie leisten."