Interview | Jüdisches Museum öffnet wieder - "Ich denke, dass es jetzt Zeit für einen Neuanfang ist"

Di 18.08.20 | 14:00 Uhr
Das Jüdische Museum in Kreuzberg. Der Zickzack-Bau von Daniel Libeskind ist eines der beliebtesten Ausstellungshäuser in Deutschland. (Quelle: dpa/B. Jutrczenka)
Audio: Inforadio | Vis a Vis | 18.08.2020 | 09:45 Uhr | Bild: dpa/B. Jutrczenka

Zweieinhalb Jahre wurde das Jüdische Museum in Berlin umgebaut, am Sonntag öffnet die neue Dauerausstellung. Seit April leitet Hetty Berg das Haus. Im Interview erzählt sie über den Neustart und die künftige Ausrichtung des Museums, über das schon viel gestritten wurde.

rbb: Hetty Berg, Sie haben in Berlin ein Haus übernommen, um das es viel Streit gab. Es wurde gesagt, das Jüdische Museum sei israelfeindlich und pro-muslimisch. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu forderte die Bundesregierung deshalb 2018 auf, dem Museum die Unterstützung zu entziehen. Wie gehen Sie als neue Leiterin damit um?

Hetty Berg: Ich war sehr froh, nach Berlin zu kommen. Es ist ein sehr schönes und renommiertes Haus, eines der größten und wichtigsten jüdischen Museen Europas. In der deutschen Gesellschaft spielt es natürlich eine sehr wichtige und auch symbolische Rolle. Für mich ist es eine Herausforderung, dieses Haus zu übernehmen aber auch eine Ehre, so ein Haus zu leiten. Und ich denke, dass es jetzt Zeit für einen Neuanfang ist. Ich glaube, dass das Jüdische Museum das Potenzial hat, um sich weiterzuentwickeln.

Sind sie ein Mensch, der alles liest oder sagen Sie, die Einzelheiten will ich jetzt wissen. Ich mache jetzt hier was Neues?

Ich habe alle Presseartikel gelesen. Das muss man machen, wenn man so eine Stelle ins Auge fasst. Der ganze Streit ging über die Ausstellung "Welcome to Jerusalem". Man muss die Arbeit des Museums im Ganzen sehen, das ist mein Ausgangspunkt. Es gibt so viele Angebote: Wir haben nicht nur die neue Dauerausstellung, sondern das Programm der Wechselausstellungen, Veranstaltungen und die Kinderwelt. Es wird Neues geben, auch für den Kiez Kreuzberg. Das ist sehr spannend und hat wirklich sehr viele Möglichkeiten.

Die Ausstellung wirkt ästhetisch reizvoll und interessant, und das Haus kommt vielmehr zur Geltung. Woran liegt das?

Es war uns sehr wichtig, dass die Ausstellung auch die Architektur von Daniel Libeskind aufnimmt und mit ihr interagiert. Die Räume sind weniger überladen, damit man die Linien der Architektur auch in der Ausstellung sieht. Trotzdem gibt es mehr Originalobjekte und mehr als 70 Prozent davon stammen aus der eigenen Sammlung.

Wodurch ist die Sammlung so groß geworden? Wer spendet ihnen Gegenstände

Sehr viele deutsche Juden, die in den 1930er-Jahre ausgewandert sind und in den USA oder irgendwo anders leben. Die haben uns ihre Familiendokumente, Fotos und Gegenstände gestiftet.

Wir bekommen auch Gegenstände von Nichtjuden. Es ist für uns essenziell, dass Menschen auf uns zukommen und uns ihre Erinnerungen zeigen.

Sie sind 1961 in Den Haag geboren. Wie würden Sie Ihr Elternhaus beschreiben?

Es war ein sehr offenes, säkuläres Haus mit Eltern, die sehr engagiert waren. Mein Vater war für die sozialdemokratische Partei im niederländischen Parlament. Wir Kinder, meine zwei Schwestern und ich, waren frei in unseren Entscheidungen und Interessen. Mein Vater hat Musik sehr geliebt, meine Mutter hat viel Interesse an Geschichte und Kultur. Mit ihr bin ich ins Theater, zum Ballett und in Museen gegangen.

Was ist Ihre erste Erinnerung an Jüdisches in ihrem Leben?

Wir haben in der Familie kein Schweinefleisch gegessen, das ist mir als Kind aufgefallen. Und meine Urgroßmutter hat kleine jüdische Lieder gesungen. Wirklich gesprochen wurde über das Thema aber nicht, auch nicht über Kriegsgeschichten. Es gab Fotos von Menschen bei meiner Großmutter, die nicht erklärt wurden. Es gab viele kleine Dinge, die eigentlich mysteriös waren.

Die Niederlande waren im Zweiten Weltkrieg fünf Jahre besetzt von Deutschland, und die überwältigende Mehrheit der Juden in Holland wurde umgebracht. Ihre Eltern waren zu dieser Zeit fast noch Kinder?

Ja, sehr viele Mitglieder der Familie sind ermordet worden, wie in allen jüdischen Familien in den Niederlanden. Ich habe an meinen Großeltern immer sehr bewundert, wie widerstandsfähig, belastbar und mutig sie nach dem Krieg weitergelebt haben. Um das zu ermöglichen, haben sie nicht zurück auf das Elend geblickt, sondern das Schöne in der Zukunft gesehen. Typisch für meine Generation ist es, sich für das Trauma und auch das Judentum zu interessieren. Ich wollte wissen, was damals los war und für welche Kultur die Juden von den Nazis ermordet wurden. Deswegen habe ich als Teenager hebräisch gelernt und bin dann Mitglied der Jüdischen Gemeinde geworden. Ich war oft in Israel, weil wir dort Familien haben. Für mich ist es eine Art Heilung und Aufarbeitung, für ein Jüdisches Museum zu arbeiten.

Was ist Ihre innere Richtschnur dafür, was ein Jüdisches Museum in Berlin darf oder nicht darf?

Für mich ist das Museum in einem Spannungsfeld zwischen der Vermittlung der Geschichte und Kultur der Juden in Deutschland vom Anfang bis in die Gegenwart und auf der anderen Seite die Debatte um Themen der Gesellschaft heute. Diese Fragen sollten wir aufgreifen und ein gesellschaftlich relevanter Ort sein, der sich mit Ausgrenzung, Nachbarschaft, Identität und Diversität beschäftigen kann. Im Moment ist alles so polarisiert. Ich hoffe wirklich, dass wir eine Form finden können, mit Respekt auch über gegenseitige Ideen zu sprechen.

Gehört Israel in ein jüdisches Museum? Das ist das Thema, über das es immer Streit gibt.

Israel ist ein wichtiger Bezugspunkt für Juden in der ganzen Welt. In diesem Sinne spielt Israel auch für die Juden in Deutschland eine wichtige Rolle, genau wie in der Beziehung zwischen Deutschland und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Dieses ganze Spiel gehört in das Jüdische Museum. In der neuen Dauerausstellung wird das in der Nachkriegszeit thematisiert. Was für mich nicht im Fokus des Jüdische Museum in Berlin stehen soll, ist der Nahost-Konflikt.

Wie unabhängig muss das Museum sein? Wie stehen Sie zu gesellschaftlichen und staatlichen Interventionen?

Das Jüdische Museum Berlin ist ein nationales Museum, aber es ist auch ein unabhängiges Museum. Und das soll es auch sein. Im Gegensatz zu dem, was man in Polen und in Ungarn sieht, wo die Regierung in wissenschaftliche und kulturelle Institutionen eingreift, ist das hier nicht den Fall. Und ich sehe auch eine Rolle für Deutschland, ein gutes Vorbild in Europa zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview ist eine gekürzte und redigierte Variante des Interviews, das Almut Engelien für Inforadio mit Hetty Berg geführt hat. Das vollständige Gespräch können Sie oben im Beitrag als Audio hören.

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