Interview | Tahir Della über Projekt für Kolonial- und Widerstandsgeschichte - "Es muss eine kritische Aufarbeitung stattfinden"
Berlin bekommt mit "Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt" ein Projekt für Kolonial- und Widerstandsgeschichte. Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, erklärt im Interview warum die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit gerade jetzt so wichtig ist.
Das Projekt "Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt" thematisiert in den kommenden fünf Jahren die deutsche und Berliner Kolonial- und Widerstandsgeschichte sowie die Nachwirkungen auf die globalisierte Gegenwart. Mitinitiator Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, erklärt im Interview, wie die Aufarbeitung der Vergangenheit gelingen kann.
rbb|24: Wir sitzen in einem leeren Ladenlokal in einem Plattenbau in der Wilhelmstrasse, genauer Wilhelmstrasse 92. Hier hat das Modellprojekt Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt einen Informations- und Veranstaltungsort eingerichtet, der heute eingeweiht wurde. Herr Della, was hat es mit dieser Adresse auf sich?
Tahir Della: Das Projektbüro der "Dekoloniale", die Straße und der Ort ist nicht ganz zufällig, es ist der Ort, wo die Reichskanzlei stand. Also hier, in diesem Gebäude hat die Afrikakonferenz stattgefunden, zu der Bismarck eingeladen hat, wo der afrikanische Kontinent aufgeteilt worden ist, wo die europäischen Mächte über mehrere Wochen hinweg die kolonialen Projekte organisiert haben und damit beigetragen haben zur Grundsteinlegung des europäischen Kolonialismus.
Was will Dekoloniale, was sind die Hintergründe für das Projekt?
Dekoloniale ist ein fünfjähriges Projekt, unterstützt durch das Stadtmuseum Berlin, finanziert vom Senat Berlin und die Bundeskulturstiftung, es ist ein fünfjähriges Projekt, was organisiert wird vor allem von der Zivilgesellschaft, hier sind drei Verbände zentral, das ist Each One Teach One e.V., Berlin Postkolonial e.V. und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).
Diese drei Initiativen sind schon länger dabei, das Thema koloniale Aufarbeitung im öffentlichen Raum in den Museen und Sammlungen voranzutreiben. Durch das Projekt wird es nun möglich, dieses Anliegen auch tatsächlich organisiert im gesamten Stadtraum zu betreiben. Hier geht es nicht nur um die Museen und Sammlungen, sondern der gesamte öffentliche Raum ist hier im Fokus, und es soll deutlich gemacht werden, dass die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ein Querschnittsthema ist, wo auch vor allen Dingen die Stadtgesellschaft mitgenommen werden soll. Wir wollen alle Bezirke bespielen mit Ausstellungen, Think-Tanks, Konferenzen, Interventionen im öffentlichen Raum, um klar zu machen, es ist kein Nischenthema, ein Kulturthema, sondern es ist ein politisches Thema und muss dementsprechend auch in allen Bereichen stattfinden.
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland ist in den vergangenen Wochen vor allen Dingen auch dadurch in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten, weil sie für Straßen- und Ortsumbenennungen plädiert. Hier in der Nähe befindet sich die Mohrenstraße - was ist Ihr Anliegen?
Die ISD ist schon lange an dem Thema dran, um zu klären, gibt es in Deutschland ein nichtaufgearbeitetes Problem mit dem Kolonialismus, das macht sich vor allem an Straßennamen fest, die in allen deutschen Städten zu finden sind. Die M*straße ist so eine Straße, hier ist eine Straße benannt nach Menschen, die unter Versklavungsumständen nach Berlin, nach Europa kamen, nach denen ist diese Straße benannt. Wir sind der Auffassung, dass diese Bezeichnung auch für Schwarze Menschen, Menschen afrikanischer Herkunft, rassistisch diskriminierend ist, deswegen plädieren wir dafür, diese Straße umzubenennen.
Wir wollen auch deutlich machen mit der Umbenennung, dass wir uns in der Gesellschaft mal auf Menschen beziehen müssen, die eben im Widerstand gegen Rassismus, gegen Kolonialismus standen. Deswegen stehen wir dafür ein, dass Anton Wilhelm Amo, der erste bekannte, vom afrikanischen Kontinent stammende Philosoph in Deutschland, diesen Straßennamen bekommt, zukünftig, um einen Perspektivwechsel zu betreiben. Wir wollen klarmachen, wir müssen uns auf neue Persönlichkeiten beziehen, auf Menschen, die für Menschenrechte einstanden, Amo ist so eine Persönlichkeit.
Der Projektraum geht jetzt an den Start, was bedeutet es für die Initiative, was für ein Meilenstein ist das für die Initiative?
Ich hatte schon genannt, dass wir das Thema aus der Nische herausbekommen wollen. Wir wollen den öffentlichen Raum hier bespielen, den Menschen eine Möglichkeit geben, hier in einen Austausch zu treten. Zu erfahren, was die deutsche Kolonialgeschichte mit sich gebracht hat, welche Wirksamkeiten sind bis heute spürbar, und wir wollen auch sichtbar machen, dass es kein Randthema mehr ist.
Es ist ein ganz zentrales Thema bei der Aufarbeitung ganz vieler Themen, wenn wir über Migration und Flucht, Klimagerechtigkeit und Handelsgerechtigkeit sprechen, dann sind das Themen, die mit dieser Vergangenheit in Zusammenhang stehen. Wir wollen hier ermöglichen, dass die Gesellschaft, die Stadtgesellschaft, mit uns in einen Austausch tritt und tatsächlich mehr erfährt über die Geschichte, was bis dato nicht stattgefunden hat.
Wir sind in einem besonderen Jahr, nicht nur wegen Corona, sondern auch weil ein wichtiges Projekt des Bundes an den Start geht: Die Eröffnung des Humboldt-Forums im Herbst. Die Diskussionen darüber, wie Objekte aus kolonialen Zusammenhängen künftig dort präsentiert werden, hat das Thema der kolonialen Vergangenheit Deutschlands in die breite Öffentlichkeit getragen. Wie wird sich das Projekt Dekoloniale im künftigen Humboldt-Forum einbringen?
Die ISD mit ihren PartnerInnen aus dem Bündnis, steht dem Humboldt-Forum sehr kritisch gegenüber. Wir sind nicht der Auffassung, dass es ein geeigneter Versuch war, hier mit der kolonialen Vergangenheit zu brechen, deutlich zu machen, ist Berlin überhaupt rechtmäßige Besitzerin ihrer Sammlungsbestände beispielsweise aus dem kolonialen Kontext.
Wir sind der Auffassung, dass unser Projekt ein Gegenentwurf sein kann oder sein soll, um deutlich zu machen, es muss eine kritische Aufarbeitung stattfinden. Es kann kein Kulturthema sein, es kann nicht ein Thema sein, was mit dem Stadtschloss stattfinden kann, sondern es muss zivilgesellschaftlich organisiert sein, und es muss vor allen Dingen politisch organisiert werden. Da sind wir guter Hoffnung, dass das gelingen wird in diesen fünf Jahren. Was das Humboldt-Forum angeht, muss man abwarten, was da noch an Aktivitäten passiert, aber ich bin eher skeptisch, dass das zielführend sein wird.
Welche Unterstützung für Ihr Anliegen erwarten Sie aus der Gesellschaft?
Eigentlich sehr viel, wir sind schon zu der Überzeugung gekommen, dass das Thema sehr breit auch diskutiert wird in der Gesellschaft, vor einigen Jahren war das noch unbesprechbar, das hat sich geändert in den letzten Jahren. Wir sind guter Hoffnung, dass die Stadtgesellschaft auch partizipieren wird an dem Projekt. Wir wollen die Menschen einladen, nicht nur als Konsumenten teil zu haben, sondern auch aktiv, da sind wir eigentlich guter Dinge, dass das in verschiedenen Bezirken gut aufgenommen wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sigrid Hoff für rbbKultur. Für die Onlinefassung wurde das Interview redigiert.
Sendung: Kulturradio, 18.08.2020, 15 Uhr