Eröffnung neue Dauerausstellung Jüdisches Museum - Unsere Geschichte ist auch die Eure
Die Neukonzeption der Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin hat sich gelohnt: Hier werden keine historischen Fakten abgehandelt, sondern wir können uns treiben lassen – und so zur Erkenntnis erlangen, dass die deutsche und jüdische Geschichte eine gemeinsame ist. Ein Rundgang mit Wilhelm Klotzek.
Die schluchtartigen Korridore und schiefen Böden bringen einen ins Wanken. Man vergisst die blechernen Kästen, die sich draußen in der Mittagshitze auf der mehrspurige Lindenstrasse entlang schieben. Man spürt diesen anderen Raum, fühlt sich der eigenen Perspektive entrückt. Der Gang durch das Kellergeschoss des spektakulären Libeskind-Baus ist der beste Weg zur neuen Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin, die am Sonntag öffnet. Dann die Stufen hinauf bis in den dritten Stock, während einem in dem imposanten Treppenhaus die Betonbalken quer von links nach rechts über den Kopf schiessen. Hier wird moderne Architektur gelebt - immer noch.
Man gleitet vor Vergnügen fast von den Sitzpolstern
Die Ausstellung beginnt mit einer historischen Einführung. Gezeigt werden animierte Filme, historische Objekte und auditive Beiträge, die die enge Verflechtung von jüdischem und christlichem Leben im frühen Mittelalter aufzeigen. Eine der Quellen dafür war das aus dieser Zeit stammende "Buch der Frommen", quasi eine Anleitung von frommen und für fromme Juden. Ein Leitfaden zur respektvollen Navigation durch das alltägliche Leben im mittelalterlichen Deutschland. Daneben wird aber auch deutlich, dass dieses nachbarschaftlichen Verhältnis zweier Religionen auch von Konflikten und Ressentiments geprägt war.
Nach diesem "Epochenraum" gemeinsamer Geschichte betritt man eine Ruheraum-artige Klanglandschaft. Nach verschiedenen Themen sortiert, kann man sich auf bequem gestalteten Sitzgarnituren dem vielfältigen Liedgut des jüdischen Lebens hingeben. Von religiösen Liedern aus den Synagogen, Feiertagsgesängen bis zu dem anarchisch-komödiantischen Komponisten Georg Kreisler reicht das Spektrum. Bei der Kontrabassbegleitung zum jiddischen Hit "Bei Mir Bistu Shein" der amerikanischen "The Betty Sisters" gleitet man vor Vergnügen fast von den Sitzpolstern.
Genug Material für mehrmalige Ausstellungsbesuche
Beschwingt vom musikalischen Zwischenspiel zieht man weiter, durch die nächsten Räume. Vorbei an Anselm Kiefers "Scherwirat Ha-Kelim": die Installation einer bleiernden Bibliothek umgeben von zerbrochenem Glas. Man schlüpft unter einem in Neonschrift leuchtenem "Égalité" hindurch und schreitet durch Slogans der beginnenden Gleichberechtigung der jüdischen Religion in Europa zu Zeiten der Aufklärung.
Die abwechslungsreiche Ausstellung bietet die Möglichkeit, sich treiben zu lassen; die schiere Fülle an Informationen bietet genug Material für mehrere Besuche der Ausstellung.
Einer der Höhepunkte ist die großartige Präsentation von KünstlerInnen wie Max Liebermann, Jankel Adler oder Arthur Segal. Gewagt, aber sehr gelungen sind die Werke an Glasstehlen im Raum gehängt. Es lässt sich unter anderem das humoristische Motiv einer Maurerkelle gepaart mit Tennisschlägern von Arthur Segal unter dem Titel "Spiel und Arbeit" von 1931 entdecken.
Anstatt die Bilderfolgen klassisch abzulaufen hat man die Chance, zwischen den Motiven hindurch zu spazieren. So lassen sich auf diese Weise die Gemälde aus verschiedendsten Perspektiven erkunden.
Leise Hilferufe dringen in den leeren Raum
Bedrückend dicht sind die Räume unter der Überschrift: "Katastrophe", die die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten bearbeiten. Über 900 antijüdische Gesetze sind auf raumhohe Papierbögen gedruckt - und veranschaulichen durch ihre physische Präsenz die bürokratische Systematik der Verfolgung. Den Geschichten der Flucht und Unterdrückung wird neben haptischen Modellen und politischen Erläuterungen auch an einigen Stellen ein Gesicht gegeben. Wie das der Malerin Paula Neufeldt, die es ins amerikanische Exil schaffte.
Die darauf folgenden Räume, die den Holocaust behandeln, wirken dagegen nüchtern leer. Aus den von oben in die Räume ragenden riesigen klinisch-kalt erscheinenden Edelstahlpaneelen dringen leise Hilferufe aus den Briefen deutscher Juden durch Öffnungen in den Oberflächen in den leeren Raum. Beeindruckend vermittelt hier die Form und Materialsprache der neuen Ausstellungsarchitektur dem Besucher das Geschehene allein schon durch das Raumgefühl.
Die Rezeption des Judentums im heutigen Deutschland
Anders als in der vorherigen Dauerausstellung bekommt die Zeit nach 1945 mehr Platz. Die in hoffnungsvollem Blau erstrahlenden Themenräume zur Rezeption des Judentums im heutigen Deutschland sind zeitgemäß. Die Sitzpolsterlandschaft zu "Israel, Deutschland und die Juden" lädt dazu ein, sich nochmals - ohne große Verrenkungen - die historischen Ereignisse anhand verschiedenster filmischer Dokumente aus der jüngeren Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen. Besonders aufschlussreich sind aber auch die an der Wand aufgereihten, teils drastischen Titelbilder des Magazins "Spiegel" zum Thema Israel. Diesen zeigen die nicht immer unproblematische Sicht der deutschen Öffentlichkeit auf den 1948 gegründeten jüdischen Staat.
Die neue Daueraustellung erzählt abwechslungsreich die gemeinsame Geschichte der Christen und Juden im deutschsprachigen Raum. Dabei bietet sie dem Besucher die Chance, die Dimension der großen gemeinsamen Vergangenheiten als Gegensatz zur kleinen gemeinsamen Gegenwart zu erkennen.