Kommentar | Pandemie-Maßnahmen - Das Unverständnis für die Rolle der Kultur in Corona-Zeiten

Vollbesetzte Touristenflieger, leere Konzertsäle: Bei der Kultur werden wohl andere Maßstäbe angelegt als bei anderen Branchen. Das geht vor allem zu Lasten der freien Künstler. Maria Ossowski über das Unverständnis im Umgang mit der Kultur in Corona-Zeiten.
Es sind zwei Bilder, die als Vergleich in allen Kulturnetzwerken auftauchen: der vollbesetzte Urlaubsflieger mit eng nebeneinander sitzenden Reisenden und die leeren Konzertsäle, die leeren Theater, die leeren Opernhäuser.
Es sind zwei Branchen: Tourismus und Kultur, in denen die Einschränkungen wegen des Virus unterschiedlicher kaum sein könnten. Warum? Bringt die Kultur keinen Profit? Was nur wenige wissen: Die Kultur- und Kreativwirtschaft erreicht nach der Automobilindustrie die höchste Bruttowertschöpfung in Deutschland.
Hunderttausende Existenzen hängen am Kulturbetrieb
Ihr Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung betrug 2018 knapp hundert Milliarden Euro und lag vor der chemischen Industrie, den Energieversorgern oder den Finanzdienstleistern, so die offiziellen Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums. Und dennoch: Beim gerade zu Ende gehenden Musikfestival Young Euro Classic in Berlin schien das Konzerthaus am Gendarmenmarkt fast leer: 350 Gäste statt 1.600 duften zuhören.
Die Komische Oper in Berlin hat einen Corona-Spielplan bis Jahresende vorgestellt. Intendant Barrie Kosky glaubt nicht an schnelle Änderungen. Dabei bilden weder die Künstlerinnen noch die Besucher tanzende, feiernde, vielleicht alkoholisierte Gruppen. Sie wären diszipliniert und interessiert daran, alle Hygieneregeln einzuhalten, um den Betrieb nicht zu gefährden. Einen Betrieb, der weitgehend brach liegt, und an dessen Existenz hunderttausende Biografien hängen.
Eine Milliarde Euro Strukturhilfe
Die Anstrengungen der Kulturstaatsministerin – sie hat immerhin eine Milliarde Euro Strukturhilfe für die Kultur durch den Bundestag gebracht – sind außergewöhnlich. In keinem Land weltweit wird die Kultur in Corona Zeiten so üppig unterstützt. Nur kann die Oratoriensängerin, der freie Geiger, die Autorin, die von Lesungen lebt, oder der Bühnenbildner davon keine Miete zahlen. Die Milliarde soll die Institutionen in Zukunft stützen, wenn die Kassen der Kommunen und Länder leer sind.
Maskenpflicht bei Veranstaltungen wäre eine Lösung
Künstler können nur sehr selten Rücklagen bilden. Freie Musiker beispielsweise verdienen im Schnitt 13.000 Euro im Jahr brutto. Den Gang zum Jobcenter finden viele unwürdig, weil sie ja arbeiten wollen und den Staat nicht um Hilfe bitten möchten. Daher ist es dringend notwendig zu klären, wann Konzertsäle, Theater und Opernhäuser ihre Plätze im Zuschauerraum soweit besetzen können, dass die Aufführungen kein Verlustgeschäft werden und die Künstler ihre Gage erhalten. Auch die Kinos und die Filmwirtschaft würden davon profitieren.
Große föderale Unterschiede nach dem Motto 'Brandenburg erlaubt was Berlin verbietet', steigern nur das Unverständnis im Umgang mit der Kultur in Corona-Zeiten.
Die Maskenpflicht für alle Besucher während der Aufführungen, Konzerte oder Lesungen wäre eine gute Lösung. Darauf müssten sich die Veranstalter, die Künstler und die Politiker einigen – bevor die Ferien enden, und die Saison im Herbst beginnt.
Sendung: