Porträt | Sängerin Alin Coen - "Ich dachte, ich bin durch damit, Musikerin zu sein"

Sa 05.09.20 | 19:58 Uhr | Von Anne Kohlick
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Archivbild: Alin Coen Band - die deutsche Singer-Songwriter-Formation, nach der Leadsaengerin Alin Coen benannt, live beim Reeperbahnfestival. (Quelle: dpa/M. Reimers)
Bild: dpa/M. Reimers

Einen Schlussstrich wollte sie ziehen unter ihre Karriere als Sängerin - und Umweltaktivistin werden. Doch die Musik hat Alin Coen nicht losgelassen. Anne Kohlick hat die Wahl-Berlinerin dort besucht, wo ihre Lieder entstehen.

Das Klavier steht in Alin Coens heller Berliner Wohnung in der Küche. Gewürze, Kochlöffel, Handtücher reihen sich an der einen Wand auf - an der gegenüberliegenden Seite hat sich die Musikerin an ihr Lieblingsinstrument gesetzt. “Hier sind viele der Songs für mein neues Album entstanden”, sagt sie, während ihre Finger über die Tasten fliegen und sie "Ultimatum" spielt, das letzte Lied auf der Platte "Nah", die gerade erschienen ist.

"Ich habe das Klavier aus einer WG gekauft, wo es auch schon in der Küche stand", erzählt die 38-Jährige, die in Hamburg aufgewachsen ist. "Als mein Freund und ich hier eingezogen sind - wir sind beide Musiker - da war es gar keine Frage, ob es irgendwo anders hingehören könnte."

Archivbild: Konzert von STÜBAPHILHARMONIE & ALIN COEN BAND bei der Kulturarena Jena auf dem Theatervorplatz. (Quelle: imago images/H. John)
Konzert von Stübaphilharmonie und der Alin Coen Band in Jena Bild: imago images/H. John

“Viel wichtigere Probleme in der Welt”

Die Musik steht wieder im Zentrum für Alin Coen, nachdem die Singer-Songwriterin sich 2014 sicher war: "Ich bin durch damit, Musikerin zu sein." Sie habe damals nach etwas gesucht, was ihr sinnvoller erschien, als Lieder zu schreiben. "Es war ein Gefühl, dass es viel wichtigere Probleme in der Welt gibt als die, die ich besinge", erinnert sie sich, “und dass ich dagegen etwas tun möchte. Ich hatte plötzlich ein ganz starkes Bedürfnis, Umweltaktivistin zu werden."

Und das obwohl es zu diesem Zeitpunkt so richtig gut läuft für Alin Coen als Sängerin: Vor 1.500 Menschen spielt sie im Februar 2014 im Huxleys in Berlin. Angefangen hatte sie sechs Jahre zuvor mit Konzerten vor 30, 40 Leuten. Die ersten eigenen Lieder schreibt sie mit 20, inspiriert von der amerikanischen Singer-Songwriterin Ani DiFranco. Während sie in den Nuller Jahren in Weimar Umweltschutztechnik studiert, findet sich um die Tochter eines mexikanischen Künstlers und einer deutschen Ärztin die Alin Coen Band zusammen.

Auf den Erfolg folgen Zweifel

Das erste, hochgelobte Album "Wer bist du?" veröffentlicht sie 2010 auf dem selbst gegründeten Label "Pflanz einen Baum". Der Deutsche Musikautorenpreis, eine zweite Platte mit vielen englischsprachigen Songs folgen - und die Zweifel, ob die Karriere als Sängerin das Richtige für sie ist. Doch so ganz konnte sich Alin Coen von der Musik nie trennen. "Ich bin 2015 nach Holland gegangen, um einen Master in Wassermanagement zu machen - und wirklich meine erste Handlung, als ich ankam, war, mir das Klavier aus der Nachbar-WG zu kaufen", sagt sie schmunzelnd in ihrer Berliner Küche, in der dieses Klavier heute steht.

Die Lieder kamen zurück

Trotz eines Praktikums bei Greenpeace in Hamburg haben sich die Lieder zurück in ihr Leben geschlichen. "Ich habe ‘Du bist so schön’ geschrieben, ohne dass ich wirklich vorhatte, einen neuen Song zu machen", erinnert sie sich, “und dabei das Klavier als Instrument zum Komponieren für mich entdeckt.”

Seit sie sechs Jahre alt ist, spielt Alin Coen Klavier: "Es ist viel mehr mein Instrument als die Gitarre, die ich mir später selbst beigebracht habe." Um ihre ersten Lieder zu schreiben, habe es aber geholfen, die Gitarre nicht komplett zu beherrschen. "Auf dem Klavier bin ich mit klassischen, sehr komplexen Kompositionen groß geworden. Da haben mich die Möglichkeiten des Komponierens am Anfang überfordert."

“Ein Album aus mir heraus”

Mittlerweile entsteht ein Großteil ihrer Lieder am Klavier in der Küche: "Leichtigkeit" etwa, das von den Herausforderungen erzählt, in einer Beziehung mit depressiven Phasen umzugehen oder "Entflammbar", ein Liebeskummer-Song über den Moment, in dem man akzeptieren muss, dass der andere nicht so empfindet wie man selbst.

"Zum ersten Mal hatte ich bei diesem Album das Gefühl, dass es aus mir heraus entstanden ist", sagt die Musikerin. "Diesmal hatte ich selbst das Bedürfnis, diese Lieder zu schreiben, die Platte fertig zu machen und zu produzieren." In der Zwischenzeit waren sieben Jahre ohne ein neues Studioalbum vergangen.

Ein Chor knapp vor Corona

Und dann waren die zwölf Songs für "Nah" ganz schnell eingespielt - innerhalb von sechs Tagen im Januar 2020 in einem Berliner Studio, live mit ihren Musikern. "Wir hatten Glück, dass das noch vor Corona geklappt hat", weiß Alin Coen heute. "Im Februar haben wir die letzten Aufnahmen mit einem kleinen Chor gemacht. Später war es verboten, gemeinsam in einem Raum zu singen."

Die Deutschland-Tour, die eigentlich für November geplant war, hat die Sängerin ins Frühjahr verschoben. "Wir hoffen, dass man dann im April, Mai Konzerte wieder in alter Form machen kann - oder dass es bis dahin irgendeine technische Lösung gibt, um überhaupt Konzerte zu spielen." Corona hat auch den Titel des neuen Albums "Nah" beeinflusst: "Es hat bestimmt etwas mit diesem allgegenwärtigen Abstand zu tun", sagt Alin Coen, "als ob man dem etwas entgegenhalten möchte, um diese ganze physische Distanz zumindest mit einer inhaltlichen Nähe zu kompensieren."

”Für mich ist Musikmachen Kommunikation”

Um ihrem Publikum auch in der Zeit ohne Konzerte nah zu sein, nutzt die Singer-Songwriterin gezielt Social Media. "Für mich ist Musikmachen eine Art von Kommunikation”, erklärt sie. “Ich sende etwas raus und da kommt auch eine Antwort - zum Beispiel in Form von Kommentaren bei Facebook." So viel positives Feedback habe sie noch nie für eine Platte bekommen, freut sich Alin Coen: "Leute, die schreiben, dass es ihnen hilft, durch irgendeinen Liebeskummer zu kommen, die mir zurückgeben, dass es für sie gut ist, diese Musik zu haben."

Alin Coen nutzt Social Media aber auch, um sich für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern in der Musikbranche einzusetzen: Auf Instagram hat sie die Challenge #musicwomenwednesday gestartet, die Sängerinnen sichtbarer machen soll. Als Vorstandsmitglied der “Music Women Germany” [Externer Link] will die Sängerin erreichen, dass Musikerinnen auch auf großen Festivals, in den Charts und Radioprogrammen präsenter werden.

“Es war mir wichtig, mit Frauen zu arbeiten”

"Als ich mein Team zusammengestellt habe für das neue Album in Sachen Promotion, Vertrieb und so weiter, war es mir wichtig, gezielt mit Frauen zu arbeiten - weil schon die Musiker, mit denen ich zusammen im Studio war, alle Männer sind", sagt Alin Coen. Als Chefin ihres eigenen Labels ist ihr bewusst, wie wenige Führungspositionen in der Musikbranche weiblich besetzt sind.

Und auch wenn es sehr stressig sei, in Eigenregie ein neues Album zu veröffentlichen, bereut sie es nicht, "Pflanz einen Baum" gegründet zu haben. "Ich fühle mich sofort in Ketten gelegt, wenn jemand von außen mitbestimmen möchte, was ich künstlerisch zu tun oder zu lassen habe. Ich habe da einen sehr ausgeprägten Unabhängigkeitssinn. Schon deshalb lohnt es sich für mich, ein eigenes Label zu haben."

Sendung: rbb Kultur, 05.09.2020, 18:30 Uhr

Beitrag von Anne Kohlick

2 Kommentare

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  1. 2.

    Wenn man diese wunderbare Gabe hat, Menschen mit seiner eigenen Musik derartig zu erreichen, dann gibt es in meinen Augen wenig, was wertvoller und wichtiger wäre. Es macht meine Welt zu einem anderen Ort, wenn Alin Coen den Soundtrack zu wesentlichen Teilen liefert. Und so geht es so so vielen Menschen. Danke

  2. 1.

    Bei allem Respekt: was ein Geschwafel einer Liedermacherin.
    Echte Liedermacher agieren anders, dieses "Singen-Songwriter" -Genöle geht auf diie Nerven. Dass dann noch Gendern so in den Vordergrund muss, war ja auch klar.
    Neenee, ich bevorzuge dann Größen, die sich nicht in den Vordergrund spielen müssen sondern ihre Musik sprechen lassen ohne zu sehr verkopfte Texte. Dieses neudeutsche Geschwalle ist nervig.

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