Nachruf | Michael Gwisdek mit 78 Jahren gestorben - "Meine erste Zigarette habe ich so geraucht wie Alain Delon"
Ob als Geschäftsmann im Film "Nachtgestalten" oder als knurriger Kämpfer in "Boxhagener Platz": Michael Gwisdek überzeugte als Schauspieler in vielen Rollen, war aber auch als Regisseur erfolreich. Jetzt ist er mit 78 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Oliver Kranz
Für eine gute Pointe würde er seine Großmutter verkaufen, hat Michael Gwisdek einmal gesagt. Er war Spezialist für skurrile Charaktere: gern hyperaktiv, tolpatschig oder bauernschlau. Doch ernst sein konnte er auch. Im Film "Das Lied in mir" spielte er einen Vater, dessen erwachsene Adoptivtochter sich von ihm abwendet, als sie von ihrer wahren Herkunft erfährt. Wer sein verzweifeltes Gesicht gesehen hat, wird es nicht vergessen. Ebenso wenig wie die Hilflosigkeit des kleinen Geschäftsmanns Peschke, der in Andreas Dresens Film "Nachtgestalten" einen angolanischen Jungen in Berlin von der Straße aufliest. Die Rolle brachte Michael Gwisdek 1999 auf der Berlinale einen Silbernen Bären ein.
Rauchen wie Alain Delon
Schauspieler hatte Gwisdek schon als Teenager werden wollen. Er ging in Ost-Berlin zur Schule, half seinen Eltern, die in Weißensee ein Tanzlokal betrieben, und ging oft im Westen ins Kino. "Meine erste Zigarette habe ich so geraucht wie Alain Delon. Das fand ich am besten", erzählte Gwisdek in einem Interview. "Und dann wollte ich eine Treppe herunter gehen wie Frank Sinatra. Das übt man alles, wenn man anfängt."
Berufswunsch vor Eltern verheimlicht
Vor seinen Eltern hielt Michael Gwisdek seinen Berufswunsch geheim. Die wussten auch nicht, dass er in West-Berlin Kochendwasser-Automaten verkaufte und nachts an Tanzwettbewerben teilnahm.
Als 1961 die Mauer gebaut wurde, wollte Gwisdek in den Westen, doch bevor er seine Flucht auch nur planen konnte, wurde er schon verhaftet. Er hatte einem Freund geholfen, sich einen falschen Pass zu besorgen. Nach sechs Monaten Gefängnis kam er auf Bewährung wieder frei.
"Da habe ich mich dann natürlich mit den Spielregeln beschäftigt und gesagt: Ich mache jetzt mal, wie die sich das hier vorstellen. Wenn du Künstler werden willst, musst du erst in die Produktion gehen", so Gwisdek. So fing er im Transformatorenwerk Oberspree an, "die schwerste Arbeit". "Das habe ich ein Jahr gemacht, bis ich keine Haut mehr auf den Knochen hatte."
Engagements schon während des Studiums
Doch die Mühe zahlte sich aus. Als Michael Gwisdek bei der Schauspielschule "Ernst Busch" abgelehnt wurde, konnte er sich bei der Betriebsgewerkschaftsleitung beschweren. "Dann sind die zur Schauspielschule gefahren und haben gesagt: 'Wir haben da einen, den müsst ihr nehmen, wenigstens auf Probe'." Und so begann eine rasante Karriere. Michael Gwisdek konnte schon während des Studiums in Filmen mitspielen und erhielt danach ein Engagement an den Städtischen Bühnen in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz.
"Chemnitz, war die intensivste Phase überhaupt. Ich habe 27 Vorstellungen im Monat gespielt, war die Rampensau schlechthin und das war auch meine Sturm-und-Drang-Zeit, was Mädels betrifft", sagte Gwisdek über diese Zeit.
Michael Gwisdek lernte unter anderem seine erste Frau kennen, die Schauspielerin Corinna Harfouch. Mit ihr ging er nach Berlin, spielte an der Volksbühne und später am Deutschen Theater. Nach der Wende kehrte er der Bühne den Rücken.
"Ich habe ein Angebot bekommen mit Corinna, ein Vierteljahr in Algerien in der Wüste zu drehen auf einem weißen Pferd. Das fand ich toller als auf der Bühne mit einem Papppferd, übertrieben gesagt, Kunst zu machen. Weil das war Realität da."
Lieber vor als hinter der Kamera
Im Grunde erfüllte sich sein Jugendtraum: Er konnte Filmabenteuer erleben, an exotische Drehorte reisen und bekam auch noch Geld dafür. Auch als Regisseur war er erfolgreich. Der Historienfilm "Treffen in Travers" brachte ihm 1990 einen Preis beim Nationalen Spielfilmfestival der DDR und eine Einladung nach Cannes ein. Seine zweite Regiearbeit "Abschied von Agnes" wurde 1994 bei der Berlinale gezeigt. Doch Michael Gwisdek stand lieber vor als hinter der Kamera. Nicht jeder seiner Filme war große Kunst, doch viele bleiben im Gedächtnis. Er gehörte bis zum Schluss zu den wichtigsten Schauspielern der deutschen Filmszene.
Sendung: Inforadio, 23.09.2020, 12:00 Uhr