Theaterkritik | Autorentheatertage im DT - Stumpfer Pipikacka-Humor und gekonntes Überwältigungstheater

Sa 03.10.20 | 20:10 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Božidar Kocevski und Heiner Bomhard in dem Theaterstück <<Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs>> von Rosa von Praunheim am Deutschen Theater in Berlin. (Quelle: deutschestheater.de)
Bild: deutschestheater.de

Eine Corona-Infektion hat die für Samstag geplante dritte Uraufführung bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin unmöglich gemacht. Die zwei zuvor am Freitag waren helles Licht und finsterster Schatten. Von Fabian Wallmeier

Zu Blasmusikklängen zerrt Heiner Bomhard einen schwarzen Leichensack auf die Bühne der Kammerspiele. Mit weißer Kreide malt er einen Kreis um den Sack, und links und rechts des Sacks je ein Hakenkreuz. Das magische Ritual hat seine Wirkung: Der Körper im Sack beginnt zu zucken, dann schießt die strammgestreckte rechte Hand heraus - und schließlich ist der Führer auferstanden, gefangen im Körper von Božidar Kocevski.

Nach diesem launigen Auftakt geht es steil bergab mit der Uraufführung, einer von drei geplanten im Rahmen der Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin. Denn "Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs", das Autor Rosa von Praunheim selbst inszeniert hat, ist, man kann es nicht anders sagen: ein erbärmlich schlechter Text. Und die Inszenierung ist kaum besser.

Anna Keil als Frau Schmetterling, Julia Preuß als Taylor Schmetterling (ihre Tochter), Felix Axel Preißler als Ronny Schmetterling (deren Zwillingsbruder) und Tilo Krügel als Fernando in <<beach house>> von Dorian Brunz am Deutschen Theater in Berlin Mitte. (Quelle: deutschestheater.de)
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Kurz gesagt: ein Komplettausfall

Rosa von Praunheim lässt Hitler hier auf einen AfD-Anhänger und später auf Friedrich den Großen treffen. Dabei wird sprunghaft und pseudoprovokant gelabert und viel und holprig gesungen. Von Praunheim hat sich das Ganze wohl als kraftmeiernd-böse Satire vorgestellt. Geschrieben und inszeniert hat er aber einen Abend, den man nur als Komplettausfall bezeichnen kann.

Es soll hier unter anderem um des Führers sexuelle Abgründe gehen, um verbotene Spielchen mit der Nichte und verdrängte homosexuelle Eskapaden. Und das gestaltet sich so: Hitler furzt in einem fort, schlabbert Scheiße aus der Toilettenschüssel, gackert wie ein Huhn, als er auf seine Sex-Erlebnisse angesprochen wird. Später hält er eine flammende Rede für die AfD und schreckt vor einem Riesenpimmel zurück, den Friedrich der Große ihm in den Rachen rammen will. Die beiden essen zusammen Judenblutsuppe und fabulieren von den großen bösen Tunten der Geschichte.

"Jeder Hund schnuppert gern am Arsch"

Praunheims himmelschreiend ungelenker Text ist eine Ansammlung von unlustigstem Pipikacka-Humor und stumpfestem Brachialpolitikabarett. Kostprobe gefällig? Ein mehrfach auftauchendes Lied geht so: "AfD, AfD - Arschlöcher für Deutschland. AfD, AfD - Arschlöcher sind wir gerne. Denn jeder Hund schnuppert erst am Arsch und genießt den Duft der Kacke." Auf diesem Niveau bewegt sich der ganze Text. So sehr sich Kocevski und Bomhard auch bemühen, gegen so viel Elend kommen sie nicht an.

Vor allem bleibt nach diesem so witzlosen plumpen und geistlosen Abend offen: Wie zur Hölle konnte die Jury diesen Text auswählen? "Hitlers Ziege" hätte auch so auf dem DT-Spielplan landen können - die Zusammenarbeit mit Rosa von Praunheim hatte man bereits mit "Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht" erprobt, einer Art autobiographische Nummernrevue der Ikone des schwulen Films. Aber hätte man diesen neuen Text nicht besser an weniger prominenter Stelle uraufführen können? Dann hätte der Abend nicht nebenbei auch noch dem Ansehen der Autorentheatertage Schaden zugefügt.

Sarah Sophia Meyer und Birte Leest in <<Schleifpunkt>> von Maria Ursprung am Deutschen Theater in Berlin Mitte. (Quelle: deutschestheater.de)
Bild: deutschestheater.de

"Beach House": eine Wohltat

Die zweite Uraufführung trennt zum Glück Welten von der ersten: "beach house" von Dorian Brunz, für das Schauspiel Leipzig inszeniert von Philipp Preuss, ist nach all dem tristen Stumpfsinn eine große Wohltat.

Im Mittelpunkt steht die dreiköpfige Familie Schmetterling, die in sozial prekären Verhältnissen in einem Hochhaus am Stadtrand lebt. Das Flatterhafte, das ihr Name nahelegt, bilden sie sehr unterschiedlich aus: Die Mutter springt in Gedanken immer wieder aus der tristen Gegenwart in eine Vergangenheit, in der sie mit dem mexikanischen Revolutionär Fernando zusammen war. Doch nicht nur, dass sie dazu ständig eine spanische Version des gleichnamigen ABBA-Hits singt, der die Geschichte eben jenes Revolutionärs erzählt, lässt ihre Kinder daran zweifeln, dass das die wahre Vergangenheit der Mutter ist. Als dann tatsächlich ein Fernando auftaucht, ist er dann auch kein Revolutionär, sondern Taylors sadistischer Boss.

Die Zwillinge Taylor und Ronny sind ebenfalls keine klassischen Schmetterlinge. Wie sie da in hässlichen grauen Klamotten stehen und ungelenk vor sich hin tanzen, geben sie ein eher erbarmungswürdiges als bewundernswertes Bild ab. Doch da ist ein Flirren in den beiden, eine Sehnsucht nach mehr. Ronny hat dabei ein klares Ziel vor Augen. Auf dem Rummel hat er alles daran gesetzt, um an der Losbude seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen: Er will den Hauptgewinn, vier Wochen in einem Beach House in Florida.

Sehr gekonntes Überwältigungstheater

Der Text liest sich auf dem Papier leichter und streckenweise lustiger, als sein nacherzählter Inhalt vermuten lässt. Preuss lässt gerade dem absurd Anmutenden Raum, das in "beach house" steckt. Vor allem aber bebildert er ihn mit einem düsteren, wuchtigen und vor allem visuell eindrucksvollen Regiekonzept.

Das haben Bühnenbildner Ramallah Aubrecht und Lichtdesigner Carsten Rüger so simpel wie spektakulär umgesetzt: Auf der Bühne steht ein Gestänge mit Leuchtröhren, das je nach Beleuchtung und Lichtstimmung mal die karge Hochhaus-Tristesse abbildet, mal den schillernden, verheißungsvollen Sehnsuchtsort Beach House zum Leben erweckt. Die streckenweise etwas zu penetrant geratenen Soundscapes, die Alexander Nemitz dazu beisteuert, tun ihr Übriges: "beach house" ist in dieser Uraufführungsinszenierung vor allem sehr gekonntes Überwältigungstheater.

Ganz am Ende leuchtet der Sehnsuchtsort Beach House noch immer, trotz aller Enttäuschungen und Verwerfungen, die der Familie Wiederfahren sind. Als das letzte Wort gesprochen ist, lässt Preuss es noch gefühlt minutenlang flackern, wummern, strahlen, was das Zeug hält. Ein starkes Schlussbild für eine starke Uraufführung.

Dritte Uraufführung wegen Infektion abgesagt

Die Autorentheatertage haben in diesem Jahr wie die gesamte Theaterszene unter Corona gelitten. Nicht nur hätten sie eigentlich schon im Juni stattfinden sollen, sondern es hätten eigentlich auch wie immer drei Stücke uraufgeführt werden sollen - Corona-bedingt an zwei statt wie sonst einem Abend.

Doch am Samstagnachmittag kam dann die Nachricht aus dem DT: Die für den zweiten Abend geplante dritte Uraufführung, "Schleifpunkt" von Maria Ursprung, musste kurzfristig abgesagt werden. Ein Mitglied der Produktion vom Schauspiel Graz war positiv auf Covid-19 getestet worden. So schade es um die Uraufführung ist: Gut, dass das DT so umsichtig gehandelt hat.

"Schleifpunkt" wäre der einzige Text einer Autorin gewesen und die einzige Inszenierung einer Regisseurin (Marie Bues). So bleibt nun also statt eines geschlechtlich zumindest gemischten Uraufführungs-Trios nur ein rein männliches Duo. Eines, das im doppelten Sinn Licht und Schatten verkörpert, wie man es nur selten an einem Theatertag erleben kann. Auf der einen Seite ist das Licht in "beach house": die wuchtig und mit einer umwerfenden Lichtchoreographie umgesetzte Uraufführung eines ohnehin schon überzeugenden Textes. Und auf der anderen Seite ist da "Hitlers Ziege", ein Abend, der sich mit den im Schatten verborgenen angeblichen Geheimnissen Hitlers befasst - und eine künstlerische Totalkatastrophe, die einen dunklen Schatten auf das Renommee der Autorentheatertage wirft.

Beitrag von Fabian Wallmeier

3 Kommentare

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  1. 3.

    Die AfD legt beim Niveau-Limbo zwar oft selbst "gute" Leistungen hin, das hindert allerdings ihre Gegner (hier: R. v. Praunheim) nie daran, die Latte mühelos noch tiefer zu unterschreiten. Insbesondere auf der Theaterbühne nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal.

  2. 2.

    Praunheims Nominierung als Paradebeispiel für den üblichen Klüngel des Kultur-Betriebs. Hier eine Förderung, da eine Nominierung: am Ende schlechte Kunst.

  3. 1.

    Von Praunheim "Theater"= unterste Schublade.

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