US-Künstler beim Jazzfest Berlin - "Die Corona-Zeiten haben uns gezeigt, wie kaputt Amerika ist"
Im Zentrum des diesjährigen Jazzfests steht die Verbindung der Szenen in Berlin und in New York. In beiden zu Hause sind Jim Black und Liz Kosack – und beide haben eine klare Haltung zu den Präsidentschaftswahlen in den USA. Von Ute Büsing
Wenn Jim Black seine Schlagwerke bearbeitet, werden sofort unterschiedliche musikalische und kulturelle Einflüsse hörbar: Jazz, Rock, Balkan-Musik, Elektronisches und der Mix-Tape-Trend der 1990er Jahre.
Black verbindet große Meister des Jazz wie John Coltrane, Charlie Parker und Thelonious Monk mit Rock-Legenden wie Led Zeppelin, The Police und Jimi Hendrix und mixt sie mit Balkan-Beats und Mix-Tape-Elementen.
Der 53-jährige Virtuose und kreative Individualist ist in ständig wechselnden Formationen als Team-Player geschätzt. Beim Jazzfest Berlin tritt er gleich dreifach auf: mit seinem Trio, mit Monk Witch’n’Monk(dem Tribut an Thelonious Monk) und mit der experimentellen Formation Meow!.
"Aus allen diesen Einflüssen versuche ich, etwas Persönliches für hier und heute zu machen, dieser wunderbaren Musikgeschichte ein weiteres Kapitel hinzuzufügen."
Jim Black: Niedergang der Boom-Town New York
In Boston aufgewachsen, kam Jim Black in den 1990er Jahren in die damals florierende Jazzszene von New York City und ließ sich in Brooklyn nieder. Gerne und voller Nostalgie erinnert er sich an die Boom-Jahre im Umfeld des innovativen Downtown-Jazzclubs Knitting Factory. Seit sieben Jahren pendelt er zwischen New York und Berlin. Anfang dieses Jahres ist er dann ganz an die Spree gezogen.
Als Einschnitt empfand er die Anschläge vom 11. September 2001. Danach habe sich die Situation in New York zum Negativen verändert, sagt Black. "Der Immobilienmarkt hat alles dominiert, Clubs wurden geschlossen. Statt uns Musiker für Gigs zu bezahlen, sollten wir mit dem Hut rumgehen."
Schon immer verdiente Black seine New Yorker Miete auf Tour in Europa. Da war es nur konsequent, ganz in die Berliner Szene einzutauchen, die er als ebenso vibrierend und innovativ empfindet wie die New Yorker.
Liz Kosack: Selbstfindung in Berlin und Maskenbau
Auch Liz Kosack kommt aus New York, auch sie lebt seit 2013 in Berlin. Die experimentelle Keyboarderin ist ebenfalls in der Formation Meow! beim Jazzfest Berlin zu erleben und in den Video-Projekten des von ihr mit begründeten Kim-Collective für komponierte und improvisierte Musik. An Berlin wie New York mag die 2019 mit dem renommierten SWR-Jazz-Preis ausgezeichnete Interpretin "die kreativen Leute, die nicht unbedingt in den Mainstream passen".
In Berlin habe sie sich selbst gefunden, sagt die 37-jährige. Lange vor Corona trat sie bereits mit sehr fantasievollen selbst gebauten Masken auf, für deren Bau und Nachbau sie auch Workshops gibt. "Das ist eine spirituelle Form der Repräsentation und es ist auch eine bildende Kunst."
Reparatur der kaputten USA nach den Wahlen
Liz Kosack und Jim Black verbindet mit ihren deutschen und internationalen Band-Kollegen die kontinuierliche Arbeit am Future Jazz, der althergebrachte Schubladen und Teilungen überwindet.
Um die Zukunft Amerikas nach den Präsidentschaftswahlen an diesem Dienstag sorgen sie sich beide. "Ich werde ganz krank, wenn ich das Wort 'Hoffnung' höre. Ich bin mehr für Action", sagt Jim Black entnervt. "Diese Corona-Zeiten haben uns gezeigt, wie kaputt Amerika ist. Da besteht dringender Reparaturbedarf besonders für ärmere Menschen. Wir müssen lokal handeln und wir müssen jetzt handeln, um unsere Communities zu schützen, und sie für unsere Kinder zu erhalten." Amerika brauche endlich ein tragfähiges soziales System, wie es der Rest der Welt längst habe.
"Ich bin den Tränen nahe"
Liz Kosack fürchtet sich regelrecht: "Wenn ich mir den Ausgang der Wahlen vorstelle, bin ich sofort den Tränen nahe. Am beängstigendsten sind die vielen Versuche der Entrechtung", sagt sie - und meint damit die Behinderung des Early Voting und der Briefwahl und den Umgang mit der "Black Lives Matter"-Bewegung für Rassengerechtigkeit. Sie hofft auf ein "ehrliches Resultat, bei dem die Wählerstimmen wirklich zählen. Wenn wir jetzt keinen mitfühlenden Präsidenten bekommen, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wann wir den Schaden reparieren".
Die progressiven New Yorker Jazzer, temporär in Berlin beheimatet, hoffen auf sozialen und kulturellen Wandel in ihrem Herkunftsland USA - einen Wandel, der es ihnen nach Corona dann auch wieder öfter ermöglicht, öfter in New York aufzutreten. Einstweilen sind sie online beim Jazzfest Berlin 2020 zu erleben – und nach Corona auch wieder in den Jazz-Clubs der Stadt.