Musik aus dem Lockdown - Diese Alben sind 2020 dank Corona entstanden
Corona hat viele Bands dazu gezwungen, anders zu arbeiten, als gewohnt. Manchen hat das gut getan. Madsen und Annenmaykantereit veröffentlichten starke Alben aus dem Lockdown. BTS senden Durchhalteparolen - und das ziemlich erfolgreich. Von Hendrik Schröder
Der Band Madsen aus Niedersachsen hat die Corona-Zwangspause offenbar gut getan. So schnell, schnörkellos und direkt klangen sie lange nicht mehr. In nur drei Wochen und aus einer spontanen Laune heraus entstand das neue Album "Na gut dann nicht". Das Motto: Zurück zu den Wurzeln. Madsen klingen wieder wie ganz am Anfang ihrer Karriere beziehungsweise wie davor, als sie noch Alice´s Gun hießen und Punkrock Fans waren. Textlich ist das Album eine Mischung aus diffuser Wut, Politik und Corona-Gedanken. In unter 40 Minuten Spielzeit nageln Madsen gegen alles, was sie nervt, gegen Verschwörungsschwurbler, Instagram-Opfer und Polizeigewalt. Zum ersten Mal haben sie ein Album komplett gemeinsam komponiert, zum ersten Mal haben sie es in so kurzer Zeit getan.
Andere Platte als geplant
Eigentlich wollte die Band eine ganz andere Platte aufnehmen, eine, die eher ihrem aktuellen Indie-Rock Stil entspricht. Die Vorproduktion dafür hatten sie schon abgeschlossen, Song-Ideen gab es reichlich. Aber dann kam das Virus und der Band schienen die neuen Songs nicht mehr zur aktuellen Lage zu passen. Also legten sie die Demobänder wieder in die Schublade und schrieben spontan zu Hause im Wendland ein neues, ganz anderes Album. "Langsam gehen die Kneipen wieder auf und damit nimmt das Unheil seinen Lauf, hier drin hab ich alles, was ich brauch, ich glaub ich geh nie wieder aus", singen sie jetzt in "Quarantäne für immer". Es scheint einfach nicht die Zeit zu sein für opulente Texte über das ganz Große, wie sie sie sonst schreiben.
Das Schlagzeug rennt schön schnell vorweg, die Gitarren machen keine Gefangenen, und Sänger Sebastian schimpft oft eher, als dass er singt. Die Inspiration zu den Texten sei ihm einfach beim Schauen der Nachrichten gekommen, erzählt er in Interviews, und dass er in der Vergangenheit große Angst gehabt habe, politische Songs zu schreiben. Jetzt wäre es plötzlich ganz leicht gewesen. Es sei einfach die richtige Zeit dafür.
Düster angesichts der allgemeinen Lage
Auch die Band Annenmaykantereit haben alles anders gemacht als gewohnt. "So wie es war, so wird es nie wieder sein", flüstert Sänger Henning apokalyptisch gleich am Anfang des Albums. Und der Rest der Band summt dazu. Und dann singt Henning weiter: "Ich muss mich zwingen, ein paar Stunden keine Nachrichten zu sehen." "12" ist ein Album direkt aus dem Lockdown. Die Zahl 12 steht dafür, dass es nicht mehr fünf vor ist, sondern eben schon genau 12. Über Nacht und ohne Vorankündigung wurde es im November veröffentlicht. Gleich im ersten Song kommen die Sorgen von Kneipenwirten, das überfüllte Lager für Geflüchtete in Moria vor. Es geht um Gelder und Tränen, die jetzt fließen. Ultra-emotional waren Annenmaykantereit schon immer, aber so düster einer allgemeinen Lage gegenüber hat man sie noch gehört. "Corona ist so berühmt wie der Mauerfall und Jesus zusammen - dabei hat es gerade erst angefangen", singen sie.
Corona hatte Annenmaykantereit einen Strich durch die bislang größten Pläne ihrer Karriere gemacht. Die riesige Tour, die auch nach Istanbul, St. Petersburg und Moskau führen sollte wurde abgesagt. Wie alle anderen saßen Annenmaykantereit zu Hause fest. Also machten sie Musik, nahmen hier mal was auf, da mal was auf, manchmal einfach schnell mit dem Handy. Jeder der drei an einem anderen Ort. Der Gesang wurde in Henning Mays Wohnung aufgenommen, während der Sänger hin und her lief und einfach sang, was ihn gerade in dem Moment beschäftigte. Spröde produziert ist es, oft ist der Gesang weiter im Hintergrund, als man es von den Kölnern kennt. Es ist eher ein Skizzenbuch als ein fein durchkomponiertes Werk, auch wenn es später im Studio noch mal feingeschliffen wurde. Aber gerade durch dieses sporadische kommt die Platte einem so nah.
Traurig in leeren Stadien
Die Band BTS aus Südkorea ist ungefähr das genaue Gegenteil von Annenmaykantereit. Sie sind nicht nur eine Band, sie sind ein weltweites Phänomen, die erfolgreichste Boygroup der Welt und vor allem ein Wirtschaftsunternehmen. Hinter der Band steckt eine riesige Firma, die im Oktober an die Börse ging. BTS sind also gewissermaßen die erste börsennotierte Musikgruppe der Welt – und sie müssen liefern. Ob Corona oder nicht, es geht bei BTS nicht um Inspiration oder dergleichen, es gilt einen Businessmasterplan zu erfüllen. Das machen sie allerdings auch in Corona-Zeiten so geschickt, wie niemand sonst. Das neue Album "Be" (schon ihre zweite Platte in diesem Jahr) wurde kurzerhand zum Corona-Durchhalte-Album mit Zeilen wie "Life goes on" oder "this is not the end of the world". Dazu die passenden Videos, in denen die Musiker mit Mundnasenschutzmaske zu sehen sind und traurig in leeren Stadien spielen.
Das Album haben sie in rasender Geschwindigkeit produziert und auf den Markt geworfen. Und dabei soll es musikalisch sogar ganz interessant sein, sagen Kritiker, die mehr vom Genre K-Pop (Popmusik aus Korea, mittlerweile ein eigenes Genre) verstehen. Dazu hatten sie die Idee, sauteure Karten für Streamingkonzerte zu verkaufen. Über eine Million Tickets sind sie so losgeworden. Und so gehören BTS mit Sicherheit zu den ganz großen Corona-Gewinnern unter den Musikern.