Konzertkritik | Livestream aus berlin - Schubert aus dem Boulez-Saal überzeugt auch digital

Di 19.01.21 | 08:42 Uhr | Von Hans Ackermann
Der Pierre-Boulez-Saal im Februar 2017. (Quelle: Volker Kreidler)
Audio: Inforadio | 19.01.2021 | Hans Ackermann | Bild: Volker Kreidler

Eine Woche lang serviert der Berliner Pierre-Boulez-Saal Schubert - wegen der Corona-Pandemie im Livestream. Hans Ackermann konnte sich nicht nur für die Musik begeistern, sondern auch das Rahmenprogramm des digitalen Festivals.

 

Schnell schlägt das Herz - ein aufgeregtes Pochen, das der Pianist Wolfram Rieger mit tiefen Tönen am Klavier imitiert, Rhythmus für das Flehen der Sängerin, die mit klarer Stimme Schuberts "An mein Herz" vorträgt.

Schweres Programm

Mit einem aufwändigen Livestream aus dem Berliner Boulez-Saal begann am Montag die "Schubert-Woche". Ausgestrahlt wurde ein Doppelkonzert mit der Mezzosopranistin Marie Seidler und dem Bass Frederic Jost, beide jeweils von Wolfram Rieger am Klavier begleitet.

Eröffnet wurde der Abend von Seidler und Rieger mit "Der blinde Knabe". Spätestens bei "Gretchen im Zwinger" und Schuberts "Szene aus Goethe Faust" wird allerdings deutlich, dass man für diese Schubert-Woche in Zeiten der Pandemie wahrlich kein leichtes Programm zusammengestellt hat.

Bestens unterstützt von Wolfram Rieger zeigt Marie Seidler ihr Können als Lied-Interpretin - wobei sie in den letzten Jahren auch immer wieder auf Opernbühnen überzeugen konnte. Mit lyrischen Partien in Mozarts "Così fan tutte" oder "Le nozze di Figaro", aber auch in der Titelrolle von Händels "Ottone".

Mehrere Perspektiven

Die erstklassig vorgetragene Musik wird bei diesem Livestream aus dem schönsten Kammermusiksaal der Stadt in zwei Varianten ausgestrahlt. Einmal ganz herkömmlich mit einem einzigen großen Bild, auf Wunsch aber auch in der "Multi-Camera-View". Wählt man per Mausklick diese Option teilt sich der Bildschirm mehrfach und zeigt das Konzert aus verschiedenen Blickwinkeln: Links sieht man die Sängerin in der Großaufnahme, rechts daneben drei weitere, kleine Einstellungen. Eine davon zeigt durchgängig die Hände von Wolfram Rieger - auch im zweiten Teil des Abends, wenn der Bass Frederic Jost die Bühne übernimmt.

Italienische Arien

Frederic Jost ist Mitglied im Opernstudio der Staatsoper Unter den Linden und singt zum Auftakt tatsächlich drei Opernarien, die Franz Schubert als "Drei italienische Lieder" hinterlassen hat. Es handelt sich dabei um heitere Arien. Texte, die unter anderem von Metastasio stammen, dessen Libretti Gluck oder Mozart vertont haben. Musik, die an Gioacchino Rossini erinnert - bis die Heiterkeit dann aber jäh und plötzlich abbricht, wenn der Sänger mit tiefsten Tönen Schuberts "Fahrt zum Hades" besingt. Am Ende dieses zweiten Konzertes kommt bei Liedern wie "Der Schiffer" zwar auch Hoffnung und Zuversicht auf, an die Heiterkeit der italienischen Lieder zu Beginn seines Auftritts kann der vorzügliche Bassist nicht mehr anschließen.

Schubert im Gespräch

Umrahmt wird das gelungene Eröffnungskonzert von zwei Gesprächsrunden mit Thomas Hampson, der das Festival zum dritten Mal veranstaltet und Mentor für viele beteiligte Sängerinnen und Sänger war. Als herausragender Schubert-Interpret hat der amerikanische Bariton mit Wolfgang Sawallisch am Klavier im Jahr 1996 Schuberts "Winterreise" aufgenommen. Im Gespräch mit dem Schubert-Biographen Friedrich Dieckmann - dessen gründliches Buch "Franz Schubert - eine Annäherung" im gleichen Jahr erschienen ist - schätzt Hampson, dass er von den rund 600 Schubert-Liedern "etwa 400" selbst gesungen habe. Seinen "aktuellen" Schubert wird Hampson beim Festival am Mittwoch dann mit Wolfram Rieger am Klavier präsentieren.

Natürlich würden auch diese beiden vorzüglichen Musiker lieber vor echtem Publikum auftreten, wie Hampson erzählt. Allerdings biete der Livestream als neues Konzertformat durchaus neue Möglichkeiten um Schubert und seine zeitlosen Lieder in der Pandemie würdig zu präsentieren: "Ich glaube, die Streaming-Welt ist wirklich ein toller Zugang zu unserem Publikum", sagt Hampson.

Beitrag von Hans Ackermann

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