Eröffnung im Sommer - Streit um Dokumentations-Zentrum "Flucht, Vertreibung, Versöhnung"

Mi 10.02.21 | 14:55 Uhr | Von Maria Ossowski
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Gundula Bavendamm, Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versoehnung im neu errichteten Dokumentationszentrum der Vertriebenen-Stiftung am Anhalter Bahnhof in Berlin. (Quelle: imago images/R. Zoellner)
Audio: Kulturradio | 10.02.2021 | Maria Ossowski | Bild: imago images/R. Zoellner

Im Sommer soll das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung eröffnen. Diskussionen um die inhaltliche Ausrichtung und personelle Probleme in der Stiftung begleiteten das Projekt von Beginn an. Ein Konflikt ist nun eskaliert. Von Maria Ossowski

Noch strahlen die drei Stockwerke im ehemaligen Deutschlandhaus den Charme musealer Leere aus. Breit angelegte Treppenfluchten verbinden die drei Etagen, das diskrete Grau der Wände und die riesigen Fenster hinaus zur Ruine des Anhalter Bahnhofs dominieren. Bald werden hier Exponate von Zwangsvertreibungen in Europa erzählen, im Kern von der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Ein Fahrrad der Marke Masovia aus dem Jahre 1940 steht für die Flucht einer ostpreußischen Familie nach Mecklenburg. Auf Ebay war es in Einzelteilen gelandet, das Dokumentationszentrum hat es aufkaufen und zusammensetzen lassen.

Die Geschichte der Vertreibung ist immer kontrovers betrachtet worden, auch wegen der starken Vertriebenenverbände im Nachkriegsdeutschland.

Die Geschichte der Deutschen führt zu einem Spannungszustand

Gundula Bavendamm, die Direktorin, seit 2016 im Amt, kennt diese Empfindlichkeiten: "Das hat etwas mit der Geschichte der Deutschen zu tun. Wir haben die Geschichte, die wir haben. Mit dem Dritten Reich, mit dem NS-Staat, mit dem Zweiten Weltkrieg, mit den schrecklichen Verbrechen der Deutschen. Und trotzdem sind die Deutschen in bestimmten Zusammenhang auch Leidtragende gewesen", sagt die Direktorin. "Und das beides auszuhalten, diesen Spannungszustand auszuhalten, und das Eine nicht gegen das Andere auszuspielen, das ist das, was hier in diesem Dokumentationszentrum stattfinden soll. Es gibt trotzdem immer noch relativ starke Ängste, dass es irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten könnte.“

Streit um eine fiktive AfD-Rede

Dieses Gleichgewicht, das Bavendamm nach zwei zurückgetretenen Vorgängern, nach Kritik aus Polen und Tschechien und Krachs um die AfD-Politikerin Erika Steinbach über sechs Jahre erfolgreich verteidigte, ist kurzfristig in eine Schieflage geraten. Der bekannte Theaterregisseur Ersan Mondtag sollte im Herbst für das Dokumentationszentrum eine Performance in den leeren Räumen erarbeiten. Coronabedingt wurde der Auftrag umgewandelt in ein durchaus kontrovers diskutiertes Filmskript. In diesen Film wollte Mondtag eine fiktive Rede des AfD-Politikers Björn Höcke einbauen.

Intensive Auseinandersetzungen folgten, bis Mondtag das Projekt verließ. Gundula Bavendamm stelle sich den rechtsradikalen Provokationen nicht, hieß es. Die Direktorin sieht das anders: "Bei Björn Höcke ging es um das auch aus unserer Sicht wirklich wichtige Thema der Vereinnahmung der Vertriebenen von Rechts. Dieses Thema gibt es. Und das war nicht unser Problem", sagt Bavendamm. "Sondern wir haben einzig und allein gesagt: Wir möchten, diesem Politiker in unserem Film, in unserem Haus, das auf Versöhnung ausgerichtet ist, keine Bühne bieten. Das haben wir Herrn Mondtag auch vermittelt. Und wenn er damit Probleme hat, dann ist es eben schwierig."

Nutzungsrechte für den Film ließen den Konflikt eskalieren. Ersan Mondtag wollte sie nach einem Jahr selbst übernehmen, Gundula Bavendamm als Geldgeberin wollte sie mindestens fünf Jahre behalten. Ein unnötiger Streit, die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, bemüht sich, ihn beizulegen und die Situation zu deeskalieren.

Denn das Anliegen, die Flucht und Vertreibungen nicht nur der 12,5 Millionen Deutschen, sondern vieler europäischer Ethnien in einer Dauerausstellung darzustellen, ist ungleich bedeutsamer.

Sendung: Kulturradio, 10.02.2021, 06:20 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

3 Kommentare

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  1. 3.

    Nahezu nichts ist davor gefeit, von einschlägiger rechtsextremistischer Seite - namentlich jetzt eben der AfD - vereinnahmt zu werden. Die schwarz-rot-goldene Demokratenfahne, die Parole "Wir sind das Volk" von 1989 und sogar von Rosa Luxemburg, dass Freiheit die Freiheit der Andersdenkenden ist, lassen sie nicht ihre Finger. Denn die Andersdenkenden sind ja bekanntlich sie.

    Wozu also das bekannte Muster wiederholen, dass dasjenige, was den Rechtsextremen - kampagnengängig verkürzt: was den Rechten - nützt, also tunlichst vermieden werden solle? Das wäre ein Gefängnis eigener Art.

    Der gewiss unverdächtige Günter Grass hat mit dem Untergang der Wilhelm Gustloff ein Spätwerk herausgebracht. Ich glaube, es war wohl Richard von Weizsäcker, der es einmal auf die Formel brachte: "Opfer sind Opfer, gleich wer die Täter sind" - Nur bei solcher Überzeugung hörte die gegenseitige Aufrechnung auf. Den Zusammenhang von NS-Tätern zu den Opfern hat er ja gleichfalls benannt. Ohne Aufrechnung.

  2. 2.

    "In diesen Film wollte Mondtag eine fiktive Rede des AfD-Politikers Björn Höcke einbauen."

    Kunst hin oder her, aber wäre eine fiktive Rede, die man einer tatsächlichen (noch lebenden) Person in den Mund legt, nicht schlichtweg eine Fälschung?

    Wenn er zu der fiktiven Rede eine fiktive Figur einer fiktiven Partei ("Neue Patrioten Deutschlands" oder was auch immer, "Ähnlichkeiten mit lebenden Personen etc.") erfinden würde, könnte ich das noch verstehen, aber so klingt es, als hätte er sich über mögliche rechtliche Komplikationen keine Gedanken gemacht.

  3. 1.

    Zusammenfassung:

    <<< Ein unnötiger Streit...

    Denn das Anliegen, die Flucht und Vertreibungen nicht nur der 12,5 Millionen Deutschen, sondern vieler europäischer Ethnien in einer Dauerausstellung darzustellen, ist ungleich bedeutsamer. >>>

    Für andere, eine Ausstellung über Versöhnung zu verhindern.

    Gerne würde ich die Ausstellung im Spätherbst besuchen. Hoffen wir, dass es möglich wird.

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