Eröffnung im Sommer - Streit um Dokumentations-Zentrum "Flucht, Vertreibung, Versöhnung"
Im Sommer soll das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung eröffnen. Diskussionen um die inhaltliche Ausrichtung und personelle Probleme in der Stiftung begleiteten das Projekt von Beginn an. Ein Konflikt ist nun eskaliert. Von Maria Ossowski
Noch strahlen die drei Stockwerke im ehemaligen Deutschlandhaus den Charme musealer Leere aus. Breit angelegte Treppenfluchten verbinden die drei Etagen, das diskrete Grau der Wände und die riesigen Fenster hinaus zur Ruine des Anhalter Bahnhofs dominieren. Bald werden hier Exponate von Zwangsvertreibungen in Europa erzählen, im Kern von der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Ein Fahrrad der Marke Masovia aus dem Jahre 1940 steht für die Flucht einer ostpreußischen Familie nach Mecklenburg. Auf Ebay war es in Einzelteilen gelandet, das Dokumentationszentrum hat es aufkaufen und zusammensetzen lassen.
Die Geschichte der Vertreibung ist immer kontrovers betrachtet worden, auch wegen der starken Vertriebenenverbände im Nachkriegsdeutschland.
Die Geschichte der Deutschen führt zu einem Spannungszustand
Gundula Bavendamm, die Direktorin, seit 2016 im Amt, kennt diese Empfindlichkeiten: "Das hat etwas mit der Geschichte der Deutschen zu tun. Wir haben die Geschichte, die wir haben. Mit dem Dritten Reich, mit dem NS-Staat, mit dem Zweiten Weltkrieg, mit den schrecklichen Verbrechen der Deutschen. Und trotzdem sind die Deutschen in bestimmten Zusammenhang auch Leidtragende gewesen", sagt die Direktorin. "Und das beides auszuhalten, diesen Spannungszustand auszuhalten, und das Eine nicht gegen das Andere auszuspielen, das ist das, was hier in diesem Dokumentationszentrum stattfinden soll. Es gibt trotzdem immer noch relativ starke Ängste, dass es irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten könnte.“
Streit um eine fiktive AfD-Rede
Dieses Gleichgewicht, das Bavendamm nach zwei zurückgetretenen Vorgängern, nach Kritik aus Polen und Tschechien und Krachs um die AfD-Politikerin Erika Steinbach über sechs Jahre erfolgreich verteidigte, ist kurzfristig in eine Schieflage geraten. Der bekannte Theaterregisseur Ersan Mondtag sollte im Herbst für das Dokumentationszentrum eine Performance in den leeren Räumen erarbeiten. Coronabedingt wurde der Auftrag umgewandelt in ein durchaus kontrovers diskutiertes Filmskript. In diesen Film wollte Mondtag eine fiktive Rede des AfD-Politikers Björn Höcke einbauen.
Intensive Auseinandersetzungen folgten, bis Mondtag das Projekt verließ. Gundula Bavendamm stelle sich den rechtsradikalen Provokationen nicht, hieß es. Die Direktorin sieht das anders: "Bei Björn Höcke ging es um das auch aus unserer Sicht wirklich wichtige Thema der Vereinnahmung der Vertriebenen von Rechts. Dieses Thema gibt es. Und das war nicht unser Problem", sagt Bavendamm. "Sondern wir haben einzig und allein gesagt: Wir möchten, diesem Politiker in unserem Film, in unserem Haus, das auf Versöhnung ausgerichtet ist, keine Bühne bieten. Das haben wir Herrn Mondtag auch vermittelt. Und wenn er damit Probleme hat, dann ist es eben schwierig."
Nutzungsrechte für den Film ließen den Konflikt eskalieren. Ersan Mondtag wollte sie nach einem Jahr selbst übernehmen, Gundula Bavendamm als Geldgeberin wollte sie mindestens fünf Jahre behalten. Ein unnötiger Streit, die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, bemüht sich, ihn beizulegen und die Situation zu deeskalieren.
Denn das Anliegen, die Flucht und Vertreibungen nicht nur der 12,5 Millionen Deutschen, sondern vieler europäischer Ethnien in einer Dauerausstellung darzustellen, ist ungleich bedeutsamer.
Sendung: Kulturradio, 10.02.2021, 06:20 Uhr