Objekte aus anderen Ländern - Museumsverbund veröffentlicht Leitfaden zum kolonialen Erbe

Di 23.02.21 | 21:20 Uhr | Von Maria Ossowski
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Das Ethnologische Museum Berlin hält in Dahlem die weltweit größte Sammlung kultur-historischer Zeugnisse über Süd-, Mittel- und Nordamerika außerhalb dieser Kontinente bereit. Quelle: dpa/Jan Woitas
Bild: dpa/Jan Woitas

In deutschen Museen lagern zahlreiche Artefakte, die während der deutschen Kolonialzeit aus anderen Ländern beschafft wurden. Ein Leitfaden soll Museen dabei helfen, einen Umgang mit dem kolonialen Erbe zu finden - gemeinsam mit den Herkunftsländern. Von Maria Ossowski

Experten des Deutschen Museumsbundes haben in Zusammenarbeit mit Fachgremien der Herkunftsgesellschaften in einem Leitfaden formuliert, wie Museen in Deutschland mit ihrem kolonialen Erbe umgehen sollten. Das 220 Seiten umfassende Papier und ein zusätzlicher eReader sollen sensibilisieren, Hilfe bieten in der Praxis und informieren. Adressaten dieser am Dienstag vorgestellten Veröffentlichung sind alle Museen, nicht nur die ethnologischen, denn Kunst aus kolonialem Kontext betrifft viele Sammlungen in Deutschland.

"Museumsverantwortlichen sollte bewusst sein, dass die meisten Sammlungsgüter nicht als 'Museumsobjekte' entstanden sind", heißt es in dem Leitfaden. "Sie sind Zeugnisse verschiedener Kulturen mit in den Herkunftsgesellschaften verankerten eigenen Bedeutungen." Die Erwerbung oder Entstehung von Sammlungsgut könne mit Ausübung von Gewalt in Zusammenhang stehen. Zudem können sich in Sammlungsgut, diskriminierende Darstellungen und koloniale oder rassistische Ideologien widerspiegeln.

Gleichberechtigter Austausch mit betroffenen Ländern

Der Leitfaden, in Deutsch, Englisch und Französisch verfasst, will den offenen Diskurs ermöglichen und innerhalb Europas Vorbild sein. Vor allem aber geht um den gleichberechtigten Umgang und Austausch mit jenen Ländern, aus denen die Kulturgüter stammen. Diese wünschen sich Inventarlisten mit sämtlichen Kunst- und Kulturgütern, die in Europa landeten.

"Zu den vereinbarten Maßnahmen gehört die Schaffung eines zentralen Zugangs zu bereits digitalen erfassten Sammlungsgut, die digitale Grunderfassung und Veröffentlichung der Bestände sowie die Erarbeitung von gemeinsamen Standards", sagt Günter Winands, Abteilungsleiter im Staatsministerium für Kultur und Medien.

Rückgabe - ja oder nein?

Eine wichtige Frage ist, wer gerade in kleineren Museen forscht und wer die Provenienzen erarbeitet. Ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin kostet 75.000 Euro im Jahr, hinzu kommen die Ausgaben für die Digitalisierung. Da kommt schnell eine sechsstellige Summe zusammen. Dem Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg und der Behörde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) liegen viele solche Projektanträge vor. Schließlich geht es dabei auch um die zentrale Entscheidung, ob Kulturgüter zurückgegeben werden müssen.

Rückgaben von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten sollten dann in Erwägung gezogen werden, "wenn die Erwerbungsumstände aus heutiger Sicht als Unrecht erscheinen", heißt es auf Seite 81 des Leitfadens. Demnach soll eine Rückgabe aber auch dann erfolgen, wenn es sich um Sammlungsgut handelt, "das zum Zeitpunkt, als es aus der Herkunftsgesellschaft entfernt wurde, für diese von besonderer religiöser oder kultureller Bedeutung war und diese Bedeutung bis heute behalten oder auch wiedererlangt hat".

Beispiel Samoa: Gemeinsame Ausstellung statt Rückgabe

Erstaunlich ist daran, dass die Rückgabe bei vielen Herkunftsgesellschaften nicht im Vordergrund der Verhandlungen steht. Ihnen ist der Austausch wichtig und gemeinsame Ausstellungsprojekte, damit nicht die Kulturgüter in Depots vergessen werden.

Wiebke Ahrndt ist Direktorin des Übersee-Museums in Bremen und hat die Arbeitsgruppe seit 2016 geleitet. Sie erklärt, dass jetzt ein Kooperationsprojekt mit Samoa gestartet werde. Samoa habe betont, das Land fordere die Güter aus der ehemaligen deutschen Kolonialzeit nicht zurück, dafür wolle man eine gemeinsame Ausstellung auf den Weg bringen. Ahrndt sagt, Samoa habe Interesse daran, dass das Sammlungsgut in Deutschland dazu genutzt werde, um von Samoa zu erzählen - dabei sollten die dramatischen Folgen des Klimawandels ganz oben auf der Agenda stehen. Samoa gehört zu den vielen Gebieten, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind.

Grundsätzlich sollen die Museen offen sein für die Rückgabe. Bei menschlichen Überresten und Grabbeigaben ist es, soweit verlangt, bereits Usus. Der Leitfaden ist dringend notwendig, er ist eine Grundlage für die Gespräche mit Vertretern der Herkunftsländer auf Augenhöhe.

Sendung: Inforadio, 23.02.2021, 17:55 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

3 Kommentare

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  1. 3.

    Vielleicht würde es helfen, die einschlägigen Kulturgüter zuallererst als Erbe der Menschheit zu betrachten und dann als Zweites als kulturelles Erbe der Gegend, in der sie entstanden sind. In Anspruch genommenes Eigentum und einschlägiger Verschluss wären damit ausgeschlossen.

    Die Kulturgüter, um die es geht, sind zweifellos von europäischen Kolonisatoren geraubt und damit der spezifischen Kultur entzogen worden. Dass die Kulturgüter als Erbe der Menschheit dauerhaft erhalten bleiben, zurückgebracht werden in ihre spezifischen Kultur und wenn ein dauerhafter Erhalt dort nicht möglich wäre, am sinnvollen Ort woanders, sollte das Ziel der Bemühungen sein.



  2. 2.

    Wer sagt denn, dass alles gestohlen wurde? Vielen Ländern geht es nur um das Geld; Kultur hin oder her.

  3. 1.

    "Dem Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg und der Behörde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) liegen viele solche Projektanträge vor" Alle ausnahmslos bewilligen! Wir können nicht Sachen stehlen und dann sagen die Rückgabe und Forschung sei zu teuer.

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