75 Jahre Defa - Im Scheitern und Gelingen gehört sie zur deutschen Filmgeschichte
Die Defa in Potsdam-Babelsberg wird 75 Jahre alt. Für Knut Elstermann ist das volkseigene Filmunternehmen der DDR eine lebendige Erinnerung. Besonders berührt ihn die Ernsthaftigkeit vieler Defa-Filme.
Vor 75 Jahren wurde die Deutsche Film AG (Defa) in Potsdam-Babelsberg gegründet. Sie produzierte Tausende Spiel- Dokumentar- und Kurzfilme, bevor sie nach der Wende abgewickelt wurde.
Das Ostberliner Kosmos in der Karl-Marx-Allee, das längst kein Filmtheater mehr ist, war eines der Defa-Premieren-Kinos, ein eleganter, moderner Bau im optimistischen, lichtdurchfluteten Stil der 1960er Jahre. Ich war als Kind oft dort.
Einer der Besuche ist mir immer in Erinnerung geblieben, ohne dass ich noch wüsste, welchen Film ich dort eigentlich sah. Aber in dem gläsernen Foyer, das sich um das gewaltige Rund des Kinos zieht, erstaunte mich eine Ausstellung mit Filmmodellen, die historischen Puppenstuben glichen. Es waren Entwürfe zu Konrad Wolfs opulenter Verfilmung des Romans "Goya oder der arge Weg der Erkenntnis" von Lion Feuchtwanger, gedreht im teuren 70-Millimeter-Format, das man auf der riesigen Leinwand im Kosmos zeigen konnte.
Aus Dubrovnik wurde Madrid
Es gab auch Fotos und Zeichnungen, die zum Beispiel offenbarten, wie die Defa die jugoslawische Stadt Dubrovnik in das alte Madrid verwandelte, wie diese faszinierenden, genauen Modelle zu Filmbildern wurden, zu den Adelspalästen, den Kirchen und zum Atelier des großen Künstlers Goya.
Da der Film 1971 in die Kinos kam, war ich damals also elf Jahre alt und konnte "Goya" erst später sehen. Doch dieser erste Eindruck der künstlerischen Meisterschaft in Babelsberg, wo das Defa-Filmhandwerk auf die Traditionen des 1912 gegründeten Studios aufbauen konnte, blieb für mich unvergessen.
In den 1990er Jahren lernte ich den Defa-Chef-Szenenbildner Alfred Hirschmeier kennen, der nicht nur die Welt des "Goya" erschaffen hatte. Er gestaltete so bedeutende Filme wie "Nackt unter Wölfen", "Jakob der Lügner" und "Solo Sunny". Seine optischen Drehbücher, heute würde man Storyboard dazu sagen, Collagen aus Fotos und Zeichnungen, sind grafische Meisterwerke, obwohl er sie nie als eigenständige Arbeiten sah. Wäre er ein Setdesigner in Hollywood gewesen, hätte er mindestens drei Oscars erhalten. Er starb 1996 viel zu früh, nur wenige Wochen bevor er mit dem Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden sollte.
Der eigene Anspruch in der Welt der Kompromisse
"Goya" gehört für mich zu den herausragenden Defa-Filmen, doch Konrad Wolf hatte das Gefühl, sich in der Bilderpracht etwas verloren zu haben. Danach drehte er den kleinen und wunderbaren Film "Der nackte Mann auf dem Sportplatz", der sehr viel leiser das gleiche Thema verhandelte, die Frage nach der Verantwortung des Künstlers in der Gesellschaft. Auch in seinem letzten Spielfilm "Solo Sunny", bis heute einer meiner liebsten Defa-Filme, ist noch ein Nachhall davon zu spüren, diese Suche nach dem eigenen Anspruch inmitten einer Welt der Kompromisse.
Die Ernsthaftigkeit vieler Defa-Filme, diese aufrichtigen Versuche, in die Gesellschaft hineinzuwirken, in einen Dialog mit dem Publikum zu treten, berührt mich heute, nach dem Scheitern des sozialistischen Projektes, vielleicht sogar mehr als damals. Antifaschistische Filme wie "Die Mörder sind unter uns", der schon im Defa-Gründungsjahr 1946 entstand, "Die Verlobte" und "Jakob der Lügner" prägen meine Weltsicht bis heute und mein Mitgefühl für die Opfer. Filme wie "Die Abenteuer des Werner Holt", "Der Aufenthalt" und "Dein unbekannter Bruder" sprachen von persönlicher Schuld und Verstrickungen, von der Verantwortung des einzelnen.
Ungeschönte Darstellungen des Alltags in der DDR
Schwieriger war es immer mit den Gegenwartsstoffen. Weil 1965 ein ganzer Jahrgang kritischer Gegenwartsfilme verboten worden war, darunter der heute so berühmte "Spur der Steine", entstand hier eine nie ganz geschlossene Lücke. Immer wieder kam es zu Konflikten mit der Studioleitung, wenn offen von der DDR-Wirklichkeit erzählt wurde. Aber auch beim Publikum, das sollte nicht vergessen werden, musste die DEFA einen gewissen Widerstand überwinden und sich der viel schillernderen Konkurrenz von Filmen aus Frankreich, Italien oder den USA stellen, die auch in den Kinos der DDR liefen.
Die Defa produzierte Propaganda wie die geschichtsklitternden, pathetischen Thälmann-Filme, sie scheiterte oft im heiteren Fach, sie lieferte wie Filmstudios auf der ganzen Welt schnell vergessene Dutzendware ab. Doch in der Gesamtschau, mit dem Abstand der Jahre, sehe ich viele der Filme mit mehr Verständnis für die Kämpfe und Niederlagen. Filme wie "Bis dass der Tod euch scheidet" von Heiner Carow, "Bürgschaft für ein Jahr" von Herrmann Zschoche, "Die Beunruhigung" von Lothar Warneke oder "Das Fahrrad" von Evelyn Schmidt, übrigens immer mit exzellenten Darstellern besetzt, erinnern mich heute ungeschönt an den Alltag in der DDR.
Es gab kein Interesse am Erhalt der Defa
Ich lernte die Defa erst kennen, als sie sich schon in Auflösung befand. Bei Studiogesprächen oder in Veranstaltungen, viele vor einem großen Publikum im Filmmuseum Potsdam, sprach ich mit den Künstlern, die nach der Wende ein großes Bedürfnis hatten, sich und ihre Arbeit zu erklären. Niemand von ihnen kannte mich, den filmjournalistischen Berufsanfänger, alle begegneten mir offen und ehrlich, vielleicht weil sie ein freundliches Verständnis für meine umfassende Unwissenheit und aufrichtige Neugier hatten.
Am Erhalt der Marke Defa hatten die neuen Studiobosse nie ein Interesse. Die wenigsten Defa-Künstler fanden auf dem neuen, gesamtdeutschen Filmmarkt mit seinem komplizierten Fördersystemen noch Arbeit. Schlimmer noch, viele sahen sich pauschalen Anfeindungen und undifferenzierten Aburteilungen ausgesetzt und spürten schmerzlich, wie ihr Lebenswerk und ihre Erfahrungen entwertet wurden.
Dieser 75.Geburtstag scheint mir etwas in Bewegung zu setzen, ich empfinde eine neue Aufmerksamkeit und eine langsam veränderte Wahrnehmung, die weiter reicht als bis zu einer Handvoll gut bekannter sogenannter Kultfilme. Mit der Defa-Stiftung gibt es eine verlässliche Grundlage für anregende Auseinandersetzungen und einen leichten Zugang zu diesem Erbe. Noch immer betrachten manche die Defa als einen etwas merkwürdigen Sonderfall. Dabei gehört sie im Scheitern und im Gelingen zur deutschen Filmgeschichte.
Sendung: rbbKultur, 17.05.2021, 17:10 Uhr