Opernkritik | "Rheingold" an der Deutschen Oper - Bilderrausch, Schadenfreude und ein Opernwunder
Die erste Premiere nach acht Monaten Pause an der Deutschen Oper Berlin: Stefan Herheims bilderbunte, dennoch tiefsinnige Inszenierung von Wagners "Rheingold" hat Maria Ossowski begeistert.
Gold oder Liebe, Macht oder Jugend, Anfangszauber oder Endspiel: Richard Wagners "Ring des Nibelungen" mit dem Raub des Rheingoldes zu Beginn feiert mal so eben alle Themen ab, die seit der Menschwerdung leider niemand gelöst hat.
Das kann in zweieinhalb Stunden ohne Pause bedeutungsschwanger, melancholisch, politisch, soziologisch, philosophisch oder auch komisch über die Bühne gehen. Nur dass die Regie alles auf einmal zaubert wie an diesem Samstagabend bei der "Rheingold"-Premiere in der Deutschen Oper Berlin, das geschieht sehr selten - und das ist dem norwegischen Starregisseur Stefan Herheim perfekt gelungen.
Schadenfreude überall
"Wagner tanzt immer um die Schadenfreude herum", so hat es Herheim, ein ehemaliger Schüler von Götz Friedrich, formuliert. Und das ist so. Die hübschen Rheintöchter amüsieren sich über den hässlichen, notgeilen Alberich, keine lässt ihn ran. Schadenfreude.
Alberich rächt sich und klaut das Gold. Schadenfreude. Der Göttervater will seine Burgbautruppe, zwei Riesen, nicht bezahlen und altert mit seiner ganzen Sippe zur Strafe in Rekordzeit. Schadenfreude.
Für jeden Kunstgeschmack ist etwas dabei
Also holt Wotan sich den Ring zurück, Alberich muss ihn abgeben. Und zum Schluss erschlägt ein Riese den anderen, denn dieser fiese rote Ring ist verflucht. Selber schuld. Schadenfreude.
Die Bilderflut rund um einen Flügel in der Mitte der Bühne - das Instrument ist Treppe und Gruft zugleich - überrascht, erstaunt und scheint fast ein Wunder. Herheim, auch Bühnenbildner, läßt auf wallenden Tüchern mit psychedelischen Farborgien Berge wachsen und Burgen, Unterwelten und Götterhimmel, die Wellen des Rheins und die groben Gesichter der Riesen.
Jedes Bild entspricht der Komposition. Jedes Bild ist auch Assoziation, von hochintelligent bis voll klamaukig, und für jeden Kunstgeschmack ist etwas dabei. Bildungsbürger freuen sich: Wotan und der Feuergott Loge sind hier Faust und Mephisto. Cineasten freuen sich: Donner, der Gewittergott, schmeißt seinen Hammer in die Lüfte, und der fliegt symbolträchtig hoch wie der Knochen aus Stanley Kubricks "2001 -Odyssee im Weltraum". Freunde des gepflegten Flachwitzes freuen sich, wenn Mutter Erda ausgerechnet aus dem Souffleurkasten steigt, um Wotan vor dem Ring zu warnen.
Auch musikalisch einzigartig
Und die Fans der Tiefenpsycholgie freuen sich auch: Die goldenen Äpfelchen aus Freias Garten sind äußerst pralle Brüste. Außerdem treiben die Rheintöchter es ziemlich wild im Wasser, Eros feuert die Story an.
Das "Rheingold"-Wunder an der Deutschen Oper funktioniert nur mit grandiosen Sängerinnen und Sängern, die zudem voller Lust ihre Figuren spielen. Thomas Blondelle als Feuerteufelchen Loge hat noch vor einer Woche den "Zigeuner"baron in der Komischen Oper gesungen, hier im "Rheingold" als hinterfotziger Mephisto hat er alle mitgerissen. Derek Walton als Wotan, Annika Schlicht als Fricka, Markus Brück als Alberich - sie alle haben die Premiere unter der Leitung von Chefdirigent Donald Runnicles auch musikalisch zu einem einzigartigen Abend werden lassen.
Riesiger Jubel im coronabedingt halb besetzten Haus. Der Regisseur bedankte sich mit einem Luftsprung.
Sendung: Inforadio, 13.06.2021, 8:10 Uhr