Kommentar | Eröffnung Humboldt-Forum - Erfrischend unmuseal, aber manchmal pädagogisch verkrampft

Äußerst modern, sehr partizipativ und kritisch: Bildungsbürger-Attitüde hat im neu eröffneten Humboldt-Forum kaum eine Chance, sagt Maria Ossowski. Sie wünscht sich aber einen weniger angstgetriebenen Umgang mit problematischen Kolonialthemen.
Außen erscheint es wie ein Schloss – es ist keins. Innen erwarten wir Museen, und es sind keine. Was also ist das Humboldtforum? "Ein Experimentierfeld für interkulturelle Zugänge", so formuliert es der Intendant Hartmut Dorgerloh etwas steil. Aber es trifft.
Über jeder Ausstellung, momentan sind es sechs, schwebt die Idee einer Vielstimmigkeit der Kulturen und einer kritischen Auseinandersetzung mit den Untaten deutscher Kolonialherren in der Vergangenheit. Das geschieht äußerst modern, sehr interaktiv, sehr partizipativ und erfrischend unmuseal. Die intellektuellen Schwellen sind niedrig. Die Bildungsbürgerattitüde hat im Humboldtforum selten eine Chance. Chronologien, Daten als Eckpunkte? Vergesst es. Stattdessen: Schlaglichter, die Assoziationen wecken, Action, Unterhaltung und immer wieder Verweise auf koloniale Kontexte.
Schützen mich Grenzen oder sperren sie mich aus?
Die Humboldtuniversität präsentiert ihre Ausstellung zur Umweltzerstörung mit dem Titel "Nach der Natur". Am Eingang erwartet uns ein riesiger virtueller Fischschwarm auf Leinwänden. Bewege ich mich hektisch, schwärmt er zur Seite. Bleibe ich ruhig, umschwirrt er mich.
In der Ausstellung "Berlin Global" muß ich mich mit einem Tracking-Armband immer zwischen zwei Durchgängen entscheiden. Will ich eine soziale Stadt oder eine offene? Schützen mich Grenzen oder sperren sie mich aus? Zum Schluss kommt ein kleines Psychogrammticket aus dem Automaten, ich soll mit anderen Besuchern drüber reden. Das hat Charme, das wird jüngere Gäste besonders anziehen.
Aufregend und lehrreich ist die Schau "Nach der Natur" über Wissenschaft und Umweltbedrohungen. Hinreißend und für Familien dringend empfohlen ist die Kinderausstellung "Nimm Platz!", voller Phantasie und Witz.
Der Schlüterhof mit seinen drei barocken Fassadenseiten und dem Bistro lädt ein und wird garantiert ein Hotspot. Das sind die positiven Aspekte.
Übergroße Vorsichtsmaßnahmen
Irritierend und leider doch zeigefingerhaft sind die pädagogischen Hinweise auf rassistische Inhalte. Ein Schild warnt vor dem Film "Entertain Berlin", er enthalte rassistisches Material. Es seien "Bilder aus der Sicht von weißen Personen, sie könnten verletzend oder retraumatiserend sein". Die Warnung "soll dazu dienen, dass niemand ihnen unvorbereitet ausgesetzt wird".
Diese Vorsichtsmaßnahme zeigt: Die Angst der Verantwortlichen, in der dringend notwendigen Kolonialismusdebatte irgendeinen Aspekt zu vergessen, irgendjemanden zu beleidigen, ist überdeutlich und hin und wieder irritierend.
Über den Texttafeln zu den Brüdern Humboldt sind auf den Fenstern unter anderem die Schlagworte "Patriarchat", "Hierarchie" und "queer" zu lesen. Der Kurator nennt die Namensgeber im Imagefilm "alte weiße Helden".
Fazit: Die heftige Kritik am Humboldt-Forum im Vorfeld hat einen Schleier von Furcht über das Unternehmen gelegt, der spürbar ist. Es wäre schön, er könnte einem intensiven und kritischen, gleichermaßen aber etwas weniger verkrampften Umgang mit den problematischen Kolonialthemen weichen.
Sendung: Inforadio, 20.07.2021, 15:00 Uhr