Debatte um Hausrecht und Impfungen - Berliner Veranstalter kämpfen mit Risiken für Großevents

Großveranstaltungen werden lange im Voraus geplant. Die Pandemie aber macht das unmöglich. Verbraucher buchen zögerlich, denn sie bekommen nur unter Bedingungen ihr Geld zurück - für die Branche eine teure Hängepartie. Von Tobias Schmutzler
30 Tage noch, dann wird Dirk Becker mit Tausenden anderen das "German Rum Festival" feiern. Oder auch nicht. Im Moment kann das niemand sicher sagen. Beckers Rum-Messe, die er am 28. und 29. August in der Station Berlin am Gleisdreieck abhalten will, steht auf der Kippe – wie alle größeren Veranstaltungen in den kommenden Monaten.
Durch Corona ist kaum etwas planbar
Corona hat für die Branche alles schwer planbar gemacht. "Das ist wie Heiß-und-Kalt-Duschen, ein Auf und Ab der Gefühle. Es ist nicht einfach, das so durchzuziehen", sagt Becker. Trotzdem ist er überzeugt, dass das Rum-Festival in irgendeiner Form stattfinden wird. Die Messe musste er 2020 schon einmal verschieben. Nochmal soll das nicht passieren.
Aber ist das wirklich denkbar, dass sich Ende August 1.000 Menschen in Messehallen treffen, Rum verkosten, Expertise austauschen und einfach ein wenig Normalität genießen? Im Moment steht die Veranstaltung absolut in Einklang mit den Corona-Regeln in Berlin: Messen und Kongresse sind außen für 2.000 Personen gleichzeitig erlaubt, innen grundsätzlich für 1.000 Personen. In Innenräumen steigt die erlaubte Obergrenze ebenfalls auf 2.000, wenn bestimmte und festgelegte Bedingungen - etwa eine maschinelle Lüftung - erfüllt werden. In allen Fällen muss ein Hygiene- und Testkonzept vorliegen.
Keine klare Aussage vom Berliner Senat
Doch ob die Regeln von heute in vier Wochen noch gelten, weiß keiner. Auch die Senatsverwaltung für Wirtschaft will auf rbb-Anfrage keine klare Aussage treffen. Sind künftig Anpassungen der Personen-Obergrenzen nach oben oder unten nötig? Dazu schreibt die Wirtschaftsverwaltung: "Der Berliner Senat bewertet kontinuierlich das Infektionsgeschehen und passt die entsprechenden Regelungen laufend an." Die Regelungen würden fortlaufend "auf ihre Angemessenheit" hin geprüft.
Allerdings bringt die Senatsverwaltung eine Diskussion ins Spiel, die aus ihrer Sicht in naher Zukunft geführt werden sollte: "Sobald alle Bürger ein Impfangebot erhalten haben, sollte darüber diskutiert werden, ob Veranstalter von ihrem Hausrecht Gebrauch machen können und den Zugang nur Geimpften und Genesenen ermöglichen." Dieser Zeitpunkt könnte dann Ende September sein, denn bisher hatte die Bundesregierung den 21. September als das Datum genannt, bis zu dem alle Bundesbürger eine Impfung angeboten worden sein soll.
Messe-Ausfall wäre „mittlere Katastrophe“
Was auch immer geschieht: Den Besucherrekord von 2018, als 4.900 Menschen das "German Rum Festival" besucht haben, wird Dirk Becker dieses Jahr auf keinen Fall knacken. Aber 3.000 könnte er schaffen. Die Tickets für das Festival sind auf drei Slots, also eingeschränkte Besucherzeiten, für je 1.000 Personen aufgeteilt: Samstagvormittag und -nachmittag sowie Sonntag tagsüber. Nur noch 400 Tickets sind übrig. Sollte der Präsenzteil der Veranstaltung doch noch ins Wasser fallen, dann würde Becker denen, die ihr Geld zurückhaben wollen, die Eintrittskarten erstatten. Finanziell wäre ein Ausfall aber eine "mittlere Katastrophe", sagt Becker.
Sollte, hätte, würde: Die Ungewissheit, ob die Regeln von heute auch in einem Monat noch gelten, frustriert den Veranstalter. Dirk Becker sagt, er verstehe zwar die Argumentation, dass Veranstaltungen wie sein Rum-Festival in den Bereich von Freizeitgenuss fallen würden, und deshalb hinter dem Gesundheitsschutz zurückstehen müssten.
"Man kann nie komplett ausschließen, dass sich jemand infiziert"
Doch aus seiner Sicht könnte es auch einen Ausgleich zwischen beiden Polen geben: Seine Rum-Messe zum Beispiel habe ein ausgearbeitetes Hygienekonzept, auf 6.000 Quadratmetern würden sich nie mehr als eintausend Menschen begegnen. Alle Besuchenden müssten zudem vollständig geimpft, genesen oder frisch getestet sein. Eine Teststation stehe vor Ort bereit, es herrsche Maskenpflicht, die maschinelle Lüftung arbeite durchgängig.
"Man kann natürlich nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass sich jemand infiziert – aber wenn ich mir andere Situationen angucke, die erlaubt sind, dann stelle ich mir die Frage: Wieso darf das gemacht werden und das nicht?“ Nicht nur Becker findet, der Stellenwert sei hier verzogen. Auch der Chef des Veranstaltungsorts, an dem das Rum-Festival stattfinden soll, kritisiert die fehlende Planbarkeit. „Ich kann nicht nachvollziehen, wenn ich mich einerseits in Kaufhäusern mit Tausenden gleichzeitig tummeln kann, aber eine Großveranstaltung mit Testkonzept nicht möglich sein soll“, sagt Hauke Fischbeck, Geschäftsführer der Station Berlin.
Umsatzverlust von 90 Prozent
Die acht Messehallen dort sind aktuell fast komplett leer. Immerhin: Zwei Kunst-Ausstellungen über Banksy und Van Gogh laufen gerade. Doch spielen sie der Station in sechs Monaten nur ein paar Hunderttausend Euro ein, sagt Geschäftsführer Fischbeck. Vor der Coronakrise habe die Location gut 1,8 Millionen Euro Umsatz im Monat gemacht. Aufs Jahr gerechnet sei das ein Umsatzverlust von 90 Prozent, der im Moment durch staatliche Corona-Hilfszahlungen aufgefangen werde.
Wie lang wird diese Hängepartie noch weiter gehen? Für September und Oktober stehen im Buchungskalender der Station schon die "Berliner Immobilienmesse" und die "Berlin Brettspiel Con". Doch ob sie wirklich in Präsenz mit hohen Besucherzahlen stattfinden werden, ist ebenso unklar wie beim Rum-Festival.
Keine Versicherung gegen Corona-Ausfälle möglich
Im Normalfall werden solche großen Veranstaltungen Monate, wenn nicht gar ein Jahr im Voraus geplant. Aktuell aber ist das unmöglich. Und das Risiko bleibt an den Veranstaltern hängen. "Ich finde keine Versicherung mehr, die gegen einen Ausfall wegen Corona schützt. Das ist in allen Versicherungen ausgeschlossen worden", sagt Dirk Becker, Organisator des "German Rum Festivals".
Ihm bleiben also zwei Möglichkeiten: das Risiko einzugehen, oder einfach keine Veranstaltung zu planen. Soweit ist Becker noch nicht. Selbst wenn der Präsenzbesuch auf der Rum-Messe August doch noch verboten werden sollte, dann will er zumindest die digitalen Programmpunkte retten. Standrundgänge und Geschmacksproben per Internet-Livestream sind geplant. Aber noch hofft Becker auf eine hybride Messe, mit Livestreams und Menschen vor Ort. In 30 Tagen. Nach Corona-Maßstab eine kleine Ewigkeit.
Sendung: Radioeins, 29.07.2021, 9.40 Uhr