Theaterkritik l "Mord im Orientexpress" am Schillertheater - Endlich wieder gemeinsam und gleichzeitig lachen
Katharina Thalbach spielt in "Mord im Orientexpress" den Meisterdetektiv Hercule Poirot und hat für das Bühnenstück Regie geführt. Sie hatte ein "großes Kriminalspektakel" angekündigt. Anke Schaefer urteilt: Dieses Versprechen hält sie.
Großer Applaus für Katharina Thalbach und das Ensemble, zum Schluss und auch zwischendrin: Ja, der Abend ist genau das große Kriminalspektakel, das Thalbach angekündigt hat. Nicht, dass große Extravaganzen oder nie gesehene Überraschungen geboten würden, aber dies ist ein einfach gut gemachtes Komödienspektakel. Und Katharina Thalbach ist natürlich ein herrlicher Hercule Poirot.
Spielend in Männerrollen
"Oh Gott, ich wäre endlich auch gerne mal ein Detektiv!" – das hat Katharina Thalbach in rbb-Inforadio vor der Premiere gesagt und weil Miss Marple im Kino durch die große Margaret Rutherford schon besetzt sei, habe sie sich eben Hercule Poirot ausgesucht.
In Männerrollen ist sie in ihrer Karriere immer wieder geschlüpft, das gelingt ihr spielend. Das schwierigste sei gewesen, so hat sie es mal dem Magazin "Bunte" gesagt, als sie etwa 2012 als Preußischer König, als "Alter Fritz" zu sehen war: "Die Brustquetsche". Ihre Brust werde weggequetscht, und mit einer Art Bauch kaschiert. So auch jetzt. Dazu der Schnauzer, die Perücke, der Gehstock.
Ihre kleine Statur, ihre schnarrende Stimme - es ist, als wäre sie schon immer dieser kauzige Meisterdetektiv gewesen, als habe sie schon immer näselnd zwischen Deutsch und Französisch changiert und den klugen Kopf geschüttelt über diese mörderische Welt.
Theaterfassung des Klassikers mit guter Musik
Als eine Art Zeremonienmeister tritt sie beziehungsweise er zu Anfang vor den roten Vorhang und sagt: "Mesdames et Messieurs, Sie erleben heute Abend eine Geschichte voller Tragik, es geht um Mord. Immer da, wo die menschliche Natur am Werk ist, da gibt es ein Drama. Aber das Leben ist wie ein Eisenbahnzug, es geht weiter und weiter und weiter ..."
Als dann der Orientexpress, der Istanbul gerade verlassen hat, vor Belgrad in einer Schneewehe stecken bleibt, geschieht der schreckliche Mord. Alle sind in Schockstarre. Das ganze Ensemble (in dem auch Anna und Nellie Thalbach – also Tochter und Enkeltochter von Katharina – mit von der Partie sind), die Prinzessin, der Colonel, der Schaffner – sie alle geraten in Poirots Visier und wirken dabei grotesk, überspannt, verrückt.
2017 wurde der Stoff zuletzt verfilmt, diese Theaterfassung hat der amerikanische Dramatiker Ken Ludwig geschrieben, Katharina Thalbach hat sie bearbeitet und besonders schön sind (wenn auch nicht immer hundertprozent verständlich) die Songs.
Immer auf den Punkt
In einer von Christopher Tölle erarbeiteten Choreografie singen die elf Fahrgäste und der Schaffner, sie tanzen, sie stürmen herein und hinaus und hin und her – so wie es sich für eine gute Komödie gehört: Immer auf den Punkt.
Das alles im beeindruckenden Bühnenbild von Momme Röhrbein. Zuerst sehen wir den Zug von außen, bis er dampfend und zischend abfährt, wofür er zu Recht einen Szenenapplaus bekommt. Dann sehen wir eine zweistöckige Szenerie: Unten die Mord-Bar, oben drüber die Luxus-Abteile, die – je nachdem, wie sie gebraucht werden – von außen oder innen sichtbar werden.
Gemeinsam lachen hat etwas Befreiendes
Agatha Christie hätte ihre Freude gehabt. Komödiantisches Talent haben sie hier alle. Sie platzen vor Spaß an der Show. Das Schönste aber ist vielleicht, dass sie überhaupt stattfinden konnte, diese Premiere.
Nach so langer Zeit der Theater-Entbehrung, nach so vielen verschobenen Terminen wirkt es wie ein Wunder, dass nun glitzernder Theaterschnee endlich über dieser Bühne nieder gehen kann, die Pailletten scheinen heller zu funkeln als je zuvor und die Erfahrung, wieder gemeinsam und gleichzeitig in einem Raum über Gags zu lachen, die hat etwas ungemein Befreiendes. Hoffentlich kann es so bleiben.
Sendung: rbb Kultur, 25.07.2021, 6:55 Uhr