Performance-Kritik | "Suit your Body" im TD Berlin - Übergewicht erwünscht

Dicke Menschen werden im Alltag oft gemobbt, beleidigt und ausgegrenzt. Unter "Body Shaming" leiden besonders Mädchen und Frauen. Die Perfomance "Suit your Body" hinterfragt unsere gesellschaftlichen Schönheitsnormen. Von Corinne Orlowski
Es gluckert und schwappt in der zweiten Etage des Berliner Theaterdiscounters. Die ganze Bühne ist ein Schwimmbecken. Ein Ort, an dem im realen Leben dicke Menschen oft Diskriminierung erfahren. "Das Entsetzen lässt sich in einigen Gesichtern wirklich ablesen", berichtet Natalie Rosenke. "Also gerade wenn eine dicke Person ins Schwimmbad kommt oder in die Sauna geht, dann herrscht Fassungslosigkeit."
"Wir haben aufgehört, von bestimmten Körpern zu träumen"
Natalie Rosenke ist eine "Ü100". Bei 1,60 Metern Körpergröße wiegt sie mehr als 100 Kilo. Das ist für sie kein Problem, sagt sie - aber für andere, seit sie denken kann. Rosenke ist Vorsitzende der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung. Vor zwei Jahren hat die Aktivistin in einer Kolumne der "Süddeutschen Zeitung" darüber geschrieben, was es heißt, als dicker Mensch in unserer Leistungsgesellschaft zu leben. Im Alltag und im Netz wird sie mit Beleidigungen überschüttet. Innerhalb von 60 Tagen erhielt sie bis zu 2.000 hasserfüllte Tweets.
In der Audio- und Lichtperformance "Suit your Body" ist sie im Interview zu hören. Überall wo es um genormte Schönheit geht, hat sie als dicke Frau nur Schmerz erfahren. Bei bestimmten Formen von Schönheit entwickelt sie inzwischen eine Müdigkeit. Sie will nicht mehr von außen bestimmt oder beurteilt werden. "Alles ist da, aber wir zeigen nur eine Form von weiblicher Schönheit. Wir haben aufgehört, von bestimmten Körpern zu träumen."
Ein mehrstimmiger Chor atmet, spricht, singt
Die Performance hat das feministische Kollektiv "Frauen und Fiktion" (FuF) eingerichtet und Rosenke einen mehrstimmigen Chor zur Seite gestellt. Der atmet, spricht und lustvoll singt. Die Zuschauer:innen sitzen mit Bademantel, Badelatschen und Kopfhörer etwas uniformiert im gekachelten Pool. Sie können durch den Raum spazieren oder aber ihre Beine vom Beckenrand baumeln lassen. Aber umgeben von Nebelschwaden und Streiflichter, fühlt man sich keine Sekunde unwohl. Die Sounds im Raum und die Stimmen auf dem Ohr überlagern sich, umspülen die Zuhörer:innen wie warmes Wasser. Hier sind alle Körper erwünscht.
"Ich bin oft in Räumen unterwegs, wo von Übergewicht gesprochen wird, wo ich frage: Von welchem 'Über' reden wir? Über erwünscht, über moralisch gut, über – äh ? Warum ist dieses Über erforderlich?", sagt Natalie Rosenke.
"Suit your Body" hinterfragt äußerst erhellend unsere gesellschaftlich postulierten Schönheitsnormen und erobert sich auf liebevolle Weise Worte wie "dick" wieder zurück. Andächtig lauscht man dieser Ode an die Vielfalt.
Die Performance "Suit your Body" im TD Berlin, die in Kooperation mit der Internationalen Psychoanalytic University Berlin (IPU) entstanden ist, wird noch bis zum 22. August mehrmals täglich gezeigt. Sie ist danach als digitale 3D-Version online abrufbar.

Sendung: Inforadio, 20.08.2021, 6:55 Uhr