Konzertkritik | John Williams und die Philharmoniker - Der Gott der Filmmusik ist in Berlin

Fr 15.10.21 | 10:56 Uhr | Von Jens Lehmann
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Archivbild: John Williams dirigiert am 28.02.2018 in Los Angeles. (Quelle: dpa/Paul Hebert)
Audio: Inforadio | 15.10.2021 | Jens Lehmann | Bild: dpa/Paul Hebert

Ist das echte Kunst oder reine Unterhaltung? So wird meist über Filmmusik diskutiert. Doch als eines der weltbesten Orchester setzen die Berliner Philharmoniker ein Zeichen - und feiern den wohl größten Filmmusik-Komponisten der Welt. Von Jens Lehmann

Es gibt Momente im Leben, da entdecke ich so etwas wie den inneren Amerikaner in mir: Wenn es einen überwältigt, man sich von seinem Sitz erhebt und minutenlang einem Mann auf dem Podium zujubelt, bevor überhaupt der erste und lange nachdem der letzte Ton Musik erklungen ist. Der Mann, dem an diesem Abend ein ganzer, ausverkaufter Konzertsaal zu Füßen liegt, heißt John Williams - und er ist das, was man eine lebende Legende nennt.

Seine Musik hat ganze Generationen von Kinogängern und Fernsehzuschauern verzückt, ergriffen, geschüttelt, zu Tränen gerührt. Williams hat mittelmäßige Filme zu grandiosen gemacht, und richtig gute Filme zu unvergessenen Erlebnissen werden lassen. Er gilt außerdem als einer der einflussreichsten Komponisten der Welt und prägt seit Jahrzehnten den Sound von Hollywood.

Sein Auftritt ist fast ein Wunder

Auch ich bin ihm dankbar - für so viele Melodien, die ich immer mit mir trage, die ich schon als nerdiger Schüler in mein Notenheft abgeschrieben habe. Dass ich ihn jetzt live sehen kann, ist fast ein Wunder. Williams ist 89 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Sonst tritt er fast nur in den USA auf – und verbringt sowieso einen Großteil seiner Zeit in Aufnahmestudios.

Doch auf seine alten Tage überkam ihn wohl Sehnsucht nach Europa, prompt leitet er nach den Wienern jetzt auch noch die Berliner Philharmoniker, ist also zu Gast bei den besten Orchestern der Welt – und in den Tempeln der klassischen Musik.

Zwei Welten prallen aufeinander

Es gibt wohl nicht wenige, die das kritisch sehen, gar von Blasphemie sprechen würden. Denn hier prallen auch zwei Welten aufeinander. Filmmusik wird von vielen strickten Klassikfans als minderwertige Musik, als U-Musik, also Unterhaltungsmusik, verspottet. So war die Musik eines John Williams bisher auch kaum auf den Programmzetteln der großen Orchester zu finden. Die Berliner Philharmoniker haben sich das bisher nur in der Waldbühne getraut.

Aber so weit weg vom Kanon der klassischen Musik ist Williams eben auch nicht. Er ist das, was man einen Eklektiker nennt, seine Musik bedient sich großzügig bei den Vorbildern der Spätromantik, da steckt viel Wagner oder Richard Strauss drin, aber auch Bartok oder Strawinsky.

Sein Soundtrack zu "Unheimliche Begegnung der dritten Art" ist noch das modernste Stück des Abends. Ansonsten reiht sich ein Welterfolg an den nächsten, entsprechend bejubelt von den Fans im Saal – Harry Potter, Indiana Jones, Star Wars, In einem fernen Land – und ja, er spielt auch meine Lieblinge, den Marsch zum ersten Superman-Film mit Christopher Reeves und die herrliche Abspannmusik von Jurassic Park.

Williams als sympathischer Anekdoten-Onkel

Zwischendurch greift John Williams an diesem Abend immer wieder zum Mikrophon, erzählt auf onkelig-sympathische Art, wie fasziniert er von Berlin sei, was für eine schöne Stadt mit so freundlichen Menschen er kennengelernt habe, die sich in Los Angeles immer nur in ihren Autos verstecken würden.

Er verneigt sich auch vor den Philharmonikern, die er immer aus der Ferne bewundert habe und die er nun dirigieren dürfe. Er erzählt gut gelaunt Anekdoten zu seiner Musik, zur Schweigsamkeit von George Lucas und der unberechenbaren Kreativität eines Steven Spielberg. Nur, um sich danach schnell wieder umzudrehen und unaufgeregt und präzise den nächsten Klassiker zu dirigieren.

Kaum Atempausen

Doch das ist auch ein bisschen das Problem des Abends. Es gibt kaum Atempausen in dieser Überwältigungsmusik. Wenn, dann ist gleich das ganze Orchester beschäftigt, Posaunen und Trompeten setzen kaum mal die Instrumente ab, ewig klingen Celesta, Glockenspiel und Triangel hinterdrein. Die Streicher haben diesen extra sehnsuchtsvollen Ton voller Vibrato. Für feine Zwischentöne, Individualität gar, ist kaum Platz in dieser gut geölten Maschine. Da freut man sich umso mehr über die Elegie für Cello und Orchester, wenn man so will, das einzige Stück E-Musik an diesem Abend, das Solo-Cellist Bruno Delepelaire warmherzig auf seinem Instrument singt.

Mit E.T., dem Außerirdischen und Darth Vaders Imperial March klingt der Abend aus – ein letztes Mal erhebt sich der ganze Saal, und wankt schließlich mit lauter Melodiefetzen im Kopf in die erstaunlich milde Nacht. Ich habe John Williams erlebt, ein Haken mehr auf meiner sogenannten Bucket-List der Lebensvorsätze.

Sendung: Inforadio, Kultur, 15.10.2021, 06:55 Uhr

Beitrag von Jens Lehmann

2 Kommentare

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  1. 2.

    Das Konzert heute Abend (Samstag) wird auch zeitversetzt ab 20:03 von RBBKultur übertragen.

  2. 1.

    Schade! Habe erst gestern in der Abendschau davon erfahren. Sonst hätte ich mich um Karten bemüht. Das Konzert wird übrigens morgen im Livestream von der Philharmonie übertragen. Ich glaube allerdings, dass man sich dort dann irgendwie anmelden muss. Könnte auch sein, dass es kostenpflichtig ist. Habe nur kurz die Seite überflogen. Leider bin ich morgen bereits verabredet. Ansonsten hätte ich mir das angeschaut.

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