Premierenkritik | Uraufführung in der Staatsoper - Der Fisch bleibt haften - Péter Eötvös' neue Oper "Sleepless"

Mo 29.11.21 | 18:50 Uhr | Von Harald Asel
Foto- und TV-Probe zur Uraufführung der Oper "Sleepless", nach Trilogie von Jon Fosse, im Staatsoper Unter den Linden. (Quelle: dpa/N. Hansch)
Audio: Inforadio | 29.11.2021 | Harald Asel | Bild: dpa/N. Hansch

Hörerfreundlichkeit ist nicht unbedingt ein Charakteristikum von neuer Musik. Der Komponist Peter Eötvös macht es aber leicht, der Geschichte des Paares Asle und Alida in "Sleepless" zu folgen. Das Publikum in der Staatoper feierte ihn und das Stück. Von Harald Asel

Irgendwann irgendwo in Norwegen spielt die Geschichte von "Sleepless" - hier von einer Handlung zu sprechen, wäre fast zu viel. Alida und Asle leben in Armut und werden, weil Alida schwanger ist, überall abgewiesen. Die beiden spinnen sich ein in einen eigenen Kosmos von Sprachlosigkeit und Erschöpfung.

Eine solche Anlage wundert nicht, denn der Autor der Vorlage heißt Jon Fosse. Die besondere Kunstfertigkeit des gefeierten norwegischen Autors von Bühnenstücken und Prosa liegt ja gerade in der grauen Kunstlosigkeit seiner Dialoge. Auch in dem Opera ballad genannten Musiktheater des Ungarn Peter Eötvös, Jahrgang 1944, herrscht die Innenperspektive der Figuren vor: Da wird nichts über deren Köpfe hinweg erläutert und entschuldigt, aber auch nicht unnötig dramatisiert. Selbst die Morde, die Asle begeht, scheinen sich auf einer Ebene mit Essen und Schlafen zu vollziehen.

Victoria Randem, Peter Eötvös und Linard Vrielink beim Schlussapplaus bei der Premiere der Oper 'Sleepless' von Peter Eötvös in der Staatsoper Unter den Linden. (Quelle: dpa/T. Bartilla)
Bild: dpa/T. Bartilla

Orientierungslosigkeit beim Hören

Die Hörerfreundlichkeit der Eötvösschen Musik ist allerdings hochartifiziell: Dreklänge, Dur, Moll, vermindert und übermäßig, prägen diese Welt von Asle und Alida. Jede der kurzen Szenen hat einen anderen Grundton, so dass wir nach und nach alle Halbtöne einer Oktave durchschreiten - immer mit funktionalharmonisch weitestem Abstand.

Es entsteht dadurch beim Hören eine Orientierungslosigkeit, zugleich in der Geschichte eine Art geschützter Raum. Das Unausgesprochene bleibt unausgesprochen, da wird nicht im Orchester getrickst, als wüsste die Musik mehr als die Figuren. Das kann allerdings nach einer Weile auch nerven und die Geduld des Publikums immer wieder herausfordern. Wie Fosses Texte ja auch durch das Wiederholen von Banalem und durch Pausen geprägt sind.

Ein grandioser Schlussdialog

Dann ist da noch die Welt da draußen: Fischer, eine Hure, eine alte Frau, ein Juwelier, der Mann in Schwarz, der schließlich die Lynchjustiz gegen Asle anführt, sie wirken melodisch und rhythmisch vielgestaltiger, virtuoser, klingen quasi wie durch groteske Spiegel verzerrt.

Die Musik für das Paar dagegen ist fast zu schön, zu wenig herb. Was auch daran liegen kann, dass in dieser Oper eben nicht norwegisch, sondern englisch gesungen wird. Doch all die Einwände wischt der große Schlussmonolog der altgewordenen Alida hinweg, grandios gestaltet von Victoria Randem, ein Monolog, in dem sie ihre Einsamkeit, aber auch ihr unverändertes Vertrauen in den vor vielen Jahren getöteten Asle, mehr noch in die Unbeeindrucktheit der sie umgebenden Natur ausdrückt.

Der Lachs als Symbol und Spielort

Wie überhaupt diese Produktion durch äußerste Sorgfalt und ungeheuere Intensität zum Erfolg geführt wird: nicht nur mit dem Komponisten Eötvös am Pult der Staatskapelle und nicht nur mit Linard Vrielink als Asle und seinem nie forcierenden Tenor.

So ist Kornel Mundruczó sowohl als Theatermann und Filmemacher (Netflix!) versiert darin, Personenführung und Stimmungsbilder zusammenzubringen - seine Regiearbeit ist klar und durch keine ausgeklügelten Behauptungen überfrachtet.

Und dann ist da noch ein riesengroßer Lachs. Die Bühne ausfüllend, beherrscht er die Szene als Symbol und als Spielort. Die Außenseite scheint unversehrt, die Kiemen werden zu Türen eines Hauses. Dann dreht sich die Bühne und wir blicken auf einen halb aufgegessen Fisch, mit drohender Gräte und rosa Filet. Das ist mal höhlenhafte Wohnung für das Paar, mal Wirtshaus, wo die immer latenten Aggressionen sich Bahn brechen. Auch wenn die Musik nach zweieinhalb Stunden verklungen ist: der Fisch bleibt im Gedächtnis haften.

Sendung: Inforadio, 29.11.2021, 12:55 Uhr

Beitrag von Harald Asel

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