Kommentar | Kolonialismus, Nationalsozialismus, geteilte Stadt - Kultur im Koalitionsvertrag - was gut ist und was fehlt
Was die Kultur angeht, sollen mit dem Berliner Koalitionsvertrag die etablierten großen Institutionen wie die Staatsoper und die Deutsche Oper gefördert werden, aber sie werden wohl weniger Geld bekommen. Auch manche Priorität ist fragwürdig. Von Maria Ossowski
Der Koalitionsvertrag in punkto Kultur will fortführen, was Rot-Rot-Grün in den vergangenen Jahren bereits angeschoben hatte und wofür der engagierte und in vielen Kulturkreisen beliebte Senator für Kultur und Europa steht: Diversität, Barrierefreiheit, Geschlechtergerechtigkeit, niederschwellige Angebote, Stadtteilkultur, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und so weiter.
Die durch Corona gebeutelten Soloselbständigen sollen mehr Unterstützung erhalten. Bravo! Ein wertschätzendes Klima soll herrschen in den Kulturinstitutionen, diskriminierungsfrei. Bravo!
Förderung der Freien Szene versus institutioneller Förderung
Natürlich werden auch Opern und Theater weiter unterstützt, jedoch lässt hier ein neuer Ton aufhorchen. Zitat: "Die Koalition wird die Berliner Kulturförderung evaluieren und gegebenenfalls neu justieren. Dabei ist das Verhältnis zwischen institutioneller Förderung und der Förderung der freien Künste/Freien Szene im Sinne größerer Fördergerechtigkeit zu überprüfen".
Das heißt: die etablierten großen Institutionen wie zum Beispiel die Staatsoper, die Deutsche Oper, das Deutsche Theater und andere könnten zugunsten der Freien Szene weniger Geld bekommen. Das ist mit Tarifverträgen und Kündigungsschutz kompliziert und ginge dann nur zulasten der Etats für künstlerischen Produktionen und der einzuladenden prominenten Sängerinnen oder Schauspieler. Ob dies den Glanz der Berlinkultur heller strahlen lässt? Vermutlich eher nicht.
Schwerpunkt der Erinnerungskultur im kolonialen Kontext
Ein weiterer Punkt fällt ebenfalls auf. Zitat "Die Koalition ist sich der historischen Rolle Berlins bewusst und wird weiterhin kritisch an die koloniale Vergangenheit, den Nationalsozialismus und das geteilte Berlin erinnern". Das SED-Unrecht ist nicht benannt und der Nationalsozialismus wird zwischen kolonialer Vergangenheit und der geteilten Stadt erwähnt. Ein zentraler Gedenkort zur Kolonialvergangenheit ist geplant. Das ist zeitgemäß und angemessen. Der Schwerpunkt in der Erinnerungskultur wird in diesem Koalitionsvertrag eindeutig im kolonialen Kontext gesetzt.
Die Kolonialismusaufarbeitung ist dringend notwendig. Klar ist jedoch auch: das Entstehen Berlins als Weltstadt der Kultur ist undenkbar ohne das jüdische Bürgertum und jüdische Künstler. Gerade wegen des wachsenden Antisemitismus wäre es bitter nötig, der Erinnerung an die Shoah mehr Raum zu geben mit Kulturinitiativen, die verhindern, dass jene mörderischen Zeiten in Vergessenheit geraten. Das Dokumentationszentrum NS Zwangsarbeit und das spendenfinanzierte Exilmuseum sind zwar erwähnt und werden mit dem Bund weiterentwickelt. Aber eine inhaltlich dezidierte Schwerpunktinitiative Erinnerung an die NS Zeit und jüdisches Leben hätte dem Kulturkapitel im Koalitionsvertrag gut angestanden.
Senatorin oder Senator für das Ressort
Wer als Senatorin oder Senator das Ressort leiten wird, entscheidet sich im Dezember. Klaus Lederer, promovierter Jurist, gilt als gesetzt, er ist bestens vernetzt, er hat viel erreicht und hatte sichtlich Freude im Amt. Aber Überraschungen wie in der Bundespolitik sind immer möglich. Und die Linke übernimmt auch das Justizressort.
Sendung: Inforadio, 30.11.2021, 12:55 Uhr