Der neue "Ring" an der Deutschen Oper - Magie und Feinripp

Mo 15.11.21 | 09:04 Uhr
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DEUTSCHE OPER BERLIN Premiere 27.09.2020 WALKÜRE Regie: Stephan Herheim Bühne: Silke Bauer Kostüme: Uta Heiseke Licht: Ulrich Niepel Video: William Duke, Dan Trauchard Darsteller: John Lundgren, Nina Stemme. (Quelle: © Bernd Uhlig)
Audio: Inforadio | 15.11.2021 | Maria Ossowski | Bild: © Bernd Uhlig

16 Stunden Wagner, das ist der "Ring des Nibelungen". Eine Herkulesaufgabe für jedes Opernhaus, besonders in Corona-Zeiten. Nun ging das Riesenwerk an vier Abenden über die Bühne des Hauses an der Bismarckstrasse. Eine Bilanz von Maria Ossowski

"Mit den Wagner-Opern hat man stets Kummer. Es ist ein immer noch aufregender, ein großartiger Kummer", sagte Marcel Reich-Ranicki einst. Stimmt, und den Oberkummer macht grundsätzlich der "Ring", auch genannt "Ring, der nie gelungen".

Deshalb erstmal Applaus für ein Haus, das sich an dieses Riesenmonstrum wagt, zumal in Corona-Zeiten. Kein Verantwortlicher hat in der Deutschen Oper hingeschmissen und ist geflohen, wie das in Bayreuth und anderswo passieren kann. Das ist der erste Erfolg.

Callas und Co. wussten, warum sie nie die Brünnhilde sangen

Den nächsten dürfen Solisten, Orchester, Dirigent und Chor feiern.

Diese sagenhafte Nina Stemme als Brünnhilde: schön und schlank und weich in Kantilenen, dramatisch bis zum Schluss. Was steckt da für eine Kraft in dieser zarten Frau! Callas und Co. wussten schon, warum sie nie die Brünnhilde gesungen haben, eine echte Killerpartie. Bravo auch für Clay Hilley aus Georgia, sein Siegfried, ebenfalls ein Marathon, klingt stark und herrlich.

Alle, alle geben sie im ersten Zyklus ihr Allerbestes, allein Thomas Blondelle als Feuergott Loge und Okka von der Damerau als Waltraute lohnen diesen Ring. Sie werden solide, fein und unterstützend begleitet von Generalmusikdirektor Donald Runnicles und seinem Orchester, die Wagner-Tradition dieses Hauses strahlt auch aus dem Graben.

Bevor wir die Regie kritisieren, kurz dies: Patrice Chéreaus legendären Bayreuther Jahrhundertring von 1976 hat das Publikum bei der Premiere hysterisch kreischend ausgebuht, aber vier Jahre später mit stundenlangen Ovationen gefeiert. Gegen Chéreau wurden zu Beginn Flugblätter verteilt, überall musste Polizei den Regisseur schützen, im Publikum gab es Schlägereien. Götz Friedrich hat seine Berliner Walküren vor 35 Jahren in Strapsen auftreten lassen, der Dirigent musste die Premiere im Walkürenritt unterbrechen, die Alt-Wagnerianer in der Deutschen Oper kochten vor Wut.

DEUTSCHE OPER BERLIN Premiere 27.09.2020 WALKÜRE Regie: Stephan Herheim Bühne: Silke Bauer Kostüme: Uta Heiseke Licht: Ulrich Niepel Video: William Duke, Dan Trauchard Darsteller: Annika Schlicht,John Lundgren, Nina Stemme. (Quelle: © Bernd Uhlig)
Nina Stemme, rechts, als Brünnhilde. | Bild: © Bernd Uhlig

Beim Es-Urton bleibt das Saal-Licht an

All das blieb uns in Berlin mit Stefan Herheim erspart. Die Buh-Rufe für den Regisseur und sein Team erreichten nach der "Götterdämmerung" allerdings hohe Dezibelstärken. Denn Herheim hat alle Erwartungen konterkariert, den Stoff als Spiel im Spiel auf die Bühne gebracht und so maximale Distanz geschaffen. Alle tun nur so, als ob da was passiert, sie spielen, dass Siegfried Brünnhilde befreit, dass Hagen ihn ersticht.

Beim wunderschönen, leisen Beginn und dem herrlichen Es-Urton über 136 Takte bleibt das Saal-Licht an, Leute laufen über die Bühne. Nix mit Mythos und Rausch. Die Götterkostüme funkeln geheimnisvoll und schön, aber der beleibte Siegfried sieht aus wie ein zu heiß gewaschener Obelix. Und die Statisten müssen immer wieder in hässlich ausgeleierter Feinripp-Unterwäsche aus den 1950er Jahren auftreten, auch einige Sänger, selbst mit starkem Übergewicht.

Wunderbare Bilder schafft Herheim dazwischen, Bilder voller Magie, beim Drachenkampf, wenn Trompeten die Zähne des Urviechs bilden, oder bei Siegfrieds Tod im nachgebauten Foyer der Deutschen Oper. Bilder, die bleiben.

Wird die Produktion als "Schiesser-Ring" in die Geschichte eingehen?

Dennoch müssen wir erst im Programmheft nachlesen, was die Kofferberge im Bühnenbild bedeuten - grundsätzliche Unbehaustheit - und was der Regisseur uns mit seinem Spiel im Spiel erzählen will. Und immer wieder zwischendurch: Unterwäsche.

Alle ziehen sich um, denn alles ist nur Spiel. Die legendäre Götz Friedrich Produktion hieß "Tunnelring", weil der Ring im Tunnel spielte. Wenn das Herheim-Team hier nicht nacharbeitet, wird die neue Produktion als "Schiesser-Ring" in die Geschichte der Oper eingehen.

Aber wer weiß? Vielleicht jubeln ja alle in vier Jahren, denn auch für den Operngeschmack gilt das Motto von Gott Wotan: "Wandel und Wechsel liebt, wer lebt."

Sendung: Inforadio, 15.11.2021, 9:55 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Leider wieder das übliche Gejammer, wenn Wagner nicht aussieht wie 1937. Ich fand die Inszenierungen großartig und habe mich keine Sekunde gelangweilt. Feinripp hin oder her... Ich wusste gar nicht, dass der Götz-Friedrich-Ring als Tunnelring bezeichnet wird. Die aufmerksame Zuschauerin wird aber bemerkt haben, dass Koffer und Klavier wesentlich präsenter waren als die Unterwäsche. Also wenn schon dann vielleicht eher "Kofferring".

  2. 1.

    Weshalb meinem eigentlich Opernregisseure, ihre eigenen Kindheitstraumata (evtl. unverhoffter Anblick von Papa in Feinripp-Unterwäsche) abarbeiten zu müssen, indem sie wunderbare Opern mit geistigen faulen Eiern bewerfen? Das habe ich mich auch vor Jahren gefragt, als eine Stullen schmierende Aida dieselben dann in der ersten Reihe verteilte. Weshalb muss man wunderbare Opern optisch verhunzen? Nur um der Schlagzeilen Willen? Danke an die Rezensentin, die diesen "Schiesser-Ring" bravourös ausgesessen hat!

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