Neue Ausstellung im Centrum Judaicum Berlin - "Jüdisches Berlin erzählen. Mein, Euer, Unser?"

Mo 13.12.21 | 14:19 Uhr | Von Thomas Klatt
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Archivbild: Neue Synagoge in der Oranienburger Straße. (Quelle: dpa/D. Spiekermann)
Audio: Inforadio | 06.12.2021 | Thomas Klatt | Bild: dpa/D. Spiekermann

Das Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße hat alle Einwohner nach ihrem jüdischen Berlin gefragt: Herausgekommen ist ein Geschichten-Kaleidoskop aus heutiger Sicht, das die Aussstellung "Jüdisches Berlin erzählen. Mein, Euer Unser?" zeigt. Von Thomas Klatt

Vor über einem Jahr startete die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum den Aufruf an alle Einwohner der Hauptstadt: "Und was ist Ihr jüdisches Berlin?"

Es kamen überraschend viele Rückmeldungen, von Juden wie Nicht-Juden, von normalen Bürgern bis zu prominenten Politikern, etwa dem linken Kultursenator. "Zum Beispiel erzählt Klaus Lederer von der Familienbibel von Magnus Hirschfeld. Magnus Hirschfeld hat 1897 die weltweit erste Organisation gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren", erzählt Anja Siegemund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum.

Berliner Spitzenpolitiker melden sich zu Wort

Auch der ehemalige CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen schrieb einen Text:

"Wie viele kennen die zahlreichen jüdischen Mäzene in der Geschichte, ohne die die Stadt auch heute eine andere wäre? In ihrer Tradition steht Heinz Berggruen. 60 Jahre nach seiner Vertreibung aus Berlin kehrte er 'heim' in seine Stadt, die durch ihn eine der bedeutendsten Gemäldesammlungen des 20. Jahrhunderts erhielt – das Berggruen Museum. Wissen wir zu schätzen, dass Menschen wie er nicht wegblieben auf immer?"

Einer der ersten Nachkriegs-Entertainer war Jude

Der Theresienstadt-Überlebende Heinz Holl kam nach 1945 nach Berlin und wurde zu einer Berühmtheit. 1961 spielte er sogar in der Billy Wilder-Komödie "Eins, zwei, drei" mit. In der Ausstellung zu sehen ist ein Schwarz-Weiß-Foto von ihm zusammen mit dem späteren FDP-Außenminister Dietrich Genscher, der sich in einer der Holl-Bars genüsslich Wodka einschenkt.

"Manche ältere Berlinerinnen und Berliner, denen ich das erzählte, haben mir gesagt: Ja klar, Heinz Holl. Aber den meisten war nicht klar, dass Heinz Holl Jude war. Seine Lokale waren KünsterInnen-Treffs. Da gab es Pyjama-Partys, da ging es hoch her", verrät Siegemund Details aus der neuen Ausstellung.

Eine 17-jährige Schülerin aus dem Religions-Leistungskurs hingegen hat eine Collage zur Geschichte des jüdischen Waisenhauses Ahava beigesteuert. Der heutige Leiter der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, erzählt vom jüdischen Musiktheater in der Weimarer Republik.

Den meisten war nicht klar, dass Heinz Holl Jude war. Seine Lokale waren KünsterInnen-Treffs. Da gab es Pyjama-Partys, da ging es hoch her

Anja Siegmund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

Heute fast vergessene jüdische Kunstgeschichte: Porza

Eine Collage mit Stoffausschnitten an der Wand erinnert an eine ganz andere, heute fast vergessene, deutsch-jüdische Kunstgeschichte. Diese Stoffe wurden im Berlin der 1920er Jahre entworfen und produziert von Vena Weinmann. Die Designerin, die dem Stil des Bauhauses folgte, kam ursprünglich aus Polen und war Mitglied von Porza.

"Das war eine internationale Künstlervereinigung mit Zweigstelle in Berlin, die Verständigung zwischen den Ländern durch Kunst anstrebte. Der Gründungsball fand im Logenhaus der jüdischen Organisation B’nei Brith in der Kleiststraße statt. Genau an dem Platz ist heute die Urania", weiß Siegemund. Der Hinweis dazu kam von einer heute lebenden polnischen Kunsthistorikerin.

Nachdenklich machen weitere Texte, etwa die des 2016 gegründeten jüdischen Debattenmagazins Jalta: "Über 90 Prozent der in Deutschland lebenden JüdInnen haben wie nichtjüdische Menschen mit Migrationsgeschichte Heime und andere migrantisierende Systeme in Deutschland durchlaufen. Auch nicht anerkannte Abschlüsse und Rentenansprüche sowie Altersarmut tragen sie als Erfahrungen in sich."

Nach den Nazi-Verbrechen: Das schwierige Verhältnis zur eigenen Stadt

Längst nicht alle Juden konnten nach dem Krieg ihren Frieden mit der Stadt machen. So schreibt der Publizist und Liedertexter Wolfgang Herzberg: "Für mich gibt es kein jüdisches Berlin mehr, nachdem meine Großmutter Johanna, meine Verwandten und Tausende von Berliner JüdInnen vertrieben und ermordet wurden. Als säkularer Jude bin ich kein Synagogengänger. Mein Jüdisch-Sein besteht in der Beschäftigung mit Lebenserfahrungen meiner Eltern und Geschwister sowie im Schreiben eigener Memoiren, Gedichte und Liedtexte."

Ein Kaleidoskop des jüdischen Berlins

Auf einer ergänzenden Video-Wand wird gefragt, wer erzählen darf, wer erinnern darf. Unter anderen mit dabei die berühmte Schriftstellerin Esther Dischereit. Eindeutige Antworten gibt es in dem gut zehnminütigen Streitgespräch aber nicht. Es soll zum Weiterdenken anregen. Hinzu kommt die vielstimmige Videoinstallation "Berliner jüdische Welten seit 1800". Zu sehen ist etwa die wechselvolle Geschichte der Privatsynagoge Beth Zion, die in DDR-Zeiten zu einem Lager- und Büroraum wurde. Nach längerem Leerstand und Verfall wird sie heute von einem orthodoxen Rabbinerseminar genutzt. Unter ständigem Polizeischutz.

In den Texten und Objekten der Ausstellung "Jüdisches Berlin erzählen. Mein, Euer, Unser?" wird ein Kaleidoskop jüdischen Lebens in der Hauptstadt sichtbar. Für die Leiterin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum eine Ausstellung, die möglichst eine Langzeitwirkung entfalten soll: "Ich finde es wichtig, dass wir die Geschichten von Menschen da draußen nehmen, um noch mehr eine Stadtcommunity zu bilden, die sich für uns und für jüdisches Berlin interessiert."

Sendung: Radioeins, 13.12.2021, 10:54 Uhr

Beitrag von Thomas Klatt

2 Kommentare

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  1. 2.

    Danke für den Hinweis. Den Meisten ist der jüdische Eintrag in unsere Geschichte, vor allem der kulturellen, aber auch der wirtschaftlchen Geschichte überhaupt nicht klar. Auch sprachlich ist das so: Dass uns das Unverständliche als Kauderwelsch vorkommt, dass uns Umstände, die unsere Sinne durcheinanderbringen, uns ganz meschugge machen oder dass bei Unverschämtheiten auch mal Tacheles geredet werden muss, dürfte Vielen all zu selbstverständlich über die Lippen kommen - ohne zu wissen, woher dieses hervorragend Lautsprachliche dazu eigentlich kommt.

  2. 1.

    Schade, dass man immer erst hinterher von solchen Aktionen erfährt. Da hätt ich gern beigetragen.
    Aber schön, dass man durch den Artikel von der Ausstellung erfährt.
    Das Judentum gehört zu Deutschland und seiner Geschichte und ganz besonders zu Preußen. Inklusive der assimilierten und auch konvertierten Juden, bzw. deren Nachfahren.

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