Coronafolgen für die Musik - Besser als vermutet: Die Berufsorchester trotzen der Pandemie

Mo 24.01.22 | 21:53 Uhr | Von Maria Ossowski
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Audio: rbb Kultur | 24.1.2022 | Maria Ossowski | Bild: dpa

Den Berufsorchestern in Deutschland geht es besser als vermutet und sehr viel besser als in allen anderen Ländern. Die Deutsche Orchestervereinigung bilanziert: Kein Klangkörper wurde abgewickelt. Von Maria Ossowski

Es gab kaum einen Abbau bei den knapp 9.800 Stellen an Deutschlands Berufsorchestern. Vor diese positive Nachricht ist jedoch ein "noch" zu setzen, denn das Publikum kauft Karten nur äußerst zurückhaltend - entweder, weil die Häuser ganz geschlossen sind wie in Sachsen oder weil sie - wie in Bayern - nur zu 25 Prozent besetzt werden dürfen.

Und es gibt weitere Gründe, wie der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens, erläutert. Gerade die älteren Musikfreunde hätten den Weg in den Konzertsaal nicht zurückgefunden. "Schlicht und ergreifend, weil man eine gewisse Angst vor der Infektion hat, obwohl man geboostert ist und die Maske trägt und sich testet. Wir hoffen natürlich, dass die Zurückhaltung im Frühling, wenn der Sommer kommt, aufgegeben wird, so dass sich die Konzertsäle wieder füllen."

"Umorientierung" statt "alter normaler Betrieb"

Eine Rückkehr zum alten normalen Betrieb, da ist sich die Szene einig, ist keine Lösung. Die Orchester mussten sich umorientieren. Und viele haben es getan. Der Youtubekanal des Orchesters vom Hessischen Rundfunk etwa hat mittlerweile 300.000 Abonnenten, die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker ist um 40 Prozent gewachsen und die "One to One Konzerte" - eine MusikerIn spielt zehn Minuten allein die für einen Besucher oder eine Besucherin - ist eine Erfolgsgeschichte geworden.

Kleine und große Neuentdeckungen und Lösungen

Die größte Erfolgsgeschichte aber ist jene der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen. Sie konnte die Zahl ihrer Abonnenten um 51 Prozent steigern, über 700 neue Abonnenten während der Pandemie gewinnen. Musik heilt, die Musiker haben kleine Tablettenschachteln der Marke "Duromoll" verteilt. Inhalt: ein großes Versprechen, denn "Duromoll"-Klangkomplex forte zeigt, dass Ludwigshafen nicht nur eine "Philharmazie" entwickelt hat, so Gerald Mertens, "also eine philharmonische Apotheke mit den Stücken, die einem auch bei Liebeskummer oder bei Frustration oder bei Euphorie" helfen: "Die Ludwigshafener haben sich auf den Wochenmärkten ihrer Stadt hingestellt und haben dort ganz aktiv Werbung gemacht: Mindestens fünfmal jährlich ein Konzert und dann geht es einem schon besser."

"Wenigstens auf der Bühne normales Leben ohne Masken"

Jean Marc Vogt, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), spielt Bratsche im Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Das Verständnis für die Einschränkungen käme im Orchester - etwa beim Blick auf vollbesetzte Flugzeuge, Züge oder eine eng bestuhlte Gastronomie - an deutliche Grenzen, sagt er. Die Impfbereitschaft der Musiker:innen sei hoch. Wie bei den Berliner Philharmonikern seien weit über 90 Prozent geimpft.

Froh mache trotz der leeren Plätze dann immerhin die Reaktion einzelner Klassikfans. So erzählt Vogt von einer alten Dame, die ihn nach einem Konzert ansprach und meinte: "'Es hat so gutgetan, wenigstens auf der Bühne ein quasi normales Leben ohne Masken zu sehen', und das sagte sie mit wirklich leicht feuchten Augen. Das erwärmt einen das Herz. Es ist so schön, diesen Beruf trotz allem machen zu können."

Die Kehrseite: Schlechte Karten für die Musikstudierenden

Schlecht hingegen geht es den Musikstudierenden, es gibt deutlich weniger Abschlüsse an den Musikhochschulen, und den freien Musikern. Sie standen mit Beginn der Pandemie vor dem Nichts. Über 50.000 sind bei der Künstlersozialkasse in der Sparte Musik gemeldet, und viele teilberufliche Jazzer oder Popmusikerinnen sind dort noch nicht einmal registriert. Die Dunkelziffer derer also, die den Job wechseln mussten, ist vermutlich hoch. Ein besonderes Augenmerk legt die Deutsche Orchestervereinigung auf die Thematik "Aushilfen".

Oft holen sich Orchester im Krankheitsfall Ersatz aus anderen Orchestern, während Freie Musiker darben. Dies zu verändern und den Freien eine auskömmliche Honorierung zu ermöglichen, ist ein Ziel für die nächste Zeit. Die soziale Absicherung der Freien liegt auch im Interesse der Bundeskulturpolitik. Die erste Spendenwelle der Orchesterstiftung für Freie hat seit Mitte 2020 5,5 Millionen Euro gebracht, die zweite begann im vergangenen Oktober; sie betrifft Stipendien für junge MusikerInnen und beziffert sich bislang auf 540.000 Euro.

Sendung: rbb Kultur, 24.1.2022, 16:44 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

2 Kommentare

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  1. 2.

    Ein YouTube-Kanal soll jetzt die große Errungenschaft sein?
    Echt jetzt? Das geht doch völlig an der Realität des Konzertbetriebs vorbei. Für Computer-Nerds mag das interessant sein, auf ein Smartphonedisplay zu schauen, und dahei Musikzu hören.
    Normalerweise ist aber gerade das Live-Erlebnis, der direkte Kontakt zum Publikum im Saal das Besondere und Erstrebenswerte, manchmal auch das Zauberhafte.
    Mir geht das kritiklose Hochjubeln des "Digitalen" zunehmend auf den Zeiger.

  2. 1.

    Hat wohl keiner die Impfung wahr genommen!

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