"Betancor: Songs in Beige" | Bar jeder Vernunft Berlin - Wohltemperiertes Programm für krasse Zeiten

Mo 31.01.22 | 10:52 Uhr
Von links: Natascha Zickerick, Betancor, Clara Haberkamp (Quelle: © Christine Fenzl)
Audio: Inforadio | 31.01.2022 | Ute Büsing | Bild: Christine Fenzl

Zuletzt ist sie mit der Jazz-Virtuosin Uschi Brüning zusammen aufgetreten. Jetzt legt Susanne "die Popette" Betancor nach sieben Jahren ein eigenes neues Song-Programm mit Deutsch Vokal-Jazz in der Berliner Bar jeder Vernunft auf: "Songs in Beige". Von Ute Büsing

Aus der Popette, die vor 30 Jahren in ihrem ersten Bühnenprogramm in der Bar jeder Vernunft aus Privat Modern machte, ist eine Hohepriesterin des skurrilen Kunstlieds geworden. Bestechende Variationen in Beige legt sie mit Clara Haberkamp an den Tasten und Natascha Zickerick an der Tuba auf: Heillose Stoßseufzer in haltlosen Zeiten. "Das heilsame harmonische uneindeutig-umzudeutende Beige" ist in diesen "krassen Zeiten" ihre Antwort auf "Besserwisser, Rotseher, Schwarzmaler, Klinikweiß und Seuchengrün".

Gratwanderung zwischen Vokaljazz und Kammermusik

Im schwarzen Wallegewand und mit einem Hauch von Blondhaar, die Brille oft auf die in einer giftgrünen Kladde gesammelten neuen schwierigen Liedtexte gerichtet, zelebriert Susanne Betancor in familiärer Atmosphäre – viele im Publikum haben am selben Ort ihre Anfänge verfolgt - eine kleine Gratwanderung zwischen deutschem Vokal-Jazz und Kammermusik.

In ihren Texten baut sie wie gewohnt abenteuerliche Brücken zwischen Poesie und schnödem Alltag. Für "Vogeldeutschland" bedient sie sich bei der Krähe aus Schuberts Liederzyklus "Winterreise". Vieles scheint wie aus der Vogelperspektive gedichtet. Betancor schaut drauf auf deutsche Un-Tugenden wie Neid, Angst und Dünkel. Anspruchsvoll und auch ein wenig spröde ist das, was sie zum Teil aus einem Spezialisierungsstudium für zeitgenössische Komposition in Luzern mitgenommen hat.

Privat ist immer noch Modern


Nur selten bringt die halb-spanische Multi-Instrumentalistin aus dem Ruhrpott ihren "Dr. Sample" in Anschlag, diese kleine Elektronik-Kiste, die einst, vor 30 Jahren, ihren Popetten-Sound mit bestimmte. Hymnisch gefeiert wird ihre Verneigung vor der eigenen Vergangenheit, der in Corona-Zeiten treffliche Song "Zuhause kenn ich mich am besten aus" aus ihrer ersten Bühnenshow "Privat ist Modern".

Teil Zwei des sparsamen neuen Programms der mit dem Prix Pantheon und dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Kategorie Chanson ausgezeichneten Wahl-Berlinerin kommt jazziger daher – auch, wenn er traurig beginnt, mit einem Song für Vater Miguel, der altersbedingt die Sprache verliert. "Happy Songs" heißen bei der augenzwinkernden Sängerin Susanne Betancor schlicht "Trüb", während sie sich beim "Diskurs-Bossa" fast zu Stadion-Rock-reifen ekstatischen Luftgitarren-Einlagen aufschwingt.

Jeder Fraus und Jedermanns Sache ist das sicher nicht, was die 58-Jährige mit ihren engagierten und versierten Begleiterinnen Haberkamp (mit der sie von 2013 bis 2015 schon einmal ein Duo bildete) und Zickerick (die ebenso in klassischen Orchestern wie in Marching Bands zuhause ist) auf die Bühne zaubert. Kein Easy Listening, sondern ein wohl durchdachtes Programm, bei dem fast familiäre einvernehmliche Stimmung aufkommt. Fazit: Beige kann eben doch auch eine gute Farbe sein.

Sendung: Inforadio, 31.01.2022, 8:10 Uhr

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