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Audio: Inforadio | 24.01.22 | Barabara Wiegand | Quelle: Komische Oper Berlin /Jan Windszus

Opernkritik | "Orfeo" an der Komischen Oper

Liebe, Verfall und kein einziges Buh

In der Staatsoper lief noch im November Glucks Orfeo, allerdings eher traditionell. Jetzt hat der Italiener Damiano Michieletto den Barockhit in die Komische Oper zurück gebracht und rasant neu inszeniert - erstaunlich klug findet Maria Ossowski.

Ein Paar hat sich nichts mehr zu sagen. Es sieht einander nicht, es spürt sich nicht, die Liebe ist abhanden gekommen. Orfeo sitzt am sterilen Esstisch, sein Koffer steht bereit. Er will gehen. Eurydice bleibt allein zurück, nix Giftschlange, sie nimmt das Messer und schneidet sich die Pulsadern auf.

Alles neu mit Damiano Michieletto

Der Venezianer Damiano Michieletto hat an der Komischen Oper den Mythos radikal umgebaut. Nicht der Tod bedroht das Paar, sondern jene Gewohnheit, in der die Liebe zu verschwinden droht. Jener Absturz in den Alltag, den wir alle kennen und fürchten. Erst als Eurydice im Krankenhaus dem Tod entgegendämmert, spürt Orfeo den Verlust.

Amor tritt auf und verspricht ihm, die Liebe zurückzubringen. Orfeo kann das Reich der Toten betreten, muss aber die aus einem Fluchtpunkt quellenden schwarzen Müllsäcke als Chiffre des Verfalls beseitigen, in denen die Furien ihn bedrohen.

Für den 47-jährigen Damiano Michieletto, in Salzburg mit seinem Falstaff im Altersheim gefeiert, ist die Tradition ein Trampolin, von dem aus er den Absprung finden will. So bleibt die Bühne weiß und abstrakt leer bis auf ein riesiges quaderförmiges weißes Element, in dem Eurydice oder das Krankenbett, Orfeo selbst oder die Furien verschwinden. Das Ding fährt hoch und runter, an seinen Wänden begegnen Orfeo und Eurydice ihren Schatten und mittendrin phantasiert sich Orfeo seine Reise in die Totenwelt zusammen.

Vistoli, Mchantaf und Mindus überzeugen in ihren Rollen

Der italienische Countertenor Carlo Vistoli singt und spielt diesen Orfeo kraftvoll, verzweifelt, herzzerreißend, operesk, schlicht wundervoll. Barockspezialist David Bates dirigiert das Orchester der Komischen Oper saftig und vehement, manchmal etwas zu laut, das Vokalconsort Berlin präsentiert den Chor anrührend und aufwühlend, Ensemblemitglied Nadja Mchantaf als Eurydice und Josefine Mindus als Amore fügen sich ein in diese überraschend anders und klug interpretierte Inszenierung.

Ein bisschen klamaukig gerät das Glucksche Happy End, Eurydice und ihre Schatten streuen aus ihrer Urne die Asche auf die Bühne, ein Wasserschwall weckt die Tote, aber auch wenn ein paar Statisten auf der glitschigen Bühne ausrutschen, alle freuen sich über den Jubel des Publikums aus dem, in Berlin fast unwirklich, nicht ein einziges Buh für die Regie erklingt. An solch ein Wunder kann sich die Rezensentin nicht mehr erinnern.

Sendung: Inforadio, 24.01.22, 09:55 Uhr

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