Konzertkritik | "Berlin Yiddish – Yiddish Berlin" in der Bar jeder Vernunft - Vom Glück und der großen Kunst des Über-Lebens

Sa 22.01.22 | 14:03 Uhr | Von Ute Büsing
Im Uhrzeigersinn: Sharon Brauner, Karsten Troyke, Harry Ermer, Daniel Weltlinger, Gerhard Kämpfe (Quelle: Max Kämpfe)
Audio: Inforadio | 22.01.2022 | Ute Büsing | Bild: Max Kämpfe

Sie ist Botschafterin der jiddischen Sprache und Kultur: Sharon Brauner. Mit Weggefährten und Sidekicks zeigt sie in der Bar jeder Vernunft jetzt die Berlin-Premiere ihres neuen Programms "Berlin Yiddish – Yiddish Berlin". Von Ute Büsing

"Berlin Yiddish – Yiddish Berlin" ist eine rundum gelungene erfrischende Mischung aus Jiddisch für Anfänger – und Fortgeschrittene, traditionellen Liedern und Evergreens, die, gäbe es einen Tanzboden, diesen zum Dampfen bringen würde. Was die "Königin des jiddischen Liedes", Sharon Brauner, und ihre Mannen mit großer Lust und unendlicher Spielfreude auflegen, findet vom ersten Ton an begeisterte Resonanz im Publikum. Es wird mit geklatscht und im Takt gewippt. Ungezwungen, fern der Biertisch-Seligkeit.

Energetische Aufladung der jüdisch-deutschen Tradition

Das 52-jährige Energiebündel Sharon Brauner belebt in Berlin, der einstigen Heimat der jüdisch-deutschen Sprache, mit Leichtigkeit eine Tradition wieder, die um Elemente aus Swing, Jazz, Pop, Balkan-Polka und Tango bereichert, von ansteckendem Charme nur so sprüht. Ein echter Gewinn für Brauners Kapelle mit dem großen Unterhaltungskunst-Allrounder Harry Ermer am Flügel ist Beatboxer Paul Brenning. Mit Mund und Stimme setzt der Sounddesigner von "Pari San" und "Acoustic Instinct" hier neue Akzente und Kontrapunkte, ebenso wie Sebastian Vogel an der Bassgitarre, sonst mit "Ass-Dur" unterwegs. Wenn nicht gerade Corona grassiert, ist Sharon Brauner sonst mit den Klezmer-Spezialisten Karsten Troyke (Gesang) und Daniel Weltlinger (Violine) im Bunde. Aber, wie gesagt: die neuen zeitgenössischen Klangfarben tun ihrem satten Sound gut.

Bewährter Begleiter seit gemeinsamen Auftritten bei den Jüdischen Kulturtagen, die er leitet, ist Impresario Gerhard Kämpfe ("Classic Open Air") als Witze-Erzähler. An seinem Sitzpult erzählt er wie aus dem Stehgreif von Moishe und Yamile, Sarah, David und dem Rebbe. Deftige Witze aus dem Schtetl und der großen weiten Welt um Geld und Liebe. Im Idealfall greifen Sharon Brauner & Band die von Kämpfe ausgelegten roten Fäden auf und spinnen sie weiter.

Achtsamkeit und Zärtlichkeit füreinander

Natürlich werden dabei auch Klischees bedient wie das von der überfürsorglichen "jiddischen Mamme" und der allgegenwärtigen Chuzpe in guten wie in schlechten Zeiten. Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden klingen immerhin an. Aber gewidmet ist der Rundumwohlfühlabend dem Glück und der großen Kunst des Überlebens. In Berlin, Tel Aviv, New York und Paris, wo Edith Piaf während der deutschen Besatzung den jüdischen Komponisten Norbert Glanzberg versteckte, der für sie einige seiner schönsten Lieder wie "Padam" komponierte.

Manchmal wirkt der hochprofessionelle Abend fast wie improvisiert, weil alle im Moment aufeinander achten, sich einlassen. Dazu gehört unbedingt auch das Bar jeder Vernunft und Tipi-"Dreamteam" an Licht und Ton, Sven Herzel und Daniel Selinger. Das eingespielte Duo verdichtet "Yiddish Berlin" atmosphärisch und klanglich zu emotionaler Wucht. Insgesamt: Ein erfrischendes Programm voller "Liebkeit", jiddisch für Zärtlichkeit, das den Eisregen draußen vor dem Zelt vergessen lässt und alle in einem warmen Gefühl füreinander zusammenschweißt.

Sendung: Inforadio, 22.01.2022, 7:55 Uhr

Beitrag von Ute Büsing

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