Kultur-Areal gekündigt - Die Zukunft am Ostkreuz ist ungewiss

Kino, Kneipe, Konzerte auf 2.500 Quadratmetern: Über zehn Jahre stand die "Zukunft am Ostkreuz" für Kultur. Den Mietern wurde zu Ende März gekündigt. Vertreter aus Bezirk und Kultur versucht den Ort zu retten - bislang mit ungewissem Ausgang. Von Jenny Barke
Das Kulturareal am Ostkreuz sieht im vormittäglichen Januargrau so aus, wie sich dessen Betreiber seine nahende Zukunft ausmalen: verlassen, ohne Leben, in trüber Tristesse. Denn sollte sich nicht doch noch im letzten Augenblick etwas ändern, steht die "Zukunft am Ostkreuz" in zwei Monaten vor dem Aus. Schon jetzt sei es schwer, das Theater- und Musikprogramm zu planen, sagt Betreiber Manuel Godehardt. "Wir sind jetzt seit zwei Jahren quasi eh nur mit einem Bein im Geschäft. Der Mietvertrag wurde uns also in einer sowieso schon schweren Zeit, mitten in der Pandemie gekündigt."

Dabei loben Godehardt wie auch sein Kollege Andi Sommer das bisherige Verhältnis zum Vermieter. Seit der Gründung der "Zukunft am Ostkreuz" auf den Brandruinen eines ehemaligen Filmlagers vor über zehn Jahren sei das Verhältnis zum Eigentümer immer gut gewesen, er habe sich kulturinteressiert gezeigt und die Kultur- und Kunstschaffenden arbeiten lassen. Erst vor einem Jahr wurde der Mietvertrag nicht mehr verlängert.
Einen Grund für die Kündigung nennt der Eigentümer, die Grundwert Real Estate Beteiligung GmbH, nicht. Godehardt und Sommer können nur Vermutungen anstellen. "Hier ums Ostkreuz passiert einiges, es sind einige Neubauten geplant. Wahrscheinlich wächst in diesem Zusammenhang auch der Verwertungsdruck auf unser Gelände", so Godehardt.
Verdrängung und Neubauten am Ostkreuz
Denn der Abriss droht nicht nur dem mit Holzfassaden verkleideten und Lichterketten dekorierten Gelände, auf dem sich ein Freilichtkino, zwei Kinosäle, eine Galerie, eine Bar, ein Theater, eine Brauerei und ein Konzertsaal befinden: Durch den Bauabschnitt der A100, der durch Treptow, Friedrichshain und Lichtenberg führt, sind auch die nahegelegenen Clubs About Blank und die Wilde Renate bedroht.
Am Ostkreuz entsteht gerade das Bürohaus Axis Offices und der sogenannte "Ostkreuz Campus". An der Rummelsburger Bucht werden Luxuswohnungen gebaut. Ebenfalls am Ufer der Bucht soll das umstrittene Aquarium Coral World entstehen - und soll nach neuesten Plänen des Unternehmens sogar noch wuchtiger gebaut werden, als zunächst im Bebauungsplan vorgesehen.
Dominoeffekt auf weitere Kinolandschaft
Gegen die fortschreitende Verdrängung formiert sich Protest in dem Viertel. Im November fand in Friedrichshain eine Demonstration gegen die weitere Veränderung des Gebiets und für den Erhalt der "Zukunft am Ostkreuz" statt. Mit Plakaten wie "Konzerte statt Konzerne" und "Zukunft statt Ostkreuz-Campus" drückten die etwa 650 Teilnehmer:innen ihre Solidarität mit dem Kulturareal aus.
Das Aus der "Zukunft" könnte zudem eine Kettenreaktion auslösen: Sollte das Kino auf dem Gelände schließen, sind auch die Kinos Tilsiter Lichtspiele und Kino Intimes in Friedrichshain in Gefahr. Denn sie werden mit Bier aus der Brauerei der Zukunft am Ostkreuz beliefert, wodurch hauptsächlich die Einnahmen der kleinen Programmkinos generiert würden, erklärt Godehardt.
Zukunftsrat gegründet
Aus Angst vor der Schließung starteten die Betreiber der "Zukunft" im November eine Petition, um "den Rauswurf" zu verhindern [change.org]. "Sonst stirbt einer der letzten verbliebenen Kulturstandorte von Friedrichshain", heißt es auf der Seite im Netz. Die Mieter sorgen sich darum, dass vielleicht "das Gelände jahrelang leerstehen" wird. Über 18.000 Berlinerinnen und Berliner haben die Petition bereits unterschrieben. "Wenn man diese 18.000 Leute runterbricht, dann sind das zehn Prozent der Einwohner von Friedrichshain-Kreuzberg. Das zeigt: Das hier ist ein sehr relevanter Ort für Kultur in Berlin", so Godehardt.
Und Ton-Techniker Andi Sommer ergänzt: "Wir hoffen, dass wir durch die Petition den Druck auf die Politik erhöhen." Die hat die Brisanz des Themas erkannt. Bereits im August vergangenen Jahres hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg einen Rettungsantrag beschlossen, in dem der Eigentümer aufgefordert wurde, die Kündigung zurückzunehmen. Weitere Beschlussvorschläge folgten [berlin.de]. Außerdem wurde ein sogenannter Zukunftsrat mit stadtpolitischen Akteur:innen wie Lokalbau, mit Vertreter:innen der Politik wie Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt und den Mietern gegründet [baustelle-gemeinwohl.de].
Ausweichstandort suchen oder Zukunft in Neubau integrieren?
Für Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Die Grünen) ist das Kulturareal "für die Nachbarschaft und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von herausragender Bedeutung, ein letzter Ort für Subkultur, von Menschen für Menschen ohne kommerzielle Beweggründe." Er hofft, dass durch die Verhandlungen des Zukunftsrats mit dem Eigentümer zunächst die Kündigungsfrist nach hinter verschoben werden kann. Doch es müssten auch längerfristige Lösungen gefunden werden.
Aktuell suche der Bezirk nach möglichen Ausweichstandorten und habe ein kooperatives Verfahren entwickelt. In einer sogenannten "Visionsskizze" haben die Akteur:innen Konzepte vorgestellt, wie der Kulturstandort in einen möglichen Neubau integriert werden könnte.
Schmidt beschreibt die Zusammenarbeit mit dem Eigentümer als kooperativ - "andererseits wird auch ein bisschen Versteckspiel betrieben", so der Baustadtrat. "Da muss jetzt was kommen und konkreter werden. Wir wünschen uns, dass auch die Hinterleute, also die Gesellschafter mit an den Tisch kommen." Bis Ende Januar wollen der Zukunftsrat und der Eigentümer ihre Verhandlungen abgeschlossen haben und ihre Ergebnisse präsentieren.
Senat sieht sich in Vermittlerrolle
Doch die Betreiber bleiben skeptisch, ob die drohende Kündigung noch abgewendet werden kann. "Wir freuen uns natürlich über die Unterstützung aus der Politik", so Sommer. "Gleichzeitig sind wir ja aber auch nicht der einzige Laden, den das betrifft und haben da in der Vergangenheit sehr oft gesehen, wie das schiefgegangen ist." Sie würden sich wünschen, dass die Politik bessere Mittel in der Hand hätte, um solche Räumlichkeiten zu schützen. "Oder, wie in unserem Fall konkret, schnell ein Ersatzgelände anbieten zu können."
"Wir haben da keine Hebel in der Hand", bestätigt allerdings auch die Senatskulturverwaltung. Auf höherer Ebene könne der Senat bisher nichts bewirken, denn es handle sich um ein privates Gelände, der Eigentümer habe das Recht zu kündigen. "Wir sind am Ende der Nahrungskette", sagt der Sprecher der Senatskulturverwaltung, Daniel Bartsch. Doch im Rahmen ihrer Möglichkeit wolle der Senat vermitteln und stehe als Berater zur Seite. "Wir begleiten das Gremium des Zukunftsrats mit unserer Expertise", so Bartsch. Denn jede Kultureinrichtung, die der Stadt verloren gehe, sei ein Wegbrechen der Berliner Kulturlandschaft. "Das wollen und können wir nicht hinnehmen."
Sang- und klangloser Abschied?
Trotz der schlechten Aussichtschancen hoffen Sommer und Godehardt darauf, dass zumindest der Mietvertrag noch etwas verlängert wird und sie danach eine neue Perspektive bekommen.
Auch, weil ein rasches Ende der "Zukunft" jetzt besonders düster wäre. Sollte das Areal Ende März schließen müsste, würde es, meint Godehardt, pandemiebedingt wohl sang- und klanglos vonstatten gehen: ohne große Party, Kultur, Musik und die vielen Gäste, für die die "Zukunft am Ostkreuz" all die Jahre stand.
Sendung: rbb24, 14.01.2022, 16 Uhr