Karl-Marx-Ausstellung im DHM - Opium und Dampfmaschine

Karl Marx war einer der einflussreichsten Deutschen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sein umstrittenes Werk wirkt bis heute. Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet ihm ab Donnerstag eine Ausstellung. Von Maria Ossowski
Karl Marx, hat der uns eigentlich noch was zu sagen? Genau mit diesen Bezügen zum Heute beginnt die Ausstellung im ersten Stock des Neubaus vom Deutschen Historischen Museum in Berlin-Mitte. Im vergangenen Jahr hatte das Haus eine repräsentative Umfrage durchführen lassen. Das Ergebnis: Marx ist aktuell, nach der Finanzkrise, in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten.
Aber er ist umstritten, so die Kuratorin Sabine Kritter: "Über 40 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass die Kapitalismuskritik von Marx noch etwas zu sagen hat, um die Probleme der heutigen Ökonomie zu verstehen."
Gefragt wurde auch, ob Marx ein Wegbereiter für Diktatur und Gewalt war oder noch ist. "Da war ein Drittel der Meinung ja, ein Drittel war der Meinung nein, und ein Drittel war unschlüssig", sagt Kritter. Marx steht also für den Widerspruch. Diese Ambivalenz zieht sich durch die gesamte, höchst aufschlussreiche Präsentation mit dem Titel "Karl Marx und der Kapitalismus".

Er hoffte auf die Revolution, erlebte sie aber nicht mehr
Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, die konkreten sozialen Umbrüche, die Marx beschäftigten, bilden das Zentrum der Ausstellung. Sie verweist zu Beginn und am Schluss klug auf die Gegenwart. Auf die entfremdeten Arbeitsumstände in den Textilfabriken Asiens zum Beispiel. Eine Wand mit großem Foto zeigt Hunderte asiatische Arbeiterinnen und Arbeiter, die für unsere Billigshops nähen. Davor: enge Boxen, in die wir eintreten können, um dort, so Sabine Kritter, die anderen, die gemeinsam mit uns produzieren, nicht mehr sehen zu können.
"Das ist dieser Prozess der Entfremdung bei Marx, den wir hier auf einen sehr einfachen Punkt bringen, den letztlich arbeitsteiligen Prozess, in dem wir nicht mehr die Kontrolle über das haben, was hergestellt wird". Das Bild entstand in einer der üblichen Textilfabriken in Vietnam, in denen Kleidung im Akkord produziert wird.
Marx hat die ökonomischen Umbrüche seiner Zeit präzise analysiert. Maschinen faszinierten ihn, die Dampfmaschine konnte Zeit sparen, aber sie verdichtete die Arbeit. Bis zu 16 Stunden waren die Männer gezwungen, in den Fabriken zu malochen. Frauen schwitzten in den Spinnereien, dank der automatischen "Spinning Jenny", auch sie ist ausgestellt.
Dem Bürgertum brachte die Industrialisierung hingegen Wohlstand und Erleichterungen: die erste Baumwollunterwäsche, industriell gefertigte Fahrräder, die Konfektion der Kleidung.
Einerseits beobachtete Marx den Fortschritt, den diese Produktivität des Kapitalismus geschaffen habe, so Sabine Kritter. Er sieht andererseits aber auch die Armut, die wächst. Er analysierte die Chance der Arbeitszeitverkürzung durch diese Maschinen.
Zugleich beschrieb er, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter länger arbeiten mussten und dass Unfälle zunahmen. Immer wieder hoffte Marx auf eine Revolution, so in der Weltwirtschaftskrise von 1857. Doch erst 1905, 22 Jahre nach seinem Tod, wurde diese in Russland konkreter.
Marx schwieriges Verhältnis zur Religion
Widersprüchliche Motive durchziehen auch die Biografie von Marx. Die Ausstellung spiegelt auch dies wieder. Den Enkel eines Rabbiners hat sein zum Protestantismus konvertierter Vater taufen lassen. Marx' Mutter hatte mit dem Übertritt noch gezögert, um ihre jüdische Familie nicht zu kränken.
Der Philosoph, der Ökonom, der Journalist und der Aktivist Karl Marx hatte einerseits in vielen Schriften gegen Juden als Kapitalisten und Finanziers argumentiert und polemisiert, andererseits, so erfahren wir, stand Marx mit einem gewissen Stolz zu seiner Abstammung.
Marx war jedoch Atheist. Jede Form der Religion lehnte er ab. Eine Opiumpfeife in einer Vitrine verweist auf einen millionenfach zitierten Satz von Marx, Religion sei Opium fürs Volk. "Ihm ging es darum, deutlich zu machen, dass die Religion der 'Seufzer der bedrängten Kreatur' ist", so Kuratorin Kritter.
Religiosität sei für Marx ein Ausdruck von sozialem Elend, ein Versuch der Menschen, sich die Situation erträglich zu machen und sich mit der Religion, wie mit dem Opium zu betäuben. "Marx kam zu der Kritik, dass – um die Religion überflüssig zu machen – das soziale Elend abgeschafft werden müsse."
Zum Schluss sind all die Bücher zu sehen, die nach der Finanzkrise von 2008 über Marx entstanden sind: Auseinandersetzungen mit seiner Theorie. Topaktuell ist ein Spruchband, das die steigenden Immobilienpreise anprangert: "Lieber Marx und Engels als Engels und Völckers".
Die Ausstellung über Karl Marx und den Kapitalismus ist lehrreich und sehr sehenswert. Sie zeigt auch die Folgen von Marx’ Ideologie in menschenverachtenden Diktaturen. Sie präsentiert einen widersprüchlichen Denker, dessen Analysen in die Jahre gekommen sind, dessen Beobachtungen aber gültig bleiben.
Sendung: rbbKultur, 09.02.2022, 07:40 Uhr