Ausstellung "Power von der Eastside" - Wie das Jugendradio DT64 einen Crashkurs in Demokratie gab

Eigentlich sollte mit dem einstigen DDR-Jugendradio DT64 schon 1991 Schluss sein. Doch es bildete sich eine unvergleichliche Rettungsbewegung, die partiell auch erfolgreich war. In der Berliner Brotfabrik wird zurückgeblickt auf diesen Kampf. Von Corinne Orlowski
Mit dem Mauerfall änderte sich für die Menschen im Osten alles. Aber wenigstens eines sollte bleiben: DT64, ein Jugendradio, das vor der Wende noch als uncool abgewunken wurde, aber rund um die friedliche Revolution massenhaft Zuhörer erreichte. Denn da saßen Menschen vor den Mikrofonen, mit denen sich die Jugend plötzlich identifizieren konnte.
Mit dem Programm von vor '89 hatte das nicht mehr viel zu tun, wie Alexander Pehlemann, Stammhörer von DT64 in Greifswald, sagt. Der Sender habe sich freigestrampelt und in der Zeit mit der Hörerschaft zusammen die Veränderung durchgemacht. Dadurch sei ein Programm auf Augenhöhe entstanden. "Zu diesen potenziellen Veränderungen gehörte dann auch die Abschaffung des Senders, die man gemeinsam mit den Hörer:innen thematisiert hat und dagegen gemeinsam gekämpft hat. Das ist ein Phänomen", so Pehlemann.
DT64 war plötzlich Kult
Ihn prägte DT64 bis heute dermaßen, wie er sagt, dass er jetzt eine mobile Ausstellung kuratiert hat, die sich der identitätsstiftenden Rettungsbewegung widmet. Und da griffen die Hörer:innen zu radikalen Maßnahmen: Tausende gingen auf die Straße, manche bis zum Hungerstreik. Und teilweise waren sie damit sogar erfolgreich, denn DT64 sendete noch bis 1993 und ging dann im Programm von MDR Sputnik auf. In der Berliner Brotfabrik sind die Ereignisse auf einem Zeitstrahl chronologisch aufgearbeitet und auf zwei Meter hohen, bunten Platten eindrücklich dargestellt.
Das Thema Medien sei im Diskurs der Wiedervereinigung viel zu sehr vernachlässigt worden, sagt Pehlemann. "Die Frage war ja, wer hat für einen weiter gesprochen? Das heißt, wer hat wie über den Osten berichtet? Und da ist ja die Frage, mit welcher Erfahrung, mit welcher Desillusionierung ist man hineingegangen in diese Demokratie, die ja auch neu für einen war."
Und deshalb war DT64 plötzlich Kult. Für eine ganze Generation wurde der Kampf um den Erhalt zur Schule der Demokratie, in der man crashkursartig lernte, wie man seine Meinung sagen konnte. Ein ganzes Pressearchiv fängt das in der Ausstellung ein, aber auch spannende Dokumente, Briefe, Protokolle von Landtagssitzungen und Filmausschnitte der Aktionen sind zu sehen.

"Ich habe Radio gemacht, wie ich es nie wieder gemacht habe"
Die Hörfunk-Journalistin Marion Brasch war damals mittendrin, als Moderatorin. Sie schätzt die unsentimentale Art, mit der in der Brotfabrik von der "Power von der Eastside" erzählt wird. DT64 sei für sie prägend gewesen, sagt Brasch. Damals, als der Sender zu Ende ging, sei sie 30 Jahre alt gewesen. "Ich habe gerade in der Zeit '89 bis '91 Radio gemacht, wie ich es vorher und nachher […] nie wieder gemacht habe", so Brasch
Es gab eine absolute Narrenfreiheit, alles war erlaubt. Schade nur, dass in der Rückschau so wenig von dem Sound der damaligen Zeit zu hören ist.
"Power von der Eastside! DT 64 - Das Jugendradio und seine Bewegung" ist noch bis zum 3. April in der Berliner Brotfabrik zu sehen. Der Eintritt ist frei. Begleitet wird die Ausstellung mit diversen Events.
Sendung: Radioeins, 25.03.2022, 05:55 Uhr