Konzertkritik | Hans Zimmer in Berlin - Die opulente Fleischbeschau

Hans Zimmer schrieb die Filmmusik zu "König der Löwen", "Gladiator" und vielen anderen Filmen, auch zwei Oscars gewann er. In der Mercedes-Benz-Arena inszenierte er am Dienstag eine fulminante Show - mit fadem Beigeschmack. Von Hendrik Schröder
Mehr als 25 Millionen Alben hat Hans Zimmer bisher mit seinen Filmmusik-Kompositionen verkauft. Irgendwann vor einigen Jahren hatte er keine Lust mehr, nur im Studio zu arbeiten und brachte seine Werke auch live und aufwändig inszeniert auf die Bühne und ging damit auf Tour. Von allem viel ist dabei das Motto, und genau so geht auch dieser Abend in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin los. Die schwarze Leinwand schnellt mit einem Krachen hoch, am Bühnenrand stehen zehn Musikerinnen und Musiker. Mit Geigen, Gitarren, E-Cello. In der Ecke ein Kreis aus Dutzenden Percussions.

Auf der zweiten Bühnenebene sitzt ein ganzes Orchester. Das kommt übrigens aus Odessa in der Ukraine und dafür gibt es gleich am Anfang stehenden Applaus vom Publikum. Vom weißen Stroboskop Licht zitternd angeleuchtet dreschen gleich zwei Schlagzeugerinnen nebeneinander auf die Felle. Ein paar Tänzerinnen wirbeln auch noch herum. Es müssen dreißig, vierzig Leute sein, die da gleichzeitig auf der riesigen Bühne sind. Über ihren Köpfen hängt eine Videowand. Es ist ein Gewusel und Getrommel, man weiß gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Und es ist auch noch alles live gespielt, der Wahnsinn.
Endlose Ansagen
Und mitten unter diesen ganzen Musikerinnen und Musikern (eigentlich sind es hauptsächlich Frauen) steht Hans Zimmer wie ein Fremdkörper in der Bühnenmitte hinter Synthesizern und reißt die Arme hoch wie DJ Westbam bei der Loveparade.
Alle tragen Kostüme, viel Leder, nur Zimmer trägt ein blaues Sakko und beige Chinos und sieht ein bisschen aus wie der Pausenclown, der sich frecherweise mal in das Hauptpgrogramm geschummelt hat. Aber natürlich ist er der Star, der Mittelpunkt. Er lebt schon so lange in Hollywood, dass sein Deutsch mittlerweile einen amerikanischen Akzent hat.
Nach ein paar Nummern schnappt er sich das Mikrofon, setzt sich auf einen Stuhl und setzt an zur ersten von einigen endlosen Ansagen, gespickt mit Witzen, die aus den späten 1980ern kommen müssen und allerlei auswändig gelernten Dönkes über Hollywood und die Berliner Luft.
Er redet und redet in Thomas-Gottschalk-Manier jovial daher, allerdings ohne jede Ausstrahlung oder Wortwitz oder Entertainer-Qualitäten. Endlich ist er fertig und es kommen wieder Musik und Show. Die gekreuzten Licht-Traversen schmeißen gefühlt hunderte punktgenaue Kegel auf die Akteure. Die Musiker spielen die Soundtracks von "Dune", "Gladiator" oder "Fluch der Karibik" wie Krieger, mit wild entschlossenen Gesichtern, energisch, unfassbar gut. Die Show und die Musik sind überragend.
Respektlos und altbacken
Irgendwann fällt aber eines auf, und wenn man erst mal anfängt darauf zu achten, wird die ganze Show richtig eklig. Auf der Bühne sind 80 Prozent Frauen und alle, aber wirklich alle in sexy Kostümen, mit kurzen Kleidern, hohen Stiefeln, zeigen viel nackte Haut, tragen Lederkorsett, was irgendwann mal als besonders hot gegolten haben muss.
Die Männer hingegen tragen normal geschnittene Sachen. Das ist seltsam. Ab und an müssen sich die Frauen dann von Zimmer in den Arm nehmen und betatschen und loben lassen. Seine Cellistin Tina Guo bietet er dem Publikum für ein gemeinsames Dinner an, als diese abwinkt, sagt er, sie sei "schon vorreserviert."
Tina Guo spielt seit ihrem siebten Lebensjahr Cello, sie ist Weltklasse. Und jetzt muss sie da halb nackt in einer Art Lederlendenschurz über die sexistischen Witze ihres Chefs lachen. Man weiß nicht, ob man weinen oder laut schreien soll. Die Halle ist ausverkauft, die Leute begeistert, das sei ihnen unbenommen, die Inszenierung ist ja auch toll. Aber irgendwer muss doch nach der Show mal zu Hans Zimmer gehen und ihm sagen: 'Alter, Du bist mit Sicherheit ein Kompositionsgenie, aber die Musikerinnen auf der Bühne ausschließlich als sexy Lustobjekte zu inszenieren, ist respektlos, altbacken und boring.' Ist doch wahr.
Sendung: Inforadio, 20.04.2022, 6 Uhr